Bergedorf. Vor Jahrzehnten machte ein Hinweisschild Wolfgang Stannius neugierig. Jetzt konnte er mit dem ASB-Wünschewagen das Gelände besuchen.
Ein letztes Mal die Füße in den Ostseesand stecken, einmal noch den Rüssel der Elefanten bei Hagenbeck berühren oder von der Aussichtsplattform der Elphi auf die Elbe gucken: Es sind oft keine großen Wünsche, die sterbenskranke Menschen am Ende ihres Lebens haben.
Der Wunsch von Wolfgang Stannius war es, die Sternwarte in Bergedorf zu besichtigen. Der 88-Jährige aus Hamm ist schwer krank, eine Heilung nicht in Sicht. Stannius ist in das neue Hospiz in Allermöhe umgezogen. Sein Wunsch konnte ihm jetzt mithilfe des Wünschewagens erfüllt werden – einem Projekt des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) in Hamburg.
ASB-Wünschewagen bringt Todkranken zur Bergedorfer Sternwarte
Die Ehrenamtlichen ASBler Heike Jegede und Carsten Heidmann holten Wolfgang Stannius mit dem Wünschwagen aus dem Hospiz ab. In dem Krankentransportwagen können Menschen auch liegend transportiert und medizinisch versorgt werden. Thomas Stannius begleitete seinen Vater. „Viel gemeinsame Zeit bleibt uns nicht mehr“, sagt Thomas Stannius, der sich mit seiner Schwester regelmäßig bei den Besuchen abwechselt.
Als sie die Sternwarte erreichen, sind alle vier Fahrtteilnehmer erstaunt über die Weitläufigkeit des Geländes am Gojenbergsweg und die Schönheit der über 100 Jahre alten Gebäude. Es ist für alle der erste Besuch der Bergedorfer Sternwarte.
Und genau das ist der Grund, warum Wolfgang Stannius sich dieses Ziel für seine Wunschfahrt ausgesucht hat: „Ich bin zur See gefahren, habe quasi die ganze Welt – bis auf Australien – gesehen, nur das, was direkt vor Ort ist, kenne ich nicht“, sagt Stannius, als er im Rollstuhl über das Gelände geschoben wird.
Nur einen Tag lang die Krankheit vergessen
Dabei hatte er schon vor Jahrzehnten, als ihm im Vorbeifahren das Hinweisschild zur Sternwarte auffiel, den Wunsch, diese zu besuchen. Damals reiste gelernte Stellmacher und Zimmermann über die Transitstrecke auf der B5 von Hamburg nach Berlin, um dort als Polier auf Baustellen zu arbeiten. Jahrzehnte später erfüllt sich sein Wunsch. Als Astrophysiker Jan-Torge Schindler die kleine Gruppe über das Gelände führt, erinnert sich der Senior an die „unglaublich weiten und beeindruckenden Sternenhimmel auf offener See“. Dort, wo kein Licht das Leuchten stört – ähnlich wie vor 100 Jahren auf dem Gojenberg.
„Viele zehren noch lange von den Erinnerungen an diesen Tag, an dem mal für ein paar Stunden die Krankheit in den Hintergrund gerät“, weiß Heike Jegede. 20 Fahrten in drei Jahren hat die 57-Jährige bereits begleitet und fast immer nur „Freude, Spaß und beglückende Momente erlebt“. Und wie wichtig die sind – auch für die Angehörigen – das weiß die Altenpflegerin im Palliativdienst genau. Dort, wo sie täglich ein- und ausgeht, müssen Menschen früher oder später für immer Abschied nehmen.
Am Ende der Fahrt geht es beglückt und geschafft zurück ins Hospiz
Ihr ASB-Kollege Carsten Heidmann ist im Alltag dem Lebensende nicht so nah. Für den IT-Fachmann mit Rettungssanitätererfahrung war es die erste Fahrt im Wünschewagen. „Ein wenig unsicher war ich schon“, gibt der 52-Jährige zu. „Ich bin froh und erleichtert, dass auf der Fahrt viel gelacht wird.“
- Bergedorf: Was die „First Lady“ über das eigene Sterben denkt
- Sterbehilfe: Der Wunsch zu sterben – wie das Bethesda damit umgeht
- Tödlicher TikTok-Dreh: Trauernder Zwilling warnt vor riskanten Mutproben
Selbst als sich herausstellt, dass die geplante Führung über das Sternwartengelände nicht stattfindet und eine Besichtigung fast gescheitert wäre, bewahren alle die Ruhe. Glücklicherweise springt kurzerhand Astrophysiker Jan-Torge Schindler ein. Der Wissenschaftler forscht zu Schwarzen Löchern und hat erst diesen Monat seine Stelle auf dem Sternwartengelände angetreten. Dass hier ein wenig Improvisation nötig ist und es nicht auf historisches Wissen ankommt, merkt er schnell.
Wolfgang Stannius hört aufmerksam zu, fragt interessiert nach und fährt glücklich, aber auch geschafft und müde von der Anstrengung an dem heißen Sommertag zurück ins Hospiz.
„Der Hamburger Wünschewagen ist seit Oktober 2017 unterwegs und hat seitdem mehr als 200 Herzenswünsche erfüllt“, sagt Annett Habermann vom Wünschewagen-Team. Bei ihr gehen die Wunschanfragen ein. Treibende Kraft, die den Wünschewagen nach Hamburg geholt hat, war der Reinbeker Gerd Prüfer, vielen bekannt aus der Kommunalpolitik. Der SPD-Mann ist seit Beginn ehrenamtlicher Projektleiter.
Finanziert wird der Wünschewagen aus Spenden. Der Transport zum Konzert, ans Meer oder zur Familienfeier ist für die Mitfahrer und ihre Angehörigen kostenfrei. Das Projekt lebt vom Engagement der 40 Ehrenamtlichen wie Carsten Heidmann und Heike Jegede.