Hamburg. Biberratten vernichten heimische Flora und Fauna und unterhöhlen das Land. Warum eine Schwanzprämie nun die einzige Lösung sein soll.
Lange Zeit blieb verborgen, was sich kurz unterhalb der Wasserlinie an den Gräben auf seinem gepachteten Acker am Kirchwerder Marschbahndamm abspielte. Doch als dann vor dem Winter im November der Wasserstand gesenkt wurde, offenbarte sich das ganze Ausmaß der Schäden: „Nutrias haben die Gräben regelrecht durchlöchert“, stellt Heinz Wulff, Landwirt aus Neuengamme, fest. In die Gewässerrändern haben die invasiven Nager, die ursprünglich aus Südamerika stammen, unzählige Höhlen gebaut. „Teilweise ist alle drei Meter ein Bau zu finden“, berichtet Heinz Wulff, der die einzelnen Bauten mit Pfählen gekennzeichnet hat.
Die Bauten reichen mindestens bis zu fünf Meter in den Untergrund hinein und unterhöhlen so das Feld. Es sei eine große Gefahr, die dadurch für Landwirte entstehe, mahnt Heinz Wulff. Schließlich könne das durchlöcherte Land die tonnenschweren Landmaschinen irgendwann nicht mehr tragen und unter deren Last zusammenbrechen, Trecker inklusive Landwirt am Steuer könnten in den Graben abrutschen, warnt Heinz Wulff.
Biberratten: Population vervielfacht sich jedes Jahr
Zudem sind die Gewässerränder von den Nagern, die bis zu zehn Kilo wiegen können, runtergetreten und sacken so in die Gräben ab. Diese verlanden dadurch immer mehr und würden bald nicht mehr für eine Be- und Entwässerung der Flächen sorgen können, warnt Heinz Wulff, seit 2018 Vorsitzender des Wasserverbandstags Hamburg, in dem verschiedene Wasser-, Boden- und Deichverbände der Stadt organisiert sind.
In dieser Rolle fordert Heinz Wulff nun ein konsequentes Handeln der Behörden. „Wenn jetzt nichts getan wird, wird der Schaden riesig sein“, ist der 62-Jährige überzeugt. Schließlich sei sein Acker nur exemplarisch dafür, wie explosionsartig sich die Population der Nager vergrößert: Vor einem Jahr seien es an der Stelle noch gar nicht so viele Nutrias gewesen. „Vielleicht 20 bis 30 Tiere“, schätzt Heinz Wulff. Mittlerweile könne nur anhand der vorhandenen Bauten geschätzt werden, dass sich die Zahl vervielfacht habe. Kein Wunder: Nach einer Tragzeit von 19 Wochen bringt das Weibchen sechs bis acht Junge zur Welt, die nach fünf Monaten geschlechtsreif sind. Doch während in ihrer Heimat der Puma für eine natürliche Auslese sorgt, haben sie hierzulande keine natürlichen Fressfeinde und vermehren sich dadurch munter weiter.
Invasive Art vertreibt heimische Flora und Fauna
Mittlerweile hätten die Nutrias bereits heimische Tiere und Pflanzen verdrängt: „Bisamratten sind gar nicht mehr zu sehen“, erklärt Heinz Wulff. Und auch das Grünzeug in den Gräben, an den Gewässerrändern sowie Muscheln und Schnecken lassen sich die Nager schmecken. Nicht nur das: Auf dem Acker von Heinz Wulff, der Rhabarber, Raps, Getreide, Hokkaido-Kürbisse und Petersilie anbaut, hatten es die Nutrias im vergangenen Jahr vor allem auf die Kräuterpflanze abgesehen. Auf etwa vier Hektar nagten sie die Petersilie ab. „Das bedeutete einen finanziellen Schaden im hohen fünfstelligen Bereich“, beziffert Heinz Wulff das Ausmaß.
Er erkennt allerdings nicht nur eine Gefahr für Flora und Fauna, sondern auch für die Menschen: Einige der Wassergräben, in denen die Nutrias sich besonders wohlfühlen, verlaufen direkt hinter der Kita „Elkes 7 Zwerge“ sowie dem Gelände, auf dem derzeit die neue Stadtteilschule Kirchwerder gebaut wird. Ein Bauzaun, der über eine Nutria-Höhle verläuft, ist dort schon merklich abgesackt. Da die Nager sich bis zu fünf Meter weit ins das Gelände hineingraben, könnten sie so auch irgendwann mitten auf Kita- oder Schulgelände wieder aus der Erde auftauchen und mit ihren scharfen Schneidezähnen womöglich Kinder angreifen, fürchtet Heinz Wulff.
Nager verlieren ihre Scheu vor den Menschen
Denn die Nager sind immer mehr an die Menschen gewöhnt und haben ihre einstige Scheu längst abgelegt. Dazu trägt auch bei, dass die possierlich anmutenden Tiere von einigen Menschen gefüttert werden. In Bergedorf wurden daher bereits Warnschilder aufgestellt, um Menschen vom Füttern der Wildtiere abzuhalten. Auch die Bergedorfer Politik hat längst erkannt, dass die Nutrias in den Vier- und Marschlanden, aber auch in Neuallermöhe, Nettelnburg oder am Brookdeich zur Plage werden und forderten bereits im Frühjahr 2022 mit einem interfraktionellen Antrag von FDP, SPD, Grünen und CDU eine Strategie zur Regulierung des Nutriabestands.
Doch das Vorgehen der Umweltbehörde (Bukea) blieb zögerlich: Zunächst müsse ein Gutachten erstellt werden, wofür es allerdings konkrete Meldungen von Schäden brauche, erklärte eine Bukea-Mitarbeiterin im November im Umweltausschuss der Bergedorfer Bezirksversammlung. Nachdem die Bukea Ende 2020 die Schwanzprämie auf Nutrias abgeschafft hatte, wurden 2021 noch 1100 Tiere in Bergedorf getötet, bis Mitte November 2022 waren es gerade einmal 600 gewesen. Verständlicherweise, meint Heinz Wulff. Zum einen dürfen seit 2021 nur noch Jungtiere erlegt werden, sodass die Reproduktion in vollem Maße weiterlaufe. Und schließlich würden die Jäger pro Nutria etwa zwei Patronen brauchen, um das Tier zu erlegen. Bei Kosten von einem Euro pro Patrone würden sich bei einer so großen Zahl an Tieren schon hohe Kosten ergeben, die die Jäher ohne Schwanzprämie aus eigener Tasche zahlen müssten.
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So könne es nun nicht mehr länger weitergehen, ist Heinz Wulff, der auch bereits im intensiven Austausch mit der Landwirtschaftskammer und Umweltbehörde (Bukea) steht. Bevor es ein langfristiges Nutria-Management geben könne, müsse nun kurzfristig etwas passieren, fordert Heinz Wulff. Aus seiner Sicht könne in Hamburg nur noch eine konsequente Bejagung aller Altersstufen der Nutrias die Lösung sein. Der Vorsitzende des Wasserverbandstages fordert eine Wiedereinführung der Schwanzprämie. Um die Population möglichst effektiv einzudämmen, sollte es in den ersten vier Wochen 20 Euro pro Tier, im anschließenden Monat 15 Euro pro Tier und danach 10 Euro pro erlegtem Nutria geben, so Wulff. „Je schneller die Population reduziert wird, desto weniger Tiere müssen schlussendlich getötet werden“, erklärt Wulff.