Hamburg. Ende einer Ära: Erdölförderung ist laut Betreiber Neptune Energy im „Endzyklus der Lagerstätte“. Wo das schon sichtbar wird.
Aus dem Boden der Vier- und Marschlande schossen die fossilen Brennstoffe einst nur so: Als „Flamme von Neuengamme“ gingen im Jahr 1910 drei Feuersäulen am Kirchwerder Hausdeich in die Geschichte ein. Bei der Suche nach Trinkwasser waren Arbeiter in 247 Meter Tiefe auf Erdgas gestoßen. 20 Tage lang dauerte es, bis das Feuer gelöscht war. Außer Gas war auch eine Menge Öl im Erdreich der Vier- und Marschlande zu finden. Doch allmählich neigt sich das Ölvorkommen hier dem Ende entgegen.
„Wir befinden uns im sogenannten tail end, dem Endzyklus der Lagerstätte“, sagt Mathias Pelger, seit Sommer 2021 Betriebsleiter von Neptune Energy in Allermöhe. Das Unternehmen arbeitet seit Februar 2018 unter dem Namen. Die Wurzeln des deutschen Geschäfts reichen aber schon mehr als 130 Jahre zurück.
Erdöl: In Hamburg werden noch 8000 Tonnen pro Jahr gefördert
Neptune Energy fördert Erdöl und -gas. Am meisten produziert wird in Norwegen (45,7 Prozent), in den Niederlanden (21,2 Prozent) sowie in Indonesien und Australien (20,5 Prozent). Deutschland liefert 18,8 Prozent der Gesamtproduktion, wobei es das einzige Land ist, in dem onshore, also an Land gefördert wird, erklärt Unternehmenssprecherin Sandra Finger.
Außer Betriebsstandorten in Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen befinden sich in Hamburg Produktionsstätten in Sinstorf und in den Vier- und Marschlanden. Im Förderfeld Reitbrook-West wird Öl noch aus acht Bohrungen gefördert, sie befinden sich zwischen Gose-Elbe und Süderquerweg sowie Durchdeich und Kirchwerder Landweg. Die Förderstellen im Altfeld Reitbrook, die vor allem um den heutigen Hauptsitz von Neptune Energy am Allermöher Deich und in Richtung Reitbrooker Sammelgraben liegen, sind bereits stillgelegt.
Insgesamt werden in Hamburg noch etwa 8000 Tonnen Öl im Jahr gefördert. Umgerechnet könne damit der jährliche Heizenergieverbrauch von knapp 5700 Haushalten (mit drei oder mehr Personen pro Haushalt) versorgt werden, erklärt Sandra Finger. Etwa 3700 bis 3800 Tonnen stammen aus den Vier- und Marschlanden. Das ist allerdings nur noch ein Bruchteil dessen, was einst gefördert wurde: 480.000 Tonnen waren es im Jahr 1942 allein in Reitbrook, 2019 dort nur noch 1200 Tonnen.
Erdölförderung in Hamburg ist inzwischen zu aufwendig
Die Produktion sei in den 1940er Jahren eingebrochen, „vielleicht auch, weil man aufgrund der Nachfrage zu intensiv gefördert hatte“, erklärt Sandra Finger. Auch wenn sich heute in tiefen Gesteinsschichten noch weitere Ölvorkommen befänden, werde es neue Bohrungen in den Vier- und Marschlanden nicht geben, so Sandra Finger.
Das sei zu aufwendig und daher wirtschaftlich nicht rentabel, erklärt Mathias Pelger. Solange die bestehende Ölförderung aber wirtschaftlich bleibe, werde die Produktion auch aufrechterhalten. Das richte sich auch nach dem Erdölweltmarktpreis. „Und im Moment ist jede Tonne viel wert“, sagt Sandra Finger.
Die finale Phase der Produktion ist erreicht
Dennoch ist klar: „Wir befinden uns in der finalen Phase der Produktion“, sagt Sandra Finger. Der sukzessive Rückzug von Neptune Energy aus dem Landgebiet hat längst begonnen: Heute sind noch sechs Mitarbeiter in Hamburg beschäftigt – 1991 waren es 63. Starker Einschnitt war die Einstellung des Gasspeichers, der Anfang der 1970er-Jahre in Betrieb genommen worden war.
Er diente zum Ausgleich der Bedarfsspitzen und somit der Sicherstellung einer stabilen Erdgasversorgung. 350 Millionen Normkubikmeter Gas konnten darin gespeichert werden. „Die Stadt Hamburg hätte man damit bis zu sechs Wochen lang versorgen können“, sagt Betriebsleiter Mathias Pelger, der seit 1991 Jahren im Betrieb ist. 2014 wurde allerdings entschieden, dass der Speicher nicht mehr wirtschaftlich sei, und er wurde stillgelegt. Grundsätzlich sei eine Reaktivierung des Speichers möglich, aber technisch aufwendig und nicht vorgesehen, erklärt Sandra Finger.
Sichtbar wird der Rückzug von Neptune Energy auch bereits am Allermöher Deich. An der Ecke zum Schleusendamm standen bis Mai noch vier Hochtanks, nun sind es noch drei. Die gesamte Nassöl- (Gemisch aus Erdöl- und Lagerstättenwasser) und Flüssigkeitsproduktion aus der Erdölförderung wurde einst in die Tanks eingeleitet. Darin wurde das Nassöl aufbereitet, indem die Schwerkraft das mit zutage geförderte Wasser von Erdöl trennt.
Auch Pferdekopfpumpen werden aus der Landschaft verschwinden
Doch da die Fördermenge längst nicht mehr so groß ist wie früher, haben die Hochtanks ausgedient. Ein Tank wurde über die Sommermonate bereits entleert, gereinigt, stillgelegt und dann zurückgebaut. Auch die drei weiteren Tanks sollen in den kommenden zwei Jahren abgebaut werden.
An der Stelle des ersten Tanks ist in den vergangenen Monaten eine neue Aufbereitungsanlage entstanden. Darin wird mittels eines Blockheizkraftwerks aus dem Erdölbegleitgas Strom und Wärme erzeugt. Diese sollen in das System von Neptune Energy eingebunden werden, um die Betriebskosten zu senken. „Die Anlage soll voraussichtlich Anfang nächsten Jahres in Betrieb genommen werden“, sagt Mathias Pelger.
- Öl-Hochtanks in Allermöhe werden durch neue Anlage ersetzt
- Folge der Erdölförderung? In Bergedorf sackt der Boden um bis zu 10 Zentimeter ab
- Oberbillwerder soll ohne Erdgas und Öl auskommen
Neben den Hochtanks sollen auch die markanten Pferdekopfpumpen in den kommenden Jahren aus der Landschaft der Vier- und Marschlande verschwinden. Während acht solcher „Tiefpumpenantriebe“ im Förderfeld Reitbrook-West noch in Betrieb sind, stehen 20 Pferdekopfpumpen im Altfeld bereits still. „Noch werden sie so instandgehalten und kontrolliert, als wären sie in Betrieb“, stellt Mathias Pelger fest. Nach und nach sollen die Pumpen aber abgebaut und mehr als 80 Bohrung mit Zement verfüllt und dauerhaft verschlossen werden.