Hamburg. Seit 16 Jahren wird hinter den Kulissen um den Bebauungsplan für das Stuhlrohr-Quartier gerungen. Die Natur war derweil nicht untätig.

Verfallende Gebäude, umfangreiche Leerstände, abgesperrte Innenhöfe, zugenagelte Fenster und Türen: 16 Jahre nach dem Ende der Bergedorfer Stuhlrohrfabrik gleichen ihre 4,5 Hektar heute einer vergessenen Fläche, einem Lost Place. Kaum 200 Meter neben der Bergedorfer City gelegen, gleich hinter CCB Fachmarktzentrum und dem Bergedorfer Tor, ist die Natur bereits dabei, sich weite Bereiche zurückzuerobern. Einzig der Mega-Zoo und das ehemalige Dänische Bettenlager „Jysk“ sorgen hier noch für etwas Leben.

Dabei wird hinter den Kulissen längst an einer Zukunft dieses Filetstücks gerungen. Und sogar das schon seit 2016, als der damalige österreichische Wohnungsbaukonzern Buwog, heute Teil des noch größeren Imperiums der Vonovia, die alten Fabrikflächen für 47 Millionen Euro kaufte. Doch seit die Bürgerinitiative „Bergedorf stellt alles in den Schatten – für ein lebenswertes Stuhlrohr-Quartier“ die hochtrabenden Pläne des Konzerns 2018 per Bürgerbegehren deutlich stutzte, dringen kaum noch Details an die Öffentlichkeit, die Anlass zur Hoffnung geben könnten, dass die ewigen Planungen endlich in reale Bauarbeiten münden.

Wohnungsbau: Areal für Stuhlrohr-Quartier entwickelt sich zum Lost Place

Immerhin sollen hier rund 1000 Wohnungen entstehen, dazu vielfältiges Gewerbe von Gastronomie über Einzelhandel und Hotels bis zu einem gläsernen Zentrum für Start-up-Unternehmen im künftigen grünen Herzen des Stuhlrohr-Quartiers direkt am Schleusengraben. So informierte das Bezirksamt zuletzt vor einem Jahr per öffentlicher Mitteilung die Lokalpolitik. Selbst Architekten und Landschaftsplaner hätten damals längst Wettbewerbe zur künftigen Gestaltung absolviert.

Stuhlrohr-Quartier
An vielen Stellen ist das ehemaligen Areal der Bergedorfer Stuhlrohrfabrik schon verwaist. Nur im denkmalgeschützen Hallenkomplex am Schleusengraben sind mit Jysk und dem Mega-Zoo noch Geschäfte geblieben. © BGZ / Ulf-Peter Busse | Ulf-Peter Busse

Doch auf Nachfragen unserer Zeitung üben sich die Buwog und das Bezirksamt als Planungsbehörde auch heute noch in trauter Zurückhaltung: „Wir stehen in intensivem Austausch, um offene Fragen gemeinsam konstruktiv zu lösen“, schreibt die Buwog zur Frage, woran es denn eigentlich hakt. Und das Bezirksamt ergänzt, man habe dem bekannten Sachstand nichts hinzuzufügen und sehe „davon ab, zwischenzeitlich Inhalte aus Abstimmungen mit dem Grundeigentümer und Investor mitzuteilen.“

Bebauungsplanverfahren läuft seit 2008, wann Bagger anrollen, ist noch immer offen

Tatsächlich laufe das im Dezember 2008 eingeleitete Bebauungsplanverfahren noch immer. Bisher stünden wichtiges Schritte wie die öffentliche Auslegung und die Unterzeichnung des städtebaulichen Vertrags noch aus, weshalb es „nicht möglich ist, einen Termin zum Verfahrensabschluss zu nennen“. Und auf die Frage, ob denn wenigstens ein Zeithorizont genannt werden könne, wann die Fläche von sämtlichen Altbauten außer den denkmalgeschützten Stuhlrohrhallen befreit wird, heißt es in bester Behördenprosa: „Abrissbagger können dann rollen, wenn Abbruchgenehmigungen erteilt sind und ein Verfügungsberechtigter diesen Abbruch begehrt. Wir können hier keine Termine nennen.“

Das Herz des geplanten Stuhlrohr-Quartiers, hier sollen unter anderem Start-ups einziehen. 
Das Herz des geplanten Stuhlrohr-Quartiers, hier sollen unter anderem Start-ups einziehen.  © Buwog | Buwog

Auch die Buwog lässt konkrete Fragen offen. Etwa zu dem beabsichtigten Fertigstellungstermin des 450-Millionen-Euro-Projektes, der Zahl seiner Bauabschnitte oder ob die Wohnungen und Gewerbeflächen im Eigentum der Buwog oder ihres Mutterkonzerns Vonovia verbleiben. „Diese Fragen stellen sich erst nach Abschluss des Bebauungsplans“, erklärt Sprecher Michael Divé. Er bestätigt aber, dass weiterhin rund 1000 Wohnungen geplant seien, „davon voraussichtlich rund 50 Prozent Mietwohnungen“. Auch am „quartiersprägenden Baukörper im Zentrum, etwa als Standort für Start-ups“ werde festgehalten. Ebenso wie übrigens am Mega-Zoo und Jysk als Mieter in den denkmalgeschützten Stuhlrohrhallen: „Hier sind nach derzeitigem Stand keine Wechsel geplant.“

Peter Jensen hat seine Mitarbeiter vom Standort im Mai abgezogen

Längst abgeschlossen seien auch zwei wichtige Grundstückszukäufe: Sowohl die einstige Bergedorfer Zentrale der Hamburger Stadtentwässerung und spätere Flüchtlingsunterkunft an der Kreuzung Sander Damm/Weidenbaumsweg als auch der Sitz des Sanitär-Großhandels Peter Jensen – einst Glunz-Bäderstraße – sind laut Michael Divé „schon seit Längerem im Besitz der Buwog“.

Stuhlrohr-Quartier
Ist bereits geräumt: Im Sitz des Sanitär-Großhandels Peter Jensen in der einstigen Glunz-Bäderstraße an der Ecke Weidenbaumsweg/Stuhlrohrstraße läuft nur noch der Abverkauf der fest installierten Ausstellungsware. © BGZ / Ulf-Peter Busse | Ulf-Peter Busse

Tatsächlich sind bei der Ex-Stadtentwässerung mittlerweile schon Teile der Dächer eingestürzt. Und das Team von Peter Jensen hat Bergedorf längst verlassen: „Ab 13. Mai 2024 finden Sie unsere Bad-Experten in unserer Ausstellung in Hamburg-Borgfelde“, informiert ein Zettel am einstigen Haupteingang. Zudem versprechen große Plakate bis zu 50 Prozent Rabatt auf alle Ausstellungsstücke der hiesigen Schau, was offenbar schon zu einigen Abverkäufen geführt hat: Der Blick durch Fenster offenbart nacktes Mauerwerk, wo zuvor Badewannen, Duschen oder Waschbecken angebracht waren.

Stuhlrohr-Quartier: Bezirksamt hatte „zeitnahe“ Planung der Hochbauten angekündigt

Passend zu dieser Abwanderung hatte das Bezirksamt schon vor einem Jahr unter der Überschrift „Ausblick“ an Bergedorfs Politik geschrieben, dass nun „zeitnah die qualifizierte Planung der Hochbauten und Freianlagen erfolgen“ und „parallel der Bebauungsplanentwurf finalisiert werden“ solle. Das Datum dieses Schriftstücks: 18. Dezember 2023.

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Bis heute gibt es keinen neuen Sachstand, die es wert sei, der Politik oder der Öffentlichkeit mitzuteilen, heißt es in den Antworten auf unsere aktuelle Zeitungsanfrage. Das gelte neben dem Bau des neuen Stuhlrohr-Quartiers auch für ein Projekt, das die Fläche buchstäblich nur tangiere: Der Bau des geplanten Rad- und Wanderwegs entlang des Schleusengraben-Ufers, der die vielen neuen Wohngebiete dort mit der Bergedorfer City verbinden soll, muss warten, bis der Bebauungsplan des Stuhlrohr-Quartiers tatsächlich abgeschlossen ist, bestätigt das Bezirksamt. Doch trotz aller Verzögerungen ist man im Bergedorfer Rathaus unerschütterlich optimistisch: „Die Beteiligten befinden sich in Abstimmungen dazu.“