Hamburg. Dirk Kienscherf kündigt bei Sommertour in Bergedorf an: Veto der neuen Bezirksversammlung gegen den Stadtteil wird übergangen.

Beim Thema Oberbillwerder hält Dirk Kienscherf nichts von hanseatischer Gelassenheit: „Auf Landesebene herrscht in der SPD und in unserer rot-grünen Regierungsfraktion Einigkeit, dass alles getan werden muss, um den neuen Stadtteil zu bauen“, sagte der Vorsitzende der SPD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft am Donnerstag bei seiner Sommertour auf dem Bahnhofsvorplatz. „Mit unseren Bergedorfer Genossen laufen gerade intensive Gespräche, ob der Senat das Bebauungsplanverfahren schon jetzt an sich zieht.“ Offen sei lediglich, ob das per Anweisung an das Bezirksamt geschehe oder per Evokation, also durch die Übernahme des Verfahrens durch die Stadtentwicklungsbehörde.

Klare Worte zu einem milliardenschweren Großprojekt, das die CDU zu einem ihrer zentralen Themen für die Bürgerschaftswahl am 2. März 2025 machen will. Während die Christdemokraten verkünden, Oberbillwerder trotz seiner bereits achtjährigen Planung mit gut 100 Millionen Euro an Kosten bei einem Wahlsieg zu beerdigen, geht Kienscherf in die entgegengesetzte Richtung: „Da ist schon so viel Geld hineingeflossen. Wir wären doch verrückt, das ausgerechnet jetzt, in Zeiten der sich immer mehr zuspitzenden Krise im Wohnungsbau einfach aufzugeben.“

Oberbillwerder soll beim kriselnden Wohnungsbau in Hamburg neue Akzente setzen

Für Dirk Kienscherf steht außer Frage, dass „Oberbillwerder gerade jetzt eine entscheidende Bedeutung zukommt, um beim Thema Wohnen neue Impulse zu setzten“. Der Hamburger Spitzengenosse aus Eimsbüttel mit Wohnsitz in Hamm betont in diesem Zusammenhang die „Verlässlichkeit unserer rot-grünen Politik in Hamburg“. Es gehe darum, die Entwicklung der Stadt langfristig zu planen und dann auch so umzusetzen. „Das gilt allem voran in den Bereichen Wohnungsbau, Stadtentwicklung und Mobilität, die entscheidend sind, damit das soziale Miteinander in unserer Stadt auch in Zukunft funktioniert.“

Beim Blick auf das Thema Mobilität in den Vier- und Marschlanden setzt der SPD-Fraktionschef auf das autonome Fahren: „Sind kleine oder auch größere Stadtbusse ohne Fahrer unterwegs, öffnet das alle Möglichkeiten, das Angebot etwa der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein, kurz VHH, deutlich auszubauen und vor allem zu flexibilisieren. Bisher ist das wegen der Personalkosten der Busfahrer für vergleichsweise wenige Fahrgäste wirtschaftlich nicht machbar“, sagt der 58-Jährige, der seit 2001 als Experte für die Schwerpunkte Soziales und Stadtentwicklung im Hamburger Landesparlament sitzt. Seit sechs Jahren ist Dirk Kienscherf Fraktionsvorsitzender.

Verlängerung der U2 von Mümmelmannsberg bis nach Lohbrügge „bleibt ein Thema“

Sorgen bei der S-Bahn-Anbindung der 15.000 künftigen Oberbillwerderaner in Richtung Hauptbahnhof macht sich Kienscherf nicht: „Die Digitalisierung der S2 und der Umstieg auf Langzüge schafft genügend Kapazitäten“, ist er sich sicher, obwohl schon heute, ganz ohne Oberbillwerder, an seiner künftigen Station Allermöhe im Berufsverkehr kaum noch ein Stehplatz zu bekommen ist. Ein Umstand, den offenbar auch dem Spitzengenossen nicht ganz unbekannt ist: Im Gespräch mit unserer Zeitung griff er den Bergedorfer Traum von einer Verlängerung U2 von Mümmelmannsberg nach Lohbrügge auf: „Da waren die anderen, heute vorbereiteten Hamburger Hochbahn-Projekte zwar schneller. Aber eine U-Bahn für Lohbrügge ist nicht hinten runtergefallen. Sie bleibt ein Thema.“

Mehr zum Thema

Umsetzen kann das alles aus Kienscherfs Sicht nur die Fortsetzung der rot-grünen Koalition – „mit einer starken Sozialdemokratie“. Ob er sich nach der Hamburg-Wahl Anfang März kommenden Jahres auch ein Zusammengehen mit der CDU vorstellen kann, ließ Dirk Kienscherf am Donnerstag offen. Ebenso wie den genauen Umgang mit der absehbaren Ablehnung des Bebauungsplans für Oberbillwerder durch die Bergedorfer Bezirksversammlung: Denn hier hat das Großprojekt keine Mehrheit mehr, seit die CDU bei der Bezirkswahl größte Fraktion wurde und die Fraktion der Grünen von zehn auf sieben Sitzen schrumpfte.

Damit droht den Sozialdemokraten eine Schlappe, wenn das Bezirksamt sein viele Tausend Seiten starkes Genehmigungsverfahren voraussichtlich um Weihnachten herum der Bergedorfer Politik zur finalen Abstimmung vorlegt. Bleibt es bei Kienscherfs Ankündigung, werden Hamburgs SPD und Grüne vorher einschreiten. Ein Abwarten bis zur Bürgerschaftswahl acht Wochen später, um dann die neuen Hamburger Mehrheiten über Oberbillwerder entscheiden zu lassen, ist für ihn keine Option.