Neuallermöhe. Fleurie Ngongue verlässt ihre Heimat Kamerun, in Europa platzen viele Träume. Sie schreibt über ihr Schicksal – und ihren Weg zum Glück.

Wenn Fleurie Ngongue ihre Geschichte erzählt, strahlt sie. Das Lachen der 47-Jährigen erfüllt das Café am Fleetplatz. Sie sitzt auf einer der roten Bänke, in den Händen hält sie ihr Werk: „Ihr volles Potenzial muss raus“, heißt das erste eigene Buch der Neuallermöherin auf Deutsch.

160 Seiten, auf die Fleurie Ngongue richtig stolz ist. Es ist ein Motivationsratgeber – aber nicht nur: „Ich erzähle auch meine eigene Geschichte. Um andere Menschen zu inspirieren.“ Denn die dreifache Mutter war nicht immer so lebensfroh. 2000 zieht sie ihrer Tante hinterher – und kommt mit 25 Jahren aus Kamerun nach Deutschland. „Ich hatte so viele Träume, als ich meine Heimat verließ. In Europa wurde ich dann mit der Realität konfrontiert“, sagt Ngongue.

Neuallermöhe: Fleurie Ngongue aus Kamerun erzählt ihre Geschichte

Ihr größter Wunsch: an einer Universität zu studieren. Doch auf den Austausch mit den deutschen Behörden folgt die Enttäuschung. Ihr kamerunischer Schulabschluss reicht nur für bestimmte, wenige Studiengänge.

„Ich konnte kaum Deutsch, und die angebotenen Fächer waren mir zu schwierig.“ Gleichzeitig hat sie damals keinen konkreten Plan. „Der Gedanke war immer nur: Ich gehe nach Europa, dort studiere ich irgendetwas, und es wird alles besser.“ Niemand habe das infrage gestellt.

Fleurie Ngongue erzählt von großer Armut in Kamerun – und einem ganz anderen Familienbild: „Mein Vater hatte zwei Frauen, und ich habe zehn Geschwister.“ Das Geld sei immer knapp gewesen, selbst seine lebensnotwendige Medizin habe ihr Vater sich kaum leisten können. Doch auch in Deutschland ist für die Autorin nicht alles so einfach wie erwartet. Mehrfach bewirbt Fleurie Ngongue sich trotz der geringen Erfolgschancen bei Universitäten – vergeblich.

Selbstzweifel prägten die ersten Jahre in Deutschland

„Ich fing hier und da kleine Jobs an, um etwas Geld zu verdienen.“ Doch 2003 kommt ihr Sohn zur Welt, 2005 und 2007 dann ihre Tochter und der zweite Sohn. Sie bleibt viel zu Hause, verschließt sich immer mehr. „Ich war gescheitert, meinen Traum vom Studium zu erfüllen. Ich fühlte mich so nutzlos.“ Ihr Mann arbeitet, sie hingegen erhält jahrelang Arbeitslosengeld II (heute Bürgergeld).

„Ich wollte etwas ändern, aber es gelang mir nicht. Ich war gefangen in einem Kokon aus Angst und Unsicherheit“, so Ngongue. „Damals bereute ich, nach Deutschland gegangen zu sein.“ Erst 2011 schafft sie es, sich aufzuraffen. Der Ansporn: die Zukunft ihrer Kinder. „Sie sollen ihre Träume erfüllen können. Dafür wollte ich mich einsetzen.“

Also beginnt die Neuallermöherin eine Ausbildung zur Erzieherin, lernt dabei neben dem Beruf auch viel über deutsche Kultur und Erziehung. „Das hat mir sehr geholfen, auch meine eigenen Kinder richtig zu unterstützen.“ In Kamerun sei es nicht üblich, bei Hausaufgaben zu helfen oder sich über Befindlichkeiten auszutauschen. „Eltern und Kinder leben eher nebeneinander her.“

Fleurie Ngongue möchte andere Frauen motivieren

2016 entscheidet die Awo-Erzieherin sich, noch eine Lizenz als Zumba-Trainerin zu erwerben. Und stößt erneut an ihre persönlichen Grenzen: Die Prüfung war das eine, sich wirklich als Trainerin zu bewerben das andere. „Es kostete mich viel Überwindung. Ich war schwarz, übergewichtig und sprach kein allzu gutes Deutsch.“

Ihre Tochter begleitet sie schließlich zu einer Tanzgruppe – mit Erfolg: „Das war ein großartiger Tag: Ich schaffte es, meine Freude am Tanzen zu teilen. Die anderen sahen mein Potenzial.“ Mittlerweile leitet Fleurie Ngongue im Bürgerhaus Allermöhe jeden Mittwoch (19 bis 20 Uhr) ihren eigenen Zumba-Kursus „Dance Forever by Fleurie“. „Alle freuen sich auf diese eine Stunde, in der wir uns nur unserem Körper und unserer Seele widmen und die Sorgen ausblenden.“

Sie ist überzeugt: Jeder Mensch hat Talente. Es gehe darum, sie zu entfalten und mit anderen zu teilen. Gerade in ihrer Umgebung in Neuallermöhe gebe es viele – insbesondere Frauen – aus allen Nationen, die sich „zu Hause verstecken“ würden. Viele würden ihre eigenen Träume und Ideen aufgeben, sobald sie eine Familie haben. „Aber wer sich unsichtbar macht, wird auf Dauer unglücklich“, sagt Ngongue. Sie selbst weiß das genau.

Die 47-Jährige engagiert sich in Neuallermöhe

In ihrem Stadtteil ist sie mittlerweile richtig angekommen: Allein bei dem Treffen mit der Bergedorfer Zeitung am Fleetplatz wird sie dreimal angesprochen. Fleurie Ngongue engagiert sich im Stadtteilbeirat, organisiert im September zum dritten Mal das Gute-Laune-Fest in Neuallermöhe. Dabei kommen alle Menschen zusammen, die möchten. „Wir singen, tanzen, essen die Gerichte aus unseren Heimatländern und haben einfach eine gute Zeit.“

Auch dort versucht Ngongue, andere sichtbar zu machen: Letztes Mal habe es eine kleine Modenschau gegeben. „Eine Bekannte von mir kann so toll nähen, aber zeigt es nie jemandem.“ Ngongue konnte sie überreden, ihre Kleider mitzubringen. „Sie hat so viele Komplimente bekommen. Danach war sie richtig froh.“

Genau das möchte die Neuallermöherin auch mit ihrem Buch erreichen: anderen helfen, ihr Potenzial zu entdecken und sich zu zeigen. Das Buch gibt es auf Amazon und in der Buchhandlung Sachsentor auf Französisch („Libérez votre plein potentiel“) und auf Deutsch zu kaufen (20 Euro).

Neuallermöhe: Die Autorin ist jetzt glücklich in Deutschland

Am 25. Juni von 15 bis 17 Uhr stellt Fleurie Ngongue die deutsche Ausgabe im Bürgerhaus Allermöhe vor. „Jeder ist willkommen“, sagt die Autorin.

Fleurie Ngongues ältester Sohn studiert mittlerweile Umwelttechnik an der HAW in Bergedorf, ihre Tochter schreibt gerade ihr Abitur. „Nun ist alles gut. Ich bin glücklich. Wirklich“, sagt sie. Den „Kokon aus Angst“ habe sie durchbrochen. Jetzt fühle sie sich frei – wie der Schmetterling auf ihrem Buchcover.