Hamburg. „Billie“ der Regisseurin Sheri Hagen beschreibt das Drama vieler Frauen. Aber es darf auch gelacht werden. Wo in Hamburg gedreht wird.
Bevor das Zentrum von Bergedorf-West seinen 60er-Jahre-Betoncharme verliert und ab 2026 mithilfe von Abrissbaggern zur Neuen Mitte wird, dient es im Oktober als Filmkulisse: „Billie“ heißt das Werk der Hamburger Regisseurin Sheri Hagen, die hier ein Melodram inszeniert. Es geht um häusliche Gewalt, die in erschreckend vielen Beziehungen hinter der Wohnungstür zum traurigen Alltag gehören. Sicher auch in Bergedorf-West, wobei seine riesigen Hochhausfassaden auch täuschen, hat sich dahinter doch in vielen Fällen das enge Miteinander der Nachbarschaften erhalten, das den Familien-Stadtteil nach seinem Bau Ende der 60er-Jahre auszeichnete.
Passend dazu versucht der Kinofilm, dessen Drehbuch auch von Sheri Hagen stammt, der allgegenwärtigen Gewalt in manchem Haushalt etwas Positives entgegenzusetzen – die Hoffnung, dass sich alles irgendwann zum Positiven wendet. Denn jedes Opfer kann Verbündete finden, auch andere Betroffene. Die wohnen manchmal nur wenige Meter entfernt, stehen gleich vor einem in der Supermarkt-Schlange oder am Schalter der Bank. Doch wer sie finden will, darf sein Leid nicht länger verheimlichen.
Thema häusliche Gewalt: Bergedorf-West Drehort für Kinofilm
Genau das gelingt den beiden Protagonistinnen in „Billie“, die auf dem Weg dahin sogar unfreiwillig zu Geiselnehmerinnen werden. Und zwar in der ehemaligen Haspa-Filiale von Bergedorf-West im Einkaufszentrum am Werner-Neben-Platz. Sie wird vom 3. bis zum 11. Oktober zum Hauptdrehort, die ehemalige Kirche St. Christophorus gegenüber zum wichtigen Nebenschauplatz. Allerdings baut die Filmcrew das frühere Gotteshaus zum Supermarkt um, der als Ort des Alltags eine entscheidende Rolle spielt, die häusliche Gewalt aus der Nische des Schweigens herauszuholen.
In der Wirklichkeit bedeuten die Filmaufnahmen, dass die Menschen in Bergedorf-West für zwei Wochen auf ihren beliebten Flohmarkt verzichten müssen. Seit der Entweihung der Kirche im Jahr 2022 ist er immer donnerstags und freitags von 8 bis 12 Uhr zu einer festen Institution geworden, zur „Sozialkirche“, in der die Westler gebrauchte Kleidung, Spielzeug und Haushaltswaren zu günstigen Preisen kaufen und verkaufen.
Sheri Hagen stand schon mit Ulrich Tukur vor der Kamera
Auch hier werden nebenbei natürlich Alltagssorgen ausgetauscht, könnten Betroffene auch erlebte Gewalt in den eigenen vier Wänden öffentlich machen. Ein perfekter Ort für „Billie“, findet Sarah Stützinger, Pastorin der Kirchengemeinde Bergedorfer Marschen, zu der auch St. Christophorus gehört: „Der Film gibt Menschen eine Stimme, deren Lebensgeschichte viel zu oft übersehen wird. Er tritt ein gegen häusliche Gewalt und erzählt davon, wie Leichtigkeit und Hoffnung der Unterdrückung am Ende die Stirn bieten. Das passt zu uns.“
Sheri Hagen, geboren in Nigerias Hauptstadt Lagos und aufgewachsen in Hamburg, will den seelischen und körperlichen Qualen, die Protagonistin Nina mit ihrem gewalttätigen Partner erlebt, auch kurios-heitere Situationen entgegensetzen: „Es ist ein schmaler Grat, auf dem ich es wage, ein so existenzielles Thema mit Leichtigkeit zu verbinden. Aber genau diese ermutigenden Momente sind es, die Hoffnung geben“, sagt die Regisseurin, die als Schauspielerin selbst in verschiedenen „Tatort“-Folgen und im Kinofilm „Das Leben der Anderen“ mitgewirkt hat. Das war 2006 das Spielfilmdebüt von Florian Henckel von Donnersmarck über die engen Verflechtungen von Stasi- und Kulturszene in Ost-Berlin mit Ulrich Mühe, Martina Gedeck und Ulrich Tukur.
Kinofilm „Billie“ von Sheri Hagen wird in Bergedorf-West gedreht
Sehr real soll nun auch „Billie“ werden, das dritte eigene Filmprojekt von Sheri Hagen: „Ich möchte einen Teil unserer Wirklichkeit zeigen, der nicht ignoriert werden darf. ‚Billie‘ ist auch ein Empowerment für alle Frauen“, sagt sie – und hat damit auch Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs überzeugt: „Wenn Kultur und Kirche sich gemeinsam gegen Gewalt stark machen, ist das ein starkes Zeichen: Betroffene bleiben nicht allein, sie bekommen buchstäblich ein Gesicht“, sagt Fehrs zur Drehgenehmigung in St. Christophorus. „Der Kinofilm ‚Billie‘ wird ihre Leiden zeigen, aber auch ihre Kraft, wenn sie sich dieser Gewalt erwehren. Ich finde das in diesen Zeiten so ermutigend und freue mich für jeden Stadtteil, in dem solche Hoffnungsgeschichten erzählt werden.“
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Doch es dauert lange, bis Protagonistin Nina endlich versteht, dass ihr Partner sie nur benutzt: „Gewalt ist keine Liebe“, lautet ihr bitteres Fazit. Wann „Billie“ im Kino zusehen ist, steht noch nicht fest. Die Dreharbeiten in Bergedorf-West bilden erst den Auftakt der Filmproduktion.