Hamburg. Oberbillwerder macht eine Koalition unmöglich. Doch die Wahlsieger raufen sich zusammen. Zu spüren bekommt das die AfD.

Wäre es eine Ehe, dann klingt es eher nach einem Blind-Date, das Bergedorfs CDU und SPD zusammengeführt hat. Aber vielleicht ist es genau das, was bei der Bezirkswahl am 9. Juni passierte: Die Bergedorfer sorgten dafür, dass Christ- und Sozialdemokraten nicht länger bloß den gleichen Nachnamen haben, sondern am Tag nach der Wahl auch nebeneinander aufgewacht sind. Denn seither gilt: Ohne die beiden Schwergewichte geht in der Bezirksversammlung gar nichts mehr. Und miteinander nach gut elf Wochen samt ersten Annäherungsversuchen in den Sommerferien immerhin ein bisschen.

„Nachdem wir fünf Jahre trotz guter Ideen in der Opposition fast komplett für die Tonne gearbeitet haben“, weint CDU-Fraktionschef Julian Emrich der abgewählten Ampelkoalition keine Träne nach. Und auch SPD-Kollegin Katja Kramer gibt zu, zwar gern mit Grünen und FDP zusammengearbeitet zu haben. „Aber manchmal fühlte es sich an, als seien wir als SPD nur noch die schlichtende Mama zwischen den streitenden Kindern. Statt der ganzen Vermittlungsarbeit hätte ich mir oft eine aktivere Rolle unserer Fraktion gewünscht, die immerhin die größte in der Koalition war.“

Bezirksversammlung: Wenn die CDU mit der SPD – Bergedorfs neue Politik

Entsprechend „befreiend“ empfinden beide die nun mit 13 CDU- und 12 SPD-Abgeordneten neue Mehrheitskonstellation in der 45 Sitze zählenden Bergedorfer Bezirksversammlung. Wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen, und genau deshalb ist beiden klar: „Eine neue, damit dann große Bergedorfer Koalition wird es mit uns nicht geben“, stellt Julian Emrich klar. Auch Katja Kramer bevorzugt politisch eher eine wilde Ehe, wenn überhaupt.

Während Kramer wie Emrich privat als Familienmenschen in festen Beziehungen leben, können sie sich „durchaus auch mal eine Mehrheit mit Grünen und Linken vorstellen, wenn das Thema passt“, sagt jedenfalls die Sozialdemokratin. Da hätte ihr Gegenüber zumindest mit den Linken doch größere Bauchschmerzen. Aber einig sind sich beide dann beim Blick nach Rechtsaußen: „Mit der AfD werden wir auch in der neuen Legislaturperiode nie stimmen“, betont Julian Emrich.

Klare Ansage an die AfD: „Den Unsinn und die Doppelmoral in ihren Anträgen herausstellen“

„Allerdings nicht mehr grundsätzlich ohne Debatte“, ergänzt Katja Kramer. „Es ist an der Zeit, die Doppelmoral und den Unsinn in ihren Anträgen herauszustellen. Damit erreichen wir zwar wohl keinen ihrer sieben Bezirksabgeordneten. Aber mancher Wähler wird vor den 2025 anstehenden Hamburger Bürgerschafts- und Bundestagswahlen dann verstehen, dass die AfD für reale Probleme nur Scheinlösungen bietet.“

Beginnen werden CDU und SPD mit dieser Strategie schon an diesem Donnerstag (29. August). Denn hier stellt die AfD in der Bezirksversammlung den Antrag, den umstrittenen neuen Stadtteil Oberbillwerder abzulehnen. Sämtliche Planungen seien sofort einzustellen, einschließlich der noch bis 2. September laufenden Bürgerbeteiligung. Stattdessen sollten „nachhaltige und bürgernahe Konzepte für die Entwicklung des Bezirks entwickelt werden“.

Debatte über Oberbillwerder am 29. August in der Bezirksversammlung

Tatsächlich trifft die AfD damit den Kern der Beziehungsprobleme zwischen CDU und SPD. Dennoch werden beide – wie auch Grüne, FDP und Linke – den Vorstoß ablehnen. „Es ist ein völlig unsinniger Antrag“, stellt Julian Emrich klar, auch wenn er auf den ersten Blick gut klinge, wie immer bei populistischen Parteien.

„Tatsache ist, dass es seit Jahren eine Weisung des Senats an das Bezirksamt gibt, Oberbillwerder zu planen. Würden wir jetzt dagegen stimmen, müsste die Bezirksamtsleiterin den Beschluss kassieren, weil es mitten in der laufenden öffentlichen Auslegung nicht nur schlechter Stil wäre, sondern weil er unsere Kompetenzen schlicht überschreitet. Wir können das hier gar nicht stoppen“, sagt Emrich.

Deutliche Kritik der CDU an Hamburgs SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf

Dafür bräuchte es die Hamburgische Bürgerschaft, die am 2. März 2025 neu gewählt wird. Dass deren amtierender SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf beim Bergedorf-Besuch vor wenigen Tagen ankündigte, bis dahin auch die letzten Weichen für den Bau von Oberbillwerder stellen zu wollen, stößt Julian Emrich und Bergedorfs CDU-Chef, dem Bürgerschaftsabgeordneten Dennis Gladiator, aber übel auf.

„Es wäre ein Gebot der Achtung des Bürgerwillens, damit bis nach der Hamburg-Wahl zu warten“, sagt Gladiator und kündigt an, Oberbillwerder zum zentralen Wahlkampfthema zu machen. „Gerade, weil schon jetzt klar ist, dass dieses Großprojekt in Bergedorfs Bezirksversammlung keine Mehrheit mehr hat.“

Bahnhofsvorplatz
SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf (l.) bei seinem Besuch in Bergedorf. © bgz | Ulf-Peter Busse

Katja Kramer erwartet dagegen im Herbst die Evokation durch den Senat, also die Verfügung, Oberbillwerder in jedem Fall zu bauen: „Warum sollen wir erst die absehbare Ablehnung des Bebauungsplans durch die Bezirksversammlung zu Weihnachten abwarten? Klar ist doch, dass Bergedorf seine im Vertrag für Hamburg festgelegten Wohnungsbauziele von 800 Genehmigungen pro Jahr ohne Oberbillwerder nicht wird erfüllen können.“

Premiere in der Bezirksversammlung: Gleich fünf gemeinsame Anträge von CDU und SPD

Während Bergedorfs CDU und SPD bei diesem Thema also weit entfernt bleiben, geht es auf vielen anderen Gebieten besser: Gleich fünf gemeinsame Anträge stehen für die Bezirksversammlung am Donnerstag auf der Tagesordnung. Ab 18 Uhr geht es in öffentlicher Sitzung im großen Saal des Rathauses an der Wentorfer Straße 38 dabei vor allem um Wirtschaftspolitik. Es geht unter anderem um die Entwicklung der City, das neue Gewerbegebiet am Speckenweg, mehr Personal für die Wirtschaftsförderung.

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Und auch für die Zukunft steht noch einiges an, wollen CDU und SPD Bergedorfs Entwicklung in den kommenden fünf Jahren doch voranbringen. Wichtige Themen sind unter anderem die Nachnutzung des heutigen Hauni-Geländes, wenn das Unternehmen 2027 in die Fabrik der Zukunft an der A25 umgezogen ist. Und ebenso rechtzeitig braucht es ein Konzept für die Zukunft des 70er-Jahre Baus der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Lohbrügge. „Nicht erst dann, wenn die HAW Anfang der 2030er-Jahre nach Oberbillwerder übersiedelt“, sind sich Julian Emrich und Katja Kramer einig.

„Auch müssen neue Lösungen für parkende Autos gefunden werden, statt sie immer weiter zu verdrängen“, blickt die Sozialdemokratin auf die stark von den Grünen geprägten vergangenen fünf Jahre in Bergedorf zurück. „Und es braucht jetzt eine Entschlackung der Bauvorschriften von ökologisch vielleicht sinnvollen Vorgaben, die aber so teuer geworden sind, dass sie die Entstehung von bezahlbarem Wohnraum unmöglich machen.“