Hamburg/Groß-Wittfeitzen. Seit 1973 campieren jeden Sommer rund 300 Kinder aus Hamburg in Groß-Wittfeitzen. Doch der Freizeitspaß hatte auch Schattenseiten.

Tausende Kinder haben in den Zeltlagern der evangelischen Nordkirche in Groß-Wittfeitzen ihre Ferien verbracht. Jeden Sommer steht dort, im Wendland zwischen Lüchow und Dannenberg, wochenlang Spiel und Spaß auf dem Programm – und das bereits seit 50 Jahren, denn das erste Zeltlager wurde 1973 aufgeschlagen. In dem Jahr erwarb die Kirchengemeinde Curslack das Grundstück. Im vergangenen Jahr warf allerdings eine Mitteilung der Kirche einen Schatten auf das fröhliche Geschehen: Damals wurde öffentlich, dass bereits Anfang der 2000er-Jahre ein ehemaliger Teamer einen Jungen sexuell missbraucht haben soll.

Auch in diesem Sommer werden wieder insgesamt rund 300 Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 14 Jahren per Reisebus ins Wendland reisen – in zwei Gruppen, vom 15. bis zum 29. Juli und vom 5. bis zum 19. August. Die Kirchengemeinde Curslack ist im August dabei, reist mit 31 Kindern und sieben Betreuern an. Insgesamt werden rund 100 Betreuer im Einsatz sein. Ehrenamtliche sind bereits vor Ort, um das Zeltlager aufzubauen. Auch zwischen den beiden Terminen haben sie ordentlich zu tun, stellen sie unter anderem die Zelte um, die kleine, nach Kirchengemeinden sortierte Dörfer bilden.

Zeltlager: Seit 50 Jahren uriger Ferienspaß in Groß-Wittfeitzen

Leiterin des Curslacker Teams ist Ariane Preiß. Der 28-jährigen Sonderpädagogin aus Neuengamme geht es wie vielen weiteren Betreuern: Sie verbrachte als junger Mensch selbst einen Großteil ihrer Ferien in dem Zeltlager. „Als Kind war es eine wahnsinnig tolle Erfahrung, mal zwei, drei Wochen ohne Eltern zu sein und mit anderen Kindern durch den Wald zu streifen. Seit ich 16 bin, fahre ich als Betreuerin der Kirchengemeinde Curslack mit“, sagt sie. „Dort herrscht ein tolles Gemeinschaftsgefühl. Ich bin mit vielen Freunden unterwegs.“

Zu ihrer Arbeit als Teamerin gehöre aber mehr als die Beschäftigung mit den Kindern vor Ort: „Viel Organisation und Vorbereitung, von der Werbung über Infos für die Eltern bis hin zur Regelung der Anmeldungen.“

Im Zeltlager die große Liebe kennengelernt

2011 lernte Ariane Preiß in Groß-Wittfeitzen ihren Ehemann kennen. Er war Tellerwäscher aus dem 15 Mitarbeiter starken Küchenteam. Jedes Jahr trafen sie sich dort wieder. „Seit viereinhalb Jahren sind wir ein Paar, am 1. Juli haben wir geheiratet – dort auf dem Gelände.“

Ute Schmidt (links) hat sich lange um die Organisation des Zeltlagers gekümmert, Ariane Preiß leitet das Curslacker Zeltlager-Team. 
Ute Schmidt (links) hat sich lange um die Organisation des Zeltlagers gekümmert, Ariane Preiß leitet das Curslacker Zeltlager-Team.  © Heyen

Ute Schmidt (58) aus Curslack kennt das Zeltlager ebenfalls sehr gut. Die Reitlehrerin war zehn Jahre lang mit für die Gesamtorganisation zuständig. „Vor knapp 20 Jahren, als ich mit einstieg, war alles noch nicht so richtig strukturiert. Doch die Kirchengemeinden und auch die Eltern forderten damals mehr Informationen und Transparenz“, sagt sie.

Sie war diejenige, die frischen Wind und vor allem Struktur in die Organisation brachte: Sie stellte klar, welche Rechte und Pflichten die Kirchengemeinden haben, kümmerte sich um nachvollziehbare Abrechnungen beim Zelte-Verleih der verschiedenen Kirchengemeinden und generell um ordentliche Formulare. „Ich kann gut Dinge anschieben.“

Die Bürokratie hat zugenommen – notwendigerweise

Zwar habe sie auf der einen Seite für mehr Bürokratie gesorgt, auf der anderen Seite durch ihre Arbeit Gemeinden dazugewonnen. Neben allen Vierländer Kirchengemeinden sind auch Bergedorfer und Hamburger Gemeinden dabei. Ihre Arbeit gab sie vor einiger Zeit an Felix Preiß (32) aus Bergedorf ab, den Schwager von Ariane Preiß. Er ist mittlerweile der erste Ansprechpartner für das Team der Kirchengemeinde Curslack und Mitglied im Zeltlager-Verband, einem Zusammenschluss der beteiligten Kirchengemeinden und das Gremium, das die Organisation der Lager steuert.

„Zwischen lauter 20 Jahre alten Betreuern wurde es höchste Zeit, den Job abzugeben“, sagt Ute Schmidt. „Sie haben einen anderen Blick auf alles, und ich wollte sie nicht bremsen. Ist man älter, wird man nämlich zu vorsichtig, etwa wenn es um Kletteraktionen der Kinder geht.“ Die Zeltlager seien seit eh und je von jungen Menschen betreut worden, betont die 58-Jährige, „mit Ausnahme einiger älterer Diakone und Pastoren“.

Team mit Rettungssanitätern, Feuerwehrleuten und Rettungsschwimmern

Vor Ort seien die Betreuer bestens aufgestellt, weiß Ariane Preiß: „Unter uns Ehrenamtlichen gibt es Rettungssanitäter, Feuerwehrleute und Rettungsschwimmer.“ Die Kinder und Jugendlichen haben eine urige Zeit im Wald: Sie schlafen auf Stroh, Allergiker in Feldbetten. Sie werden komplett bekocht, können sich wochenlang Spiel und Spaß widmen.

Es gibt ein nahe gelegenes Naturbad im Wald, Nachtwanderungen, Geländespiele, Sportangebote, Discoabende und Mottotage mit Verkleidungen, die vor Ort gebastelt werden. An jedem Abend stehen Gesang, Gebete und die Bibelgeschichte in Form von Theaterszenen auf dem Programm. Die Kinder erwarte ein strukturierter Tagesablauf, betont Ariane Preiß.

Nahe dem Zeltlager Groß-Wittfeitzen (Niedersachsen) der evangelischen Nordkirche ist ein Naturbad im Wald, das auch von den Kindern aus dem Zeltlager gern besucht wird.
Nahe dem Zeltlager Groß-Wittfeitzen (Niedersachsen) der evangelischen Nordkirche ist ein Naturbad im Wald, das auch von den Kindern aus dem Zeltlager gern besucht wird. © Evangelische Nordkirche/Kirchengemeinde Curslack

Es sind noch Plätze frei

Im Team Curslack sind keine Plätze mehr frei, aber noch einige wenige – für beide Termine – bei den anderen Kirchengemeinden. Jedes Kind ist willkommen, gemeindeübergreifend und egal, ob in der Kirche oder nicht. Auch Kinder mit Einschränkungen dürfen mit, lediglich Rollifahrer können nicht versorgt werden. Für zwei Wochen Zeltlager werden 390 Euro fällig – alles inklusive. Einkommensschwache Familien können von der Kirche Zuschüsse bekommen.

Eltern, deren Kinder mit nach Groß-Wittfeitzen wollen, können eine E-Mail senden: zeltlager-curslack@web.de. „Außerdem finden sich auf den Internetseiten der beteiligten Kirchengemeinden Zeltlager-Buttons“, sagt Ariane Preiß. Das Curslacker Gemeindebüro ist telefonisch unter 040/723 11 40 erreichbar.

Schutzkonzept gegen Missbrauch wird aktualisiert

So groß die Freude über 50 Jahre Zeltlager ist – so gibt es auch einen Schatten, der auf dem Camp liegt. Im September des vergangenen Jahres hat die Kirche öffentlich gemacht, dass bereits Anfang der 2000er-Jahre ein damaliger Teamer einen neunjährigen Jungen im Zelt und unter der Dusche missbraucht haben soll. Die Kirche suchte auf diesem Weg nach Betroffenen und Zeugen.

Die Pastoren und Diakone im Pfarrsprengel Vierlanden teilten mit, dass auf Transparenz und Aufarbeitung gesetzt werde. Um Kinder zu schützen und Eltern zu beruhigen, würden seit Jahren umfassende Schutzkonzepte entwickelt, die missbräuchliche Strukturen verhindern sollen. Unter anderem seien stets ein männlicher und ein weiblicher Betreuer zu zweit unterwegs. Im Lager gebe es eine Mail-Box, in die die Kinder einen Zettel werfen können, wenn sie etwas bedrückt. Zudem gebe es eine kirchlich unabhängige Meldestelle.

Vorsichtsmaßnahmen sind deutlich ausgebaut worden

Ute Schmidt und Ariane Preiß waren Anfang der 2000er-Jahre, als es zu dem Missbrauch gekommen sein soll, noch nicht im Zeltlager aktiv, haben in ihrer Zeit nie von solchen Fällen erfahren, berichten die beiden Frauen. Die Vorsichtsmaßnahmen, die deutlich ausgebaut worden seien, sind ihnen hingegen natürlich bekannt.

„Die Kinder haben Vertrauenspersonen, und es gibt klar formulierte Meldeketten, was auch wichtig für uns Betreuer ist“, sagt Ariane Preiß. Die Pastoren würden ein erweitertes Führungszeugnis prüfen, bevor ein neuer Teamer mithelfen darf. „Alle Mitarbeiter werden durch den Kirchenkreis geschult und das bestehende Schutzkonzept wird immer wieder aktualisiert.“

Remmer Koch, Sprecher des Kirchenkreises Hamburg-Ost, hält sich bedeckt: Es habe „Resonanzen nach dem öffentlichen Aufruf gegeben“. Koch: „Aus Rücksicht auf die Personen haben wir zunächst Vertraulichkeit vereinbart. Sobald wir zu einem späteren Zeitpunkt Näheres sagen können, werden wir dies auch öffentlich machen.“