Bergedorf. Nutrias schaden der Landwirtschaft, gefährden die Deiche. Warum die Umweltbehörde ein Gutachten abwarten will.

Nutrias breiten sich auch in den Vier- und Marschlanden immer weiter aus, sind längst zur Plage geworden. Die Tiere höhlen Deiche, Gräben und benachbarte landwirtschaftliche Flächen aus. Die Lage sei dramatisch, betonten Vertreter von Jägerschaft sowie Ent- und Bewässerungsverband Marsch- und Vierlande in der jüngsten Sitzung des Regionalausschusses.

Doch die zuständige Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (Bukea) wartet erst die Ergebnisse eines Gutachtens ab, bevor sie sich zu möglichen Maßnahmen äußern will. Darin gehe es auch um „mögliche Maßnahmen für ein Management“. Die Ergebnisse des im November 2022 in Auftrag gegebenen Gutachtens sollen Ende Juli 2023 vorliegen. Dafür fehlt den Politikern die Geduld. Sie forderten bereits im Frühjahr 2022 in einem interfraktionellen Antrag von FDP, SPD, Grünen und CDU eine Strategie zur Regulierung des Nutriabestands. Die Politiker sehen akuten Handlungsbedarf, einige sprechen von „Gefahr im Verzug“ und fordern, dass die Behörde sofort tätig wird.

60.000 Nutrias in Niedersachsen erlegt – in Bergedorf 600

Die invasiven, also ortsfremden Nutrias sind nicht nur in den Vier- und Marschlanden, sondern auch in Neuallermöhe, Nettelnburg, Boberg oder am Brookdeich zur Plage geworden. Ein Jäger berichtete im Ausschuss, dass der Zeitaufwand für die Jagd auf Nutrias groß und deshalb unentgeltlich nicht zu leisten sei. Er wundere sich, dass die Bukea ein Gutachten erstellen lässt, statt einfach in die Niederlande oder nach Niedersachsen zu blicken, wo sich die Tiere in der jüngeren Vergangenheit ebenfalls massiv ausgebreitet haben. So sah es auch Harald Martens (SPD): „Hamburg kann sich mit den Nachbarländern kurzschließen.“ In Niedersachsen seien im vergangenen Jahr 60.000 Nutrias erlegt worden – von 20 Jägern, die nur sich nur auf die invasiven Nager konzentrieren, berichtete der Jäger. Zum Vergleich: In Bergedorf wurden bis Mitte November kaum mehr als 600 Nutrias getötet.

Nutrias in Bergedorf beschäftigen Politik seit zwei Jahren

In Lohbrügge seien bereits viele Hunde von Nutrias verletzt worden, berichtete der Jäger. Die acht bis zehn Kilogramm schweren Tiere mit ihren langen Krallen und scharfen Schneidezähnen verhielten sich häufig aggressiv. Der Horster Damm in Altengamme werde unterhöhlt, dort beschädigten Nutrias die Straße, betonte Erika Garbers (CDU) und fügte hinzu: „Auch auf dem Spielplatz Gleisdreieck in Kirchwerder krabbeln Nutrias rum.“ Weil die Tiere an zahlreichen gewässernahen Orten seien, gehe es auch um den Deichschutz, ergänzte Martens. Ernst Heilmann (Die Linke) erkennt „Gefahr im Verzug“, fordert sofortiges Handeln: „Was soll jetzt noch ein Gutachten, nachdem das Problem seit zwei Jahren bekannt ist?“ Heinz Jarchow (SPD) widersprach: „Wir brauchen ein Gutachten als Rechtsgrundlage, auch weil wir auf Dauer mit dem Thema zu tun haben werden.“

„Seit über zwei Jahren beschäftigt uns das Thema. Vorschläge wurden von uns ausreichend vorgebracht. Nun werden immer mehr Details über die Nutriaplage an den Gewässern, Deichen und Straßen bekannt“, sagt Jörg Froh (CDU). Nutrias kämen bis an Spielplätze von Kindertagesstätten. Froh: „In Wohngebieten werden die Tiere immer aggressiver. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass ein Kind angegriffen oder gebissen wird. Ein Aussitzen bis zur Vorstellung des Gutachtens kann nicht akzeptiert werden.“

Heinz Wulff aus Neuengamme, Landwirt und Vorsitzender des Wasserverbandstags Hamburg, zeigt auf seinem gepachteten Acker in Kirchwerder auf einen Nutriabau. Es ist nur einer von vielen in den Gräben.
Heinz Wulff aus Neuengamme, Landwirt und Vorsitzender des Wasserverbandstags Hamburg, zeigt auf seinem gepachteten Acker in Kirchwerder auf einen Nutriabau. Es ist nur einer von vielen in den Gräben. © Lena Diekmann

Heinz Wulff, Bezirksobmann Neuengamme im Ent- und Bewässerungsverband, Landwirt und Vorsitzender des Wasserverbandstags Hamburg, hatte einige Tage vor der Regionalausschusssitzung Fragen zur Nutria-Problematik schriftlich eingereicht. Er wollte etwa wissen, ab wann wieder geschlechtsreife Nutrias erlegt werden dürfen und wer diese Arbeit übernehmen soll. Nachdem die Bukea Ende 2020 die Schwanzprämie auf Nutrias abgeschafft hatte und seit 2021 nur noch Jungtiere erlegt werden dürfen, ging die Zahl der getöteten Nutrias drastisch zurück – während die Reproduktion der Nager, die jährlich auch einen zweiten oder sogar dritten Wurf zur Welt bringen, in vollem Maße weiterläuft.

Nabu: Einen breiten Uferrandstreifen unbewirtschaftet lassen

Nun, zum Frühjahr, suchen Nutrias sich Partner, paaren sie sich und ziehen nach einer Tragzeit von 19 Wochen ihren Nachwuchs groß. „Die Nahrungsverfügbarkeit ist nun bis zum Herbst groß. Es gibt genug Pflanzen und Kleintiere, um die Jungen großzuziehen“, sagt Dr. Christian Gerbich, Naturschutzreferent des Naturschutzbundes Deutschland in Hamburg. Auf den ersten Wurf folge im Sommer häufig noch ein zweiter, mitunter auch ein dritter. „Die Familie bleibt ein paar Wochen zusammen, bis der Nachwuchs sich eigene Reviere sucht“, sagt Gerbich. Der sei nach fünf, sechs Monaten geschlechtsreif.

Nutrias leben in Röhren, die sie sich im Ufer von Gräben, Seen oder Flüssen bauen. Ihre Wohnstuben polstern sie mit Schilf und dünnen Stöcken aus. „Diese Erdbaue seien meist drei bis vier Meter lang. „Wenn man Gewässer als Biotop betrachtet und einen mindestens fünf Meter breiten Uferrandstreifen unbewirtschaftet lässt, sollte es eigentlich keine Probleme für die Landwirtschaft geben“, sagt Gerbich. „Diese Randstreifen sind wichtig, weil sie den Tieren, die an und in den Gewässern leben, als Wegeverbindung dienen.“

Jäger brauchen Aufwandsentschädigung

Die Antworten der Bukea waren erst kurz vor der Sitzung angekommen. Deshalb leitete die Verwaltung sie noch am späten Abend an Wulff und an die Ausschussmitglieder weiter. Nutria sind keine jagdbare Art, können in Hamburg jedoch im Rahmen des Jagdschutzes bekämpft werden, teilt die Behörde mit. Aber: „Eine Verpflichtung aufseiten der Jägerschaft besteht nicht.“ Und: „Eine ständige, flächendeckende Bejagung der Tiere in befriedeten Gebieten erfolgt in der Stadt Hamburg nicht.“

Die Bukea antwortet weiterhin: „Die einzige realistische Möglichkeit, die Tiere hier in ihrer Zahl zu reduzieren liegt darin, den Lebensraum zu entziehen (z. B. durch Zäune) und die Fütterung der Tiere zu unterlassen.“ Absprachen mit Jägern, Schädlingsbekämpfern oder anderen Institutionen zur Reduzierung der Nutria-Population habe die Behörde bisher nicht getroffen. Dabei seien die Jäger in ihrem Ehrenamt „gegen eine kleine Aufwandsentschädigung bereit, die artgerechte Bejagung der Nutria zu übernehmen“, betont CDU-Mann Froh.

Auch die Mitglieder des Umweltausschusses erhielten die Antworten der Bukea. Damit nicht beide Ausschüsse weiterhin mit dem Thema befasst sind, einigten sich die Politiker im Regionalausschuss auf eine Empfehlung an den Umweltausschuss. Der soll Bezirksamtsleiterin Cornelia Schmidt-Hoffmann auffordern, die Bukea zu fragen, welche Sofortmaßnahmen noch vor Auswertung des Gutachtens ergriffen werden können. Außerdem soll geklärt werden, welche finanziellen Mittel zur Nutria-Bekämpfung notwendig sind. Cornelia Schmidt-Hoffmann soll Geld dafür einwerben. Die CDU kündigte an, den Antrag im Umweltausschuss um einen dritten Punkt ergänzen zu wollen: Bis zur Vorstellung eines Maßnahmenkonzepts im Sommer solle die Bukea dem Bezirk „umgehend eine Zuständigkeitsanordnung“ erteilen, sodass die Bergedorfer Verwaltung handlungsfähig ist.

Die Universität Hamburg und die Bukea bitten darum, Nutriasichtungen zu melden: neobiota-hamburg.de.