Hamburg. Pastorin Angelika Schmidt hat jahrelang Senioren in Bergedorf betreut mit dem Ziel, Einsamkeit und Resignation zu lindern.
Das Alter kann gemein sein. Senioren werden nämlich nicht nur weise, sondern ganz sicher auch gebrechlich, vergesslich – und vor allem einsam. Was jeder gern verdrängt: Besonders im hohen Alter stehen radikale Veränderungen im Alltag an. „Viele müssen ihre Wohnung aufgeben, sich auf ein Zimmer im Seniorenheim beschränken. Und dort mit völlig fremden Leuten auskommen oder können vielleicht auch das eigene Bett gar nicht mehr verlassen“, sagt Angelika Schmidt.
Die 65-Jährige ist als Bergedorfer Pastorin eine Expertin für diesen letzten Lebensabschnitt. Mehr als 1000 Senioren hat sie in den vergangenen zehn Jahren im Bezirk betreut, unterstützt von gut 120 Ehrenamtlichen, die sie als „Seelsorgerin im Alter“ des Kirchenkreises Bergedorf für diese Betreuungsarbeit weitergebildet hat. Jetzt geht sie selbst in den Ruhestand und schaut zurück auf ihre Arbeit, die zwar nicht mit der körperlichen Pflege der Senioren zu tun hatte, aber mit ihrer seelischen Gesundheit „Und die ist in unserer modernen Gesellschaft, wo Kinder und Enkel weit weg oder gar nicht vorhanden sind, mindestens ebenso wichtig“, sagt Angelika Schmidt. „Ich habe eine große Dankbarkeit erlebt.“
Bergedorf: Die „Seelsorgerin im Alter“ geht in den Ruhestand
Seit 2015 gibt es ihre Stelle, die Bergedorfs Seelsorge im Alter ganz neu aufgebaut hat – und ganz nebenbei von Angelika Schmidt damals auch selbst entwickelt wurde, zusammen mit den Pastoren Thomas Reinsberg aus Lohbrügge und Stefan Deutschmann aus Bergedorf. Eigentlich ist das Konzept ganz einfach und sehr menschlich: „Es geht ums Reden, um ein offenes Ohr für alle Senioren, die sich im letzten Abschnitt ihres Lebens verlassen fühlen – und oft auch wirklich einsam sind“, sagt Schmidt. „Da bewirkt ein erstes Gesprächsangebot, aus dem ein regelmäßiges, ein verlässliches Treffen wird, buchstäblich Wunder.“
Tatsächlich lösen die radikalen Brüche, die jedem hochbetagten Menschen irgendwann bevorstehen, die ihn unbeweglich, ja wirklich hilflos machen, große Ängste aus, die nur bewältigen kann, wer darüber spricht. „Geschieht das nicht, geben sich diese Senioren irgendwann auf, kapseln sich ab und werden im wahrsten Sinn des Wortes sprachlos“, sagt Angelika Schmidt. Sie habe das in Bergedorfs Seniorenheimen immer wieder erlebt und auch bei alten Menschen, die allein zu Hause geblieben sind. Aber das müsse nicht so bleiben: „Es unglaublich, wie schnell schon durch ein erstes Gespräch die Lebensgeister zurückkehren, wie aus Klagen und tiefem Frust über die eigene Situation wieder Zuversicht und Humor werden.“
Mancher stellt sich erst im hohen Alter die Frage: „Wer bin ich eigentlich?“
Man könnte sagen, dass Angelika Schmidt und ihr Team jeden Tag nichts weniger tun, als Senioren zurück ins Leben zu holen. Auch wenn alle Beteiligten wissen, dass am Ende dieser letzten Lebensphase unwiderruflich der Tod stehen wird, gelingt es ihnen doch, wenigstens seelisch die alten Kräfte zurückzuholen. „Das Erfolgsrezept sind regelmäßige persönliche Treffen, wie etwa unsere Angebote ‚Besuch mit Buch‘ oder ‚Zeit zu zweit‘. Aber es gelingt auch über gezielte Erinnerungsarbeit“, verweist Schmidt Gesprächsthemen wie „Küche meiner Kindheit“, „Mein Beruf, meine Berufung“ oder auch Fixpunkte des Lebens, wie Kindheitserinnerungen oder die eigene Hochzeit.
„Wer sich im Gespräch öffnet und seinem Gegenüber erzählt, was er in seinem langen Leben alles bewältigt hat, was erreicht und welche Rückschläge überwunden wurden, kehrt aus der Einsamkeit zu sich zurück“, sagt Angelika Schmidt. Manche machten sich sogar erst dann auf die spannende Suche nach der zentralen Frage des Lebens: „Wer bin ich eigentlich?“
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In den Ruhestand verabschiedet wird Bergedorfs „Seelsorgerin für Senioren“ am Freitag, 27. September, von Pröpstin Ulrike Murmann. Zum Gottesdienst ab 18 Uhr in der Lohbrügger Gnadenkirche am Schulenburgring 168 sind alle Gäste willkommen, ebenso wie beim anschließenden Empfang im benachbarten Gemeindehaus. Dort dürfte es auch um die Nachfolge gehen, denn die Stelle soll Anfang 2025 neu besetzt werden.
Angelika Schmidt, die ihre Arbeit als Pastorin einst in Kiel begann und über Reinbek schließlich nach Bergedorf kam, will sich als Pensionärin erstmal ein paar Monate Ruhe gönnen – und zusammen mit Ehemann Vigo in Escheburg viel Zeit mit den beiden Enkeln verbringen. „Für das kommende Jahr könnte ich mir aber auch vorstellen, mal wieder den einen oder anderen Gottesdienst zu gestalten oder auch eine Trauerfeier zu übernehmen“, sagt sie. Einzig die Arbeit in der Bergedorfer AG Gedenken mag sie nicht ruhen lassen. Hier ist Angelika Schmidt im Rahmen der in sechs Wochen startenden Woche des Gedenkens aktiv, wird unter anderem am Sonnabend, 16. November, die Lesung „Frauen im Widerstand gegen den Faschismus“ moderieren. Beginn ist um 14 Uhr im Körberhaus an der Holzhude 1. Der Eintritt ist frei.