Die Stellinger Großbaustelle an der Warnstedtstraße steht für viele Projekte in Hamburg. Große Belastungen durch den Abriss vor dem Neubau.

Hamburg. Ein lautes Donnern – und das Geschirr in der Vitrine vibriert, die Wände zittern, und die Nachtspeicherheizung scheppert. Bei Markus Kossinna herrscht Ausnahmezustand. Er lächelt verhalten, als er sagt, er habe sich fast schon daran gewöhnt. Seit etwa sechs Wochen werden an der Warnstedtstraße in Stellingen zwei ehemalige Bürogebäude abgerissen. Bis Ende 2013 sollen auf dem Gelände mehrere drei- bis viergeschossige Wohnhäuser mit rund 150 Wohnungen und ein Apartment-Hotel entstehen.

Nicht die einzige Baustelle in Hamburg, nicht der einzige Hamburger, dem Bauarbeiten in seiner unmittelbaren Umgebung zu schaffen machen.

Wie Anfang des Jahres bekannt wurde, liegt Hamburg - in Zeiten von Wohnungsknappheit und Mietenwahnsinn - inzwischen an der Spitze in Sachen Wohnungsbau. Der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmer spricht von einer Trendwende, im vergangenen Jahr wurden insgesamt 3729 Wohnungen in Hamburg fertiggestellt, Bausenatorin Jutta Blankau (SPD) bestätigt Programme zur Wohnraumförderung für 2012. Unter anderem sollen 2000 neue Sozialwohnungen entstehen. Wohnbau-Unternehmer wollen dieses Jahr bis zu 700 Millionen Euro für bezahlbaren Wohnraum in der Hansestadt investieren.

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Mehr Wohnraum dürfte für die meisten Hamburger ein Grund zur Freude sein. Doch die Freude über die umfangreichen Wohnungsbau-Vorhaben hat auch eine Kehrseite: die Belastung von Anwohnern durch Lärm und Verschmutzung. Wie im Fall von Markus Kossinna, der seit acht Jahren in einem der Mehrfamilienhäuser wohnt, die an den Baugrund in Stellingen grenzen.

Dem 39-Jährigen bereitet vor allem der Staub, der bei den Abrissarbeiten entsteht, Probleme. "Ich bin Motorradfahrer und parke meine Maschine in einem Carport hinter dem Haus. Seit dem Beginn der Abrissarbeiten war mein Motorrad nicht mehr sauber, den feinen Schmutzfilm müsste ich jeden Tag abwaschen.“

Auch seine Wäsche könne er nicht mehr an der frischen Luft trocknen lassen. "Auf dem Balkon geht das nicht mehr, der Staub setzt sich in der Kleidung fest“, so Kossinna.

Auch andere Anwohner fühlen sich von der Baustelle an der Warnstedtstraße belästigt. Bodo Hiller lebt mit seiner Frau seit 45 Jahren in der benachbarten Gutenbergstraße. Von seiner Wohnung bis zur Großbaustelle sind es Luftlinie etwa 50 Meter. Der 79-Jährige findet es "fahrlässig, wie in dieser Angelegenheit mit den Bedürfnissen der Anwohner umgegangen wird“. Das Hauptproblem sei der Steinbrecher, mit dem die abgerissenen Gebäudebrocken lautstark zerkleinert werden. "Seit Wochen Lärm und Dreck, eine Unverschämtheit und Zumutung."

"Der Einsatz von Steinbrechern kommt im Vergleich zu der Vielzahl der Baustellen eher selten vor", sagt eine Sprecherin der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU). Der Betrieb der Geräte sei gleichwohl zulässig, wenn die jeweiligen Immissionsrichtwerte nicht überschritten werden.

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Wie hoch aber sind diese Immissionswerte überhaupt? Welche Lärmintensität müssen Anwohner hinnehmen? "Grundsätzlich sind alle Immissionen auf ein Mimimum zu reduzieren", so Kerstin Graupner von der BSU. Je nach dem, ob es sich um ein reines Wohngebiet, ein Mischgebiet mit Wohnungen und Gewerbeflächen oder ein reines Industriegebiet handelt, gelten allerdings unterschiedliche Höchstwerte.

"Je mehr gewerbliche Nutzungen in einem Gebiet erfolgen, desto höher ist dieser Wert", erklärt Graupner. "Bei einem reinen Wohngebiet beträgt der zu tolerierende Wert tagsüber 50 Dezibel, während in einem Industriegebiet 70 Dezibel angesetzt werden." Festgeschrieben sind diese Bemessungen im Bundes-Immissionsschutzgesetz und in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baustellenlärm.

Für die Anwohner im Umfeld der Baustelle an der Warnstedtstraße gilt an Werktagen (Montag bis Sonnabend) von 7 bis 20 Uhr ein Richtwert von 60 Dezibel. Der Grund: Die Wohnungen und Einfamilienhäuser liegen in einem sogenannten Mischgebiet, in dem sich gewerbliche und private Nutzung der Gebäude und Anlagen die Waage halten.

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Horst Nordmann lebt seit 50 Jahren in der betroffenen Gegend in Stellingen. Anfang Mai wandte sich der 74-Jährige an das zuständige Bezirksamt Eimsbüttel, die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt und die Polizei, reichte Beschwerde ein und wollte Anzeige erstatten. "Der Lärm war unerträglich, unsere Balkone waren nicht benutzbar", erzählt Nordmann. "Auch dass den Anwohnern vom Bauherrn nicht mitgeteilt wurde, um was für eine Baumaßnahme es sich handelt und wie lange die Arbeiten andauern, ist ein Unding."

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Auf Nordmanns Beschwerde hin nahm Martin Wulff, Mitarbeiter der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, im Mai zwei sogenannte lärmorientierende Messungen an der Baustelle vor. Da die Anwohner bei derartigen Lärmbelastungen nicht verpflichtet sind, Türen und Fenster geschlossen zu halten, wurden die Messwerte außerhalb der betroffenen Wohnungen ermittelt. In beiden Fällen lag der von den Abrissarbeiten verursachte Lärm unter dem Höchstwert von 60 Dezibel. Das zuständige Amt für Bauordnung und Hochbau wird jedoch auch zukünftig "stichprobenartig kontrollieren", verspricht die BSU.

Vorgenommen werden die Abrissarbeiten von der Hamburger Firma Wilko Wagner. Von Anwohnerbeschwerden wisse er nichts, sagt der Bauleiter des Projekts, Herr Himmler. "Die Baustelle liegt in einem Mischgebiet. Dort gelten nun mal höhere Lärmschutz-Höchstwerte als in reinen Wohngegenden", so Himmler. "Der Abriss wurde genehmigt, Lärmmessungen wurden vorgenommen. Die Geräte, die wir nutzen, und der Lärmpegel entsprechen den gesetzlichen Vorschriften." Himmler rechnet damit, dass die Abrissarbeiten Ende der ersten Juni-Woche beendet sind.

Direkt im Anschluss an den Abriss soll mit dem Bau der neuen Wohnhäuser und des Apartment-Hotels an der Kieler Straße begonnen werden, erklärt ein Sprecher des Bezirksamts Eimsbüttel. Dem Neubau-Lärm sehen die Anwohner recht gelassen entgegen. "Lauter kann es gar nicht werden", sagt Horst Nordmann.