Hamburg. Ausländerfeindlichkeit und Kritik an Fachkräfte-Anwerbung verunsichert Mediziner mit Migrationshintergrund – mit dramatischen Folgen.
Die Ausländerfeindlichkeit der Bergedorfer AfD-Fraktion legt die Axt an die Zukunft der medizinischen Versorgung im Hamburger Osten. So sieht es jedenfalls Markus Knöfler, Geschäftsführer des Praxis- und Gesundheitsnetzes Herzogtum Lauenburg: „Mit ihrer Politik zieht die AfD die Qualifikation und das Bleiberecht der gut 20 Prozent Ärzte und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund in unseren 170 Praxen und sieben Krankenhäusern in Zweifel, darunter auch im Bethesda und dem BG Klinikum in Boberg.“
Das könne schnell zu massiven Beeinträchtigungen der medizinischen Versorgung führen. „Selbst wenn die betroffenen Kollegen diese unterschwelligen Anfeindungen noch mit Galgenhumor nehmen: Irgendwas bleibt immer hängen“, so Knöfler weiter.
Experte warnt: AfD gefährdet Bergedorfs Kliniken und Praxen
Der 47-jährige Gesundheitsmanager aus Lohbrügge knöpfte sich die AfD am Donnerstag (19. Dezember) in der Bezirksversammlung vor, wo er schon im Mai mit seinem Auftritt in der Bürgerfragestunde einen regen schriftlichen Austausch auslöste. Ging es damals um die Genitalverstümmelung von Mädchen mit Migrationshintergrund in Deutschland, was laut AfD „in unserem Land toleriert“ werde, stand jetzt die angeblich zweifelhafte Qualität der im Ausland ausgebildeten Fachkräfte im Mittelpunkt.
Wobei die AfD deren Anwerbung ganz grundsätzlich in Zweifel zieht: „Wir müssen unsere Fachkräfte selbst ausbilden, statt andere Länder auszuplündern“, sagte Fraktionsvize Eugen Seiler in der Bezirksversammlung.
Ausländerfeindlichkeit untergräbt medizinische Versorgung
Während die AfD hinter Knöflers Erscheinen lautstark ein Wahlkampfmanöver der anderen Fraktionen vermutete, nutzte der die Gelegenheit, den AfD-Populismus mit realen Zahlen und Fakten zu konfrontieren: „Es gibt Abkommen zum Abwerben von Fachkräften, etwa mit Kenia, Tunesien oder auch Bosnien-Herzegowina. Diese Länder bilden besonders auch in pflegerischen Berufen mehr Menschen aus, als sie selbst in den Arbeitsmarkt integrieren können.“
Zudem sei die von Seiler im Schriftverkehr mit ihm genannte Zahl von zehn Millionen Deutschen, darunter 5,5 Millionen Bürgergeldempfängern, die dem Arbeitsmarkt zugeführt werden könnten, irreführend. „Die zehn Millionen schrumpfen bei genauerer Betrachtung auf knapp ein Drittel, weil darunter viele Aufstocker aus dem Niedriglohnsektor sind, die also längst arbeiten, und auch Menschen, die in Qualifizierungsmaßnahmen stecken.“
„Kalkulation der AfD geht vorne und hinten nicht auf“
Die Perspektive bei den Fachkräften sei schon für die kommenden Jahre dramatisch: „Es ist längst klar, dass bis 2030 in Deutschland etwa fünf Millionen Menschen mehr den Arbeitsmarkt verlassen, als hinzukommen. Die Kalkulation der AfD geht also vorne und hinten nicht auf“, rechnet Markus Knöfler vor.
Und das werde den ohnehin personell schon angeschlagenen medizinischen Sektor ganz besonders treffen: „Uns in dieser Lage auch noch zu unterstellen, wir würden mit der Mitarbeiterwerbung andere Länder ausplündern“, lasse die Bergedorfer schon bald im Regen stehen: „Die Versorgungslast wird hier in den kommenden 15 Jahren massiv steigen. Wir werden im Vergleich zu heute Tausende Diabetiker und Krebspatienten zusätzlich versorgen müssen.“
„Die Wahrheit ist für die AfD nichts mehr als ein Wahlkampfgetöse“
Schon heute liege der Anteil von im Ausland ausgebildeten Ärzten in Deutschland bei fast 15 Prozent, verweist Markus Knöfler auf eine Erhebung vom Dezember 2023. „Für mich stellt sich angesichts solcher Zahlen ganz nebenbei die Frage, wie viele AfD-Mitglieder sich in Bergedorf längst selbst von Ärzten mit Migrationshintergrund versorgen lassen“, ergänzte SPD-Fraktionschefin Katja Kramer in der Bezirksversammlung. Und Kollegin Christin Feiler-Siegert von den Linken stellte in der Debatte fest, „wie wichtig es ist, den von der AfD verzapften Blödsinn immer wieder zu entlarven. Denn die Wahrheit ist für die Vertreter dieser Partei nichts mehr als ein Wahlkampfgetöse“.
Tatsächlich mühte sich AfD-Fraktionschef Reinhard Krohn mehrfach, den Auftritt von Markus Knöfler in der Bürgerfragestunde als ferngesteuert von den anderen Fraktionen darzustellen: „Alle unsere Zahlen sind absolut richtig. Und natürlich ist es Fakt, dass abgeworbene Fachkräfte in ihren Herkunftsländern fehlen.“ Zudem wolle die AfD „keine gut integrierten Fachkräfte aus Deutschland abschieben“, auch wenn die anderen Parteien diesen Eindruck vermitteln wollten.
Stetige Kritik an Ärzten mit Migrationshintergrund fördert Gefühl, Mediziner zweiter Klasse zu sein
Dass deren Abwanderung aber die Folge der AfD-Politik sei, deren aktuelles Hamburger Wahlprogramm sogar das bewährte Anerkennungsverfahren von im Ausland abgelegten medizinischen Abschlüssen infrage stelle, steht für Markus Knöfler fest: „Solche Vorstöße lassen Ärzte mit Migrationshintergrund als Mediziner zweiter Klasse erscheinen. Das macht natürlich etwas mit den Betroffenen selbst, aber auch mit ihrem Ansehen bei den Patienten.“
Mittelfristig fördere das ständige Wiederholen solcher willkürlichen Behauptungen den Verlust dieser Mediziner für das deutsche Gesundheitswesen.
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Das sei das genaue Gegenteil dessen, wofür sich das Praxis- und Gesundheitsnetz Herzogtum Lauenburg vor gut 15 Jahren gegründet habe: „Wir stehen für die Sicherung der Qualität der medizinischen Versorgung und deren Verbesserung im Hamburger Osten“, sagte der Gesundheitsmanager am Donnerstag. Und er kündigte weitere Besuche in der Bezirksversammlung an: „Die Politik der AfD braucht kritische Nachfragen – und zwar permanent.“
Wie wichtig viele dieser Mediziner mit Migrationshintergrund gerade auch zu Weihnachten sind, zeige ein Blick in die Besetzung der Dienst über die Feiertage: „Gerade jetzt stellen in den Kliniken und bei allen sonstigen Notdiensten diese Kollegen den Großteil des Personals“, sagt Markus Knöfler. „Wer aus anderen Kulturkreisen stammt, für den hat Weihnachten nicht die Bedeutung wie für uns.“