Lange verstand sich Hamburg als wachsende Stadt. In den Visionen von Scholz taucht der Slogan wieder auf - er verrät, wohin die Reise der Stadt geht.

Hamburg. Zumindest die kleine Geste, eine große in der Geschichte, sitzt: Bürgermeister Olaf Scholz ballt kurz die rechte Hand zur Arbeiterfaust. Der ironische wie sympathische Gruß besänftigt die Kreativen, die an diesem sonnigen Maimittag an der Harkortstraße werkeln. Scholz ist zu Besuch in der Neuen Mitte, dem großen städtebaulichen Projekt in Altonas Herzen. Es ist ein Besuch in Feindesland - wenn es das in der SPD-Stadt Hamburg überhaupt noch gibt. Wo alte Fabrikgebäude aus Backstein gewachsene Geschichte symbolisieren, trifft ein alter Kern auf die neue Mitte: architektonisch wie soziologisch.

Auf 75 Hektar plant der Bezirk seine Zukunft. Die Befürworter erhoffen sich neue Wohnungen, Gastronomie - ein neues quirliges Viertel im Herzen der Metropole. Die Gegner fürchten eine Explosion der Mietpreise, die Verdrängung der Alteingesessenen, den Verlust von Heimat. Dieses Städtebauprojekt trägt den Keim zu etwas Großem in sich, aber auch das Risiko grandiosen Scheiterns.

Das Abendblatt hat sich auf den Weg gemacht in die Stadt der Zukunft, so, wie sie sich Bürgermeister Olaf Scholz wünscht - und herbeiregiert. Wir sind mit dem 53-Jährigen an Orte gefahren, die sich wandeln und für das stehen, was der Bürgermeister "Big City" nennt.

Wohnungsbau

Der Wohnungsbau wird über Wohl und Wehe des SPD-Senats entscheiden. Er legt das Fundament für jede erfolgreiche Stadtentwicklung. Das predigt der Harvard-Ökonom Edward Glaeser in seinem Buch "Der Triumph der Stadt", das Scholz seinen Mitarbeitern zur Lektüre empfiehlt. Der Autor stellt die Frage, was tolle Cafés oder ein pulsierendes Kulturleben einer Stadt wie Paris nutzen, wenn die Menschen sich das Wohnen dort nicht mehr leisten können?

"Auch Hamburg hat heute ein Problem mit bezahlbarem Wohnraum", sagt Scholz, der nicht nur Bürgermeister, sondern zugleich Vorsitzender der Senatskommission für Stadtentwicklung ist. Er wird nicht müde, sein Ziel von 6000 neuen Wohnungen pro Jahr immer und überall zu adressieren.

Dazu hat der Senat einen Wohnungsbaupakt mit den Bezirken geschlossen, damit Baugenehmigungen schneller erteilt werden. Der Bedarf ist da und wächst - seit der Wiedervereinigung hat die Stadt fast 200 000 Einwohner auf 1,8 Millionen Einwohner gewonnen - weitere 100 000 könnten in den kommenden Jahren hinzukommen.

Ein großes Bauvorhaben entsteht in Neugraben-Fischbek. Es liegt an der Peripherie und für Scholz doch im Zentrum. Geradezu überschwänglich stapft der Bürgermeister über die Wiese: "Dort hinten kann man Blankenese sehen", schwärmt er, als wäre er der Makler für das Vorhaben.

Hier, wo die Straßen Am Johannisland, Torfstecherweg oder Zum Wachtelkönig heißen, entsteht das "Elbmosaik" - ein Neubaugebiet mit Stadt-, Reihen- sowie Mehrfamilienhäusern. Schon in den 90er-Jahren sollten hier Wohnungen gebaut werden. Damals verhinderten zunächst der Wachtelkönig, dann Planungsprobleme die Bebauung. 16 Jahre später soll es nun endlich losgehen.

"Wünschen Sie sich manchmal ein Beschleunigungsgesetz für den Wohnungsbau?" Scholz verneint. "Wir sind auch so schnell genug." Der Bürgermeister will niemanden verschrecken, erst recht nicht die Umweltverbände, die ihm ohnehin nicht grün sind. Statt Beschleunigung setzt er auf Entflechtung - eine Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche. Die Bezirke genießen jetzt mehr Freiheiten beim Wohnungsbau, sie können selbstständiger und - so die Hoffnung im Rathaus - rascher entscheiden. Zugleich laufen die Fäden beim Wohnungsbaukoordinator zusammen. Und der Senat hat sich das Recht ausbedungen, bei markanten Projekten mit einer schnellen Eingreiftruppe, einer Task Force, die Planung zu übernehmen.

Das geht mit dem Wunsch einher, vor allem zu verdichten. Hamburg soll in die Höhe, nicht in die Breite wachsen. Wo es derzeit drei Geschosse sind, könnten es fünf werden, sagt Scholz; fünfstöckige Häuser dürften auch sieben Stockwerke haben. Für Hamburg kein untypisches Maß - nach den Kriegszerstörungen wurde oftmals niedriger gebaut als zuvor. Doch auch Eigenheime, Stadt- oder Reihenhäuser müssten entstehen. "Auch das geht in der Stadt. Die Menge macht's." Potenzial sieht er vor allem in Jenfeld, Harburg, Wilhelmsburg, Neugraben-Fischbek und Barmbek.

Bildung

Scholz präsentiert an diesem Tag den Stadtteil im äußersten Südwesten. "Da vorn müssen wir lang", zeigt er seinem Fahrer und bittet ihn, an einem Feld zu stoppen, an dem sich die Großstadt in Wiesen verliert. Das Neubaugebiet mag Scholz in seinem Maßstab entfernt an seine eigene Kindheit in einem Reihenbungalow in Wandsbek erinnern.

Hier im Südwesten wachsen Reihenhäuser in den blauen Hamburger Himmel. Gegenüber weihte der Bürgermeister Ende Februar das Bildungs- und Gemeinschaftszentrum Süderelbe ein, schließlich müsse die Infrastruktur zuerst stehen. "Diese Community Center werden Schule, Kita, Sportvereine, Bürgertreff und Jugendzentrum unter einem Dach vereinen - sie werden die Anlaufpunkte für den Stadtteil."

Community Center klingt sehr amerikanisch, das weiß auch Scholz. "Eigentlich heißt es ja auch Gemeinschaftszentrum Süderelbe." Das klingt weniger amerikanisch, dafür technokratisch - fast wie "Küchenzentrum Süderelbe", das nur einen Steinwurf entfernt liegt.

Die Idee hinter den Gemeinschaftszentren ist einfach. Schulen werden zum Impulsgeber für Stadtteile, zum Kristallisationspunkt öffentlichen wie sozialen Lebens. Schulen und Stadtteile sollen sich gegenseitig mit Ideen befruchten. Ein Konzept, das bereits Hamburgs legendärer Oberbaudirektor Fritz Schumacher in den 20er- und 30er-Jahren verfolgte. Damals wurden unter seiner Regie Schulen gebaut, die beispielsweise einen kleinen Theatersaal beinhalteten und Platz für Vereine oder Arbeitsgemeinschaften boten.

"Schulen spielen eine zentrale Rolle", sagt Scholz - und meint die Qualität. Alle sollen zum Abitur führen, Inspektionen das Niveau sichern; die Betreuung der Kinder den ganzen Tag über wird zur Selbstverständlichkeit. Am Nachmittag sollen die Schulen Raum bieten für den Bastelklub, die örtlichen Sportvereine oder Bildungsangebote.

Experten halten gute Schulen für einen elementaren Standortfaktor - gerade, wenn junge Familien sich für oder gegen einen Stadtteil entscheiden, wie der kanadisch-britische Autor Doug Saunders in seinem Bestseller "Arrival City" schreibt. Bildung ist die harte Währung, die über die künftige Höhe des eigenen Wohlstands entscheidet. Wem die Zukunft der eigenen Kinder wichtig ist, fragt zuerst nach den Schulen und Kinderkrippen.

"Eine Stadt ist dann lebenswert, wenn sie aus der Perspektive berufstätiger Eltern lebenswert ist. Skandinavien ist für uns ein Vorbild", sagt Scholz. "Attraktive Krippen- und Kita-Angebote sind von elementarer Bedeutung." Und sie sind der Schlüssel zu einer erfolgreichen Integration der Zuwanderer. Hier finden Migrantenkinder Anschluss, lernen spielend die deutsche Sprache, entwickeln eine Persönlichkeit des Dazugehörens und des Nichtfremdseins. Armut sei "grundsätzlich nicht durch einen Mangel an Geld und Besitz oder fehlende Begabung und zu wenig Ehrgeiz, sondern durch einen Mangel an ,Verwirklichungschancen' bedingt", schreibt Saunders.

"Die Hoffnung auf ein besseres Leben treibt die Menschen", übersetzt Scholz. Eltern sind oft bereit, für das bessere Leben ihrer Kinder zusätzliche, manchmal sogar übermenschliche Mühen auf sich zu nehmen. Immer mit dem Ziel, dass es den Kindern einmal besser geht. Diese individuelle Initiative kann der Staat den Menschen nicht abnehmen. Aber er kann Rahmenbedingungen schaffen.

"Unsere Bildungspolitik muss so früh ansetzen, dass die Kinder ein besseres Leben führen können", sagt Scholz. Bei Saunders heißt es: Am dringendsten werde die Chance auf Bildung benötigt. Dann könne sich eine "ganz neue Gesellschaftsschicht" entwickeln.

Integration

Es ist angenehm kühl im großen Festsaal des Hamburger Rathauses. Während draußen Urlauber und Hamburger die Maisonne genießen, sind an diesen Mittwoch mehrere Hundert Menschen jeden Alters der Einladung zur Einbürgerungsfeier gefolgt. Sie lassen sich stolz mit ihren neuen Pässen neben den Bürgermeister ablichten - ein Schnappschuss für das Familienalbum. Für neue deutsche Familien.

Rund 400 000 Hamburger haben ihre Wurzeln im Ausland - doch nur rund 200 000 von ihnen haben einen deutschen Pass. Das will Scholz ändern. Im Rahmen einer Einbürgerungsinitiative schrieb er 137 000 Migranten an und bat sie, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. "So kann Integration am besten gelingen", sagt er. "Wir müssen die Menschen einladen."

Die Botschaft kommt offenbar an, die Einbürgerungszahlen steigen wieder. Zwischen Januar und April 2012 wurden 2449 Menschen eingebürgert, 736 oder 43 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Zahlen, die Scholz an diesem Mittwoch in die Worte fasst: "Hamburg ist nicht nur das Tor zur Welt, sondern längst auch das Tor für die Welt."

Das offensive Vorgehen ist ein Politikwechsel - und eine Schlussfolgerung aus der gescheiterten Integration vieler türkischer Gastarbeiter, die vor rund 50 Jahren nach Deutschland kamen. Doug Saunders beschreibt dies in seinem Buch am Beispiel von Berlin-Kreuzberg, wo aus seiner Sicht viele Türken "in einer Zeitschleife festsitzen" würden. "Irgendetwas geschieht mit den Türken, wenn sie nach Kreuzberg kommen, etwas, das sie in einer heute nicht mehr existenten türkischen Vergangenheit festhält."

Aus Saunders Sicht liegt die mangelnde Integration vieler Migranten in Deutschland und das Verharren in überkommenen Traditionen an der fehlenden Möglichkeit, die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten zu können. Damit werde Zuwanderern "die Erfahrung von Ankunft verwehrt".

In der Folge würden hierzulande Türken auch noch in der dritten Generation als "Besucher auf Zeit" behandelt und sähen sich selbst im Gegenzug genau so, schreibt der kanadisch-britische Journalist. Die Folge: Keine der beteiligten Gruppen bemühe sich um Verbesserungen in der Ankunftsstadt.

Inzwischen ist der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft einfacher geworden, und Scholz setzt mit seiner Einbürgerungsinitiative an diesem Punkt an. Etwa wenn er an diesem Mittwoch aus der Unabhängigkeitserklärung der USA den Begriff "Pursuit of Happiness" (Streben nach Glück) zitiert und sagt: "Dieser Begriff verkörpert für mich das Angebot, das unsere Stadt allen Bewohnern machen muss."

Es fällt schwer, nicht an die positiven Effekte von Zuwanderung zu glauben: Sie sind da, wenn man sich im Festsaal des Rathauses unter den Menschen aus aller Herren Länder umschaut. Sie sind da, wenn man im arabischen Restaurant um die Ecke den Tisch für den Abend bucht. Sie sind da, wenn man die Filme von Fatih Akin schaut. Scholz spricht von "kultureller Diversität" als wichtigem Standortfaktor, Saunders davon, dass die Zukunft von Metropolen ohne Migration eine düstere ist.

Verkehr

Ein Pflichttermin bei der Präsentation seiner Vision von Stadt ist der Besuch eines Wasserstoffbusses. Scholz hat sich im Wahlkampf gegen die Stadtbahn entschieden und rückt davon nicht ab. "Eine Stadtbahn hätte sich Hamburg nie leisten können", sagt der Bürgermeister und spricht lieber vom Busbeschleunigungsprogramm und emissionsfreien Bussen.

Nun steht er in einem der Brennstoffzellenbusse am Rathausmarkt und lässt sich die Technik erklären. Busfahrer Joachim Will, der seit Jahren die Busse mit dem Treibstoff Wasserstoff auf der Linie 35 lenkt, bestärkt den Bürgermeister. "Die Busse sind allesamt alltagstauglich. Wir hoffen auf die Serienreife." Scholz verspricht: "Zum Ende des Jahrzehnts werden wir nur noch emissionsfreie Busse anschaffen." Die beiden sind sich einig, sie glauben an den Bus.

Andere Verkehrsexperten sind weniger euphorisch, bezweifeln, dass viele Bürger bereit sind, auf Busse umzusteigen. Scholz will nicht weniger, als den Verkehrsträger neu erfinden - er soll in Zukunft an Ampeln Vorfahrt bekommen und geräusch-, emissions- und erschütterungsfrei durch die Hansestadt rollen. "Er kann den Fahrkomfort einer Straßenbahn erreichen", ja eines Tages sogar durch Gebäude rollen.

Manchmal erinnert Scholz mit seiner Fortschrittsgläubigkeit, seinem Zukunftsoptimismus an Politiker längst vergangener Zeiten. Er glaubt daran, dass Ingenieurskunst von morgen die Probleme von heute zu lösen vermag.

Wirtschaft

"Wir können keine Unternehmen gründen", sagt Scholz knapp. Was er meint: Ihm geht es um Rahmenbedingungen - und die Hoffnung, dass Gründer sich von Hamburg anziehen lassen. Anders als Berlin, das mit Subventionen und dem Schlachtruf "arm, aber sexy" lockt, setzt Scholz auf das Flair der Hafenstadt und das kreative Klima.

Vor Kurzem besuchte Olaf Scholz im Portugiesenviertel, einen Steinwurf von dem lärmenden Gewimmel auf der Elbe entfernt, die Zentrale des Reiseveranstalters KiteWorldWide. Ein Kitesurfer werde er zwar nicht mehr, erzählt ein gut gelaunter Senatschef. Doch solche Gründer bräuchte eine wachsende Stadt. Daran hatten die heute 34 Jahre alten Unternehmer im Jahr 2009 nicht im Traum gedacht, als sie sich auf dem Weihnachtsmarkt trafen und "nach dem achten Glühwein" entschieden hätten, ein Kitesurf-Reisebüro aufzumachen.

Firmen würden nicht in Büros am Schreibtisch gegründet, betont Scholz. Ob nun auf dem Weihnachtsmarkt oder abends beim Bier - es geht dem Senatschef um ein Klima der Kreativität und des unternehmerischen Mutes. Wo, wenn nicht in der Stadt, können diese beiden Tugenden blühen? "Die Gründer brauchen die Stadt als Milieu, um weltweit aktiv sein zu können", sagt Scholz.

Dabei verliert der Sozialdemokrat die Industrie nicht aus dem Blick. Anders als in den 80er-Jahren, als viele seiner Parteifreunde die Zukunft Hamburgs vor allem im Dienstleistungsbereich sahen, weiß der Senatschef: Ohne Hafen und Industrie hat Hamburg im globalen Konzert keine Chance. Der Kleine Grasbrook, den Schwarz-Grün einst zum modernen Universitätsstandort und Scharnier zwischen Wilhelmsburg und HafenCity entwickeln wollte, soll daher Hafengebiet bleiben.

Der Herausforderung, der sich Hamburg heute stellen muss, liegt in der Verbindung zwischen "Old" und "New Economy", alter und neuer Wirtschaft. Die Kitesurf-Reiseagentur profitiert von beidem. Die in Hamburg über Jahrzehnte gewachsene Infrastruktur ermöglichte ihnen die Firmengründung, das Internetunternehmen Facebook half bei den ersten Schritten. Mehr als 64 000 Freunde umfasst die Facebook-Community von KiteWorldWide. Das Unternehmen hat das soziale Netzwerk von Anfang an - sozusagen als DNA - in sein Geschäftsmodell eingebaut. Es sind derlei Geschichten, die Olaf Scholz als Beleg für seine These nimmt, derzufolge Metropolen wie Hamburg eine glänzende Zukunft vor sich haben. Städte seien kreative, lebenswerte Zentren, in denen Menschen ihre Ideen umsetzen könnten.

Kultur

Noch vor wenigen Jahren galt es unter Städteforschern als schick, die "Kreative Klasse" zum Maß aller Dinge zu machen. Die "Querköpfe" einer Gesellschaft, so argumentierte der US-Ökonom Richard Florida, seien entscheidend für den wirtschaftlichen Fortschritt. Wenn es gelinge, sie in die Stadt zu holen, würden auch die anderen Geschäfte laufen. Deshalb müsse eine Stadt gerade für Kreative zum Magneten werden. Der Sozialdemokrat Scholz sieht das eher skeptisch. "Von der Kreativen Klasse wird die Stadt nicht allein leben können", sagt er nüchtern.

Zugleich weiß Scholz, dass ohne Kunst und Kultur nichts geht. Und kaum etwas ohne Leuchttürme. Daher bricht er eine Lanze für das neue Wahrzeichen, einen Prestigebau, der Hamburg wahrscheinlich lieb und immer teurer wird. "Ich freue mich auf die Elbphilharmonie, das wird eine große Sache. Sie ist gut für die Stadt, weil allein ihretwegen viele nach Hamburg kommen werden", sagt Scholz. Doch das Konzerthaus soll nicht nur ein attraktives Ziel für Touristen sein, das wie ein Leuchtturm in die Welt strahlt und wie ein Magnet Gäste nach Hamburg zieht, sondern auch die Stadt verbinden. "Jedes Schulkind soll mindestens einmal dort ein Konzert besuchen."

"Werden Sie die Eröffnung als Bürgermeister erleben?" Scholz lacht: "Ja, und wenn ich dazu fünfmal wiedergewählt werden muss."

Stadtentwicklung

Fluch und Segen liegen für den Bürgermeister nah beieinander. Das Problem Elbphilharmonie ist zugleich eine große Chance - in den nächsten Jahren wird die Vision eines neuen Stadtteils Wirklichkeit werden. Längst ist die HafenCity mehr als eine Retortenstadt, mehr als eine Geschäftsstadt Mitte. "Die HafenCity ist ein Segen", sagt Scholz. "Unsere Innenstadt verdoppelt sich." Die weitverbreitete Kritik an der Architektur teilt der Senatschef nicht. Während viele Touristen sich an der "kalten Ästhetik" stören und renommierte Kritiker ätzen, Hamburg "versinkt in Hässlichkeit", ist der Bürgermeister zufrieden. "Das Gesamtensemble ist gelungen." Scholz ist kein Mann für ästhetische Debatten oder große Gefühle. Er schwärmt nicht von Wasserblicken, sondern zusätzlichen Wohnungen, nicht von urbanem Lebensgefühl, sondern neuen Schulen. Nur einmal, während wir über St. Pauli fahren, lässt er sich spontan entlocken: "Die Tanzenden Türme da, die sind doch klasse."

Scholz reagiert immer zurückhaltend, wenn man ihn nach Vorbildern fragt, zum Beispiel nach Städten, an denen Hamburg sich orientieren sollte. "Es gibt kein Vorbild, das man nachahmen kann, und es wäre grundfalsch, etwas nachahmen zu wollen", sagt er ausweichend. "Vielmehr muss man immer wieder offen sein." Scholz will sich nicht festlegen.

Ein neuer Versuch. Welche Stadt ihn privat fasziniere, fragen wir ihn. Scholz zögert ein wenig und schaut aus dem Fenster. "Barcelona", sagt er dann. "Das ist eine beeindruckende Stadt am Wasser." Doch auch die katalonische Hauptstadt will er nicht als Vorbild bezeichnen. Wien fällt ihm noch ein. Weil der Wohnungsbau dort so vorbildlich sei. Das Gespräch könnte noch eine Weile so weitergehen: Vancouver, Stockholm, Amsterdam, London. Es gibt weltweit eine Reihe von Städten, von denen Hamburg lernen kann. Aber auch das gehört zu der Scholz-Idee von der Big City, dass er in Hamburg ein Unikat sieht. Anregungen ja. Pragmatische Lösungen ja. Doch seinen Weg müsse Hamburg selbst finden, sagt Scholz. Und der könne aus einer Vielzahl von Pfaden bestehen. "Hamburg ist so vielschichtig, die Stadt lässt sich nicht auf einzelne Themen reduzieren."

Sozialer Zusammenhalt

Als der Kleinbus durch Wilhelmsburg rollt, fallen die enormen Veränderungen ins Auge. Gärtner arbeiten auf dem Gelände der Internationalen Gartenschau, Kräne ziehen Vorzeigeprojekte der Internationalen Bauausstellung hoch. "Das sind richtige Entscheidungen gewesen", lobt er den Mut seiner Vorgänger. Entscheidend sei, dass in Infrastruktur investiert werde. Die Wilhelmsburger Reichsstraße wird verlegt, neue Schulen wie das Ausbildungszentrum "Tor zur Welt" entstehen.

Olaf Scholz ist ein Nordelbier, aber einer, der den Süden kennt. Er selbst sieht sich als "ein überzeugter Altonaer". Die Mischung seines Viertels mache den besonderen Reiz aus. "Die Altonaer Altstadt kann durchaus Vorbild einer behutsamen Stadtentwicklung sein." Neue Geschäfte, neue Bewohner, neue Firmen sind gekommen, doch die Mischung ist geblieben. Scholz stimmt nicht mit ein in die weitverbreitete Klage über die Aufwertung der Stadtteile, die mit Verdrängung einhergehen kann und den Namen "Gentrifizierung trägt. "Stadtteile haben sich immer verändert. Ottensen war einst ein armes Arbeiterviertel."

Vielmehr müsse es darum gehen, alle Stadtteile lebenswert zu machen - in eine Heimat zu verwandeln, die Menschen beflügelt, ihren Ehrgeiz stärkt, nicht bremst. Zu diesen Rahmenbedingungen gehörten gute Schulen, ausreichend Wohnraum, passende Jobs, aber auch ein attraktives Freizeitangebot. "Eine Stadt lebt von der Hoffnung und dem Elan ihrer Bewohner."

Den Bürgermeister stören "intellektuelle Sperren", dass viele Viertel aus Unkenntnis oder Desinteresse abgestempelt werden. "In Hamburg wird über einige Stadtteile völlig zu Unrecht schlecht gesprochen. Es gibt aber keine No-go-Area". meint der Altonaer.

Die Widerstände vieler Anwohner, die in Hamburg immer häufiger Wohnungsbau oder Infrastrukturprojekte bekämpfen, verzögern, verhindern, sieht er entspannt. Soziologen sprechen längst vom Phänomen der Nimbys. Das bedeutet "Not in my backyard" und meint "Nicht in meiner Nachbarschaft"; gerade in wohlhabenden Stadtteilen ein ernst zu nehmendes Problem, das die Flut an Bürgerentscheiden noch hat anschwellen lassen.

Scholz spricht zwar von einem "großen Konsens für den Wohnungsbau", sagt aber auch: "Wir sind bereit, wenn nötig, zu evozieren." Evozieren bedeutet, den Willen vor Ort im Notfall zu überstimmen. "Wir sorgen für einen fairen Interessenausgleich in der Stadt. Dabei können nicht die Bedürfnisse Einzelner ausschlaggebend sein - die Politik ist dem Allgemeinwohl verpflichtet." Im Klartext: Der Vorsitzende der Senatskommission für Stadtentwicklung lässt sich von Nimbys ungern stoppen.

Scholz hat eine Vision, aber er würde sich hüten, dieses Ziel "Vision" zu nennen. In der Hamburger SPD gilt noch immer das Wort des ehemaligen Innensenators und Altkanzlers Helmut Schmidt: "Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen." Auch Scholz ist kein Zeichner bunter Zukunftsbilder, kein wortgewaltiger Visionär oder spektakulärer Motivator für das Morgen. Er redet lieber von den kleinen Dingen. Vom guten Regieren. Einzeln betrachtet klingen die Ziele wenig spektakulär, doch in ihrem Zusammenwirken fügen sie sich zu einem Bild von Stadt zusammen. Erst mit der Erreichung einzelner Ziele wird deutlich werden, wie Scholz das Gesamtkunstwerk Hamburg prägen wird.