Hamburg. Reconect-Projektleiter stellt Politikern Umfrageergebnisse vor. Diese können damit nicht viel anfangen und vermissen Taten.
Im Februar 2022 drohten Teile der Vier- und Marschlande und auch der Bergedorfer Innenstadt nach heftigem Starkregen unterzugehen. Das Wasser stand in Dove- und Gose-Elbe, aber auch im Schleusengraben bedrohlich hoch. Das Projekt Reconect dürfte den Bezirk Bergedorf vor noch höheren Wasserständen bewahrt haben. Das Tatenberger Siel wurde aufgrund von Modell-Berechnungen des Projekts anders gesteuert, als es die Bedienungsrichtlinien vorgesehen hatten. Dadurch konnte der Wasserspiegel in der Dove-Elbe um 20 Zentimeter gesenkt werden.
In der jüngsten Sitzung des Regionalausschusses berichteten Reconect-Projektleiter Christian Ebel und Angelika Gruhn (Umweltbehörde) von den Ergebnissen einer Umfrage, die unter 1500 Bergedorfern zum Thema Hochwasser- und Gewässerschutz gemacht wurde.
EU will wissen, was den Menschen der Schutz vor Hochwasser wert ist
Das Reconect-Projekt der Europäischen Union ist auf fünf Jahre angelegt und endet im kommenden Jahr. An dem EU-Projekt sind sieben Länder beteiligt, in Hamburg hat man ausschließlich die Vier- und Marschlande im Blick. Das Projekt wurde ins Leben gerufen, um Extremwettersituationen zu begegnen. Denn die nehmen tendenziell in ihrer Häufigkeit zu. Diesen Gefahren mit immer mehr technischen Lösungen wie Schleusen, Deichen oder Wehren zu begegnen, könne aber nicht allein die Lösung sein, meinen die Experten.
Sie setzen auch auf moderne, naturbasierte Lösungen, um hydrometeorologische Risiken wie Hochwasser, Sturmfluten und Dürren zu mindern. Dazu zählen Rückhaltebecken ebenso wie eine naturnahe Gewässerentwicklung. „Es soll mehr Stauvolumen geschaffen werden“, sagte Ebel. Er sprach im Ausschuss von einer Hybridlösung für Bergedorf, einem Mix aus naturnahen Maßnahmen und intelligenter Bauwerksteuerung.
Die EU übernehme einen Teil der Kosten der Digitalisierung, um das Tatenberger Deichsiel optimal online steuern zu können. „Das Steuerungssystem wird auf dem bereits bestehenden Warnsystem aufgebaut“, sagte Ebel.
500 Umfrage-Antworten ausgewertet
Die Fragebögen wurden nach dem Zufallsprinzip im Bezirk verteilt. Zudem konnten sich Interessierte im Internet äußern. Die etwa 250 postalischen Rückläufer und rund 250 Online-Antworten ergaben, dass diejenigen, die sich an der Umfrage direkt nach der Fast-Katastrophe beteiligten, meist in den Vier- und Marschlanden leben und durchschnittlich 53 Jahre alt sind. „80 Prozent haben das Hochwasserrisiko wahrgenommen“, berichtete Ebel. Zwischen 11,32 und 18,45 Euro würden die befragten Haushalte monatlich für naturbasierten Hochwasserschutz und Biodiversität verbessernde Maßnahmen ausgeben. Sie befinden sich damit im europäischen Vergleich im Mittel.
Die Politiker konnten mit diesen Angaben nicht viel anfangen: „Sie hätten lieber Menschen außerhalb der Vier- und Marschlande befragen sollen“, kritisierte Jörg Froh (CDU), denn es sei klar, dass die Menschen auf dem Lande, die von über die Ufer tretenden Elbeseitenarmen unmittelbar betroffen wären, auf der Seite der Hochwasserschützer sind.
Nach Ähnlichkeiten gesucht
Ebel betonte, dass solche Umfragen selten seien und seine Kollegen in Dänemark, die die Umfrage koordiniert haben, wissen wollten, ob es innerhalb Europas Ähnlichkeiten unter den Antworten gibt. „Befragt wurden ausschließlich Menschen, die in Gebieten leben, die alle potenziellen Gefahren ausgesetzt sind.“ Im globalen Vergleich hat sich gezeigt, dass die Anlieger um so mehr zu zahlen bereit sind, desto kleiner ihre städtischen Grünflächen sind. So seien die Menschen, die nahe an einer 0,5 Hektar kleinen Grünfläche in Hongkong (China) leben, bereit, tief in die Tasche zu greifen. Hingegen zeigten die Befragten, die im gleichen Land nahe einem 900.000 Hektar großen Nationalpark in den Bergen leben, eine sehr geringe Bereitschaft.
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Die Europäische Union wolle wissen, wie naturbasierte Lösungen zur Entschärfung von Naturkatastrophen von der Bevölkerung wahrgenommen werden, betonte Ebel. „Mit dieser sozialwissenschaftlichen Studie wird eine Datenbasis geschaffen.“ Es gehe bei dem Projekt darum, Wasserstände „proaktiv runterzufahren“.
Reconect-Maßnahmen überzeugten nicht
Die Ausschussmitglieder waren auch von der Wirksamkeit der Reconect-Maßnahmen während des Hochwassers im Februar 2022 nicht überzeugt: „Es mussten schwere Pumpen aus Bremen rangeholt werden“, sagte Harald Martens (SPD). Ebel entgegnete, dass eine Entwässerung durch das Tatenberger Deichsiel und naturnahe Maßnahmen grundsätzlich effektiver und kostengünstiger seien als der Einsatz von Pumpen.
Neben der Optimierung der Steuerung des Tatenberger Deichsiels – eine Entwässerung durch drei statt bisher zwei Durchlässe – ist deshalb die Optimierung der potenziellen Speicherräume ein weiteres Ziel. Bereits bestehender Speicherraum (Retentionsflächen) für Hoch- und Niederschlagswasser an der Dove-Elbe soll besser genutzt werden können. Doch auch Hitzewellen können Probleme bereiten: „Auch das Trinkwassergebiet in Curslack ist von Dürren betroffen“, sagt Ebel.
Martens befürchtete, dass Reconect den seit mehr als zehn Jahren geplant Bau von drei Schöpfwerken entlang der Stromelbe bremsen könne. Dies sei nicht der Fall, bekräftigte Ebel zum wiederholten Male vor dem Ausschuss. Es handle sich um zwei Projekte, die unabhängig voneinander betrieben werden. Froh fasste zusammen, was viele der Anwesenden gedacht haben mögen: „Wir beschäftigen uns seit mehr als zehn Jahren mit diesem Thema. Ich vermisse Taten. Wir brauchen eine schnelle Lösung.“