Hamburg. „Häusliche Gewalt und sexueller Missbrauch sind gerade sehr zentrale Themen“, sagen die Therapeuten. Und es gebe eine „junge Welle“.
Da gibt es reichlich Playmobil und Teddys, eine kleine Sandecke und im großen Zimmer sogar Fußballtore: Denn der Bewegungsdrang von Kindern ist groß, nicht erst seit der Corona-Pandemie. Das wissen die drei Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche, die jetzt von Boberg nach Lohbrügge gezogen sind, auf 170 Quadratmeter über der ehemaligen Bücherhalle an der Alten Holstenstraße.
Acht Monate musste sich gedulden, wer noch in Boberg auf der Warteliste stand. Jetzt hoffen Nina Tounians und Michel Zimmermann, dass es bald in den nunmehr drei Behandlungsräumen (jeweils mit Dartscheibe) etwas weniger straff wird – auch Dank der beiden Auszubildenden, die ambulante Fälle begleiten können. Heribert Krönker bleibt mittwochs im Team, der 66-Jährige betreut Jugendliche im Krisenmodus und engagiert sich zudem auch als Grünen-Politiker im Landes-Jugendhilfeausschuss.
Therapie setzt auf Mitarbeit der Eltern
„Wir haben gerade eine sehr junge Welle, da gibt es einige Jugendliche, die mit Corona sehr antriebslos geblieben sind“, meint Zimmermann und verweist auf zahlreiche Trennungsfamilien: „Da gibt es viele abwesende Väter oder Mütter, die plötzlich zum neuen Partner aufs Dorf ziehen wollen. So bleiben die Bedürfnisse der Kinder oft auf der Strecke“, sagt der 39-Jährige aus Altona, der bei den Therapiestunden auf die Mitarbeit der Eltern setzt.
Insgesamt sei das Familienbild jedoch größer und bunter geworden, betont Krönker: Mal sei es der Bezugserzieher im Heim, die Tagesmutter oder auch die Oma mit Pflegschaft, die mithelfen mögen, mehr Zuwendung zu ermöglichen. „Wir müssen uns alle unterstützen, gerade vor dem Hintergrund, dass unsere Gesellschaft durch Populismus und Rassismus attackiert wird.“
Bei vielen Ansätzen stehe die Traumatherapie im Vordergrund: „Häusliche Gewalt und sexueller Missbrauch sind gerade sehr zentrale Themen“, berichtet Nina Tounians. Als Symptome werden Wutausbrüche und Ängste genannt, Schlafstörungen, eine geringe Frustrationstoleranz und Konzentrationsstörungen. Besonders wichtig ist immer die Schweigepflicht der tiefenpsychologisch geschulten Therapeuten. Denn nur so kann es passieren, dass ein Kind doch mal erzählt, dass es von der Mutter geschlagen wird, dass es sich oft einsam fühlt und sich selbst als „Scheiß-Kind“ bezeichnet.
Bitte kein Täterkontakt nach sexuellem Missbrauch
Bei dem Satz „ich möchte gern hier bei dir bleiben und wohnen“ muss auch der erfahrenste Therapeut schlucken. Wenn sich Kinder und Jugendliche emotional vernachlässigt fühlen, müsse man besonnen bleiben: „Nicht gleich panisch werden, aber gemeinsam mit dem Jugendamt über Erziehungshilfen nachdenken, wenn die Eltern überfordert sind“, meint die 44-Jährige aus Bahrenfeld. Schwierig indes werde es bei einem Täterkontakt: „Nach einem sexuellen Missbrauch ist es nicht vertretbar, wenn das Familiengericht dem Vater einen 14-tägigen Umgang erlaubt“, mahnt die zweifache Mutter: „So kann eine Therapie nicht erfolgreich sein.“ Zumal sich die Kinder letztlich immer selbst die Schuld geben würden und große Scham empfinden.
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Zwischen sechs und 22 Jahre alt sind die Klienten in der Praxis, die sich gerade bei der Kassenärztlichen Vereinigung für einen weiteren Arztsitz beworben hat. Denn sehr eindeutig sei doch, dass der Bedarf enorm gestiegen ist und viele junge Menschen Hilfe brauchen. Damit könnten immerhin 18 weitere Patienten betreut werden. Aktuell zählt die Praxis knapp 50 Patienten. Termine gibt es nur auf Anfrage unter Telefon 040/23 95 46 64.