Hamburg. Der norwegische Künstler schuf den berühmten „Schrei“. Was ihn mit dem Bergedorfer Rathaus und dem heutigen Standesamt verbindet.

Das Bergedorfer Standesamt befindet sich derzeit im Exil. Hochzeiten finden im Haus im Park am Gräpelweg statt, weil die historische gelbe Villa an der Wentorfer Straße noch bis 2026 saniert wird. Sobald das ehrwürdige Gebäude wieder in neuem Glanz erstrahlt, soll die Behörde wieder zurückkehren. Kein Wunder: Schließlich erfreut sich die Villa bei Brautpaaren großer Beliebtheit – und atmet förmlich Geschichte. Was viele Bergedorfer nicht wissen dürften: Einer der berühmtesten Maler der Neuzeit schritt bereits durch die Gänge der Villa – der Norweger Edvard Munch.

Die Verbindung des Schöpfers von Gemälden wie „Der Schrei“ mit dem Bergedorfer Prachtbau hat Helmut Sturmhoebel, der Organisator der Schlosskonzerte, aus der für die Nachwelt erhaltenen Korrespondenz Munchs rekonstruiert. Der Lohbrügger ist ein Nachfahre von Ernst Rose, dem Erbauer der gelben Villa an der Wentorfer Straße. Rose starb am 1. September 1944 und hinterließ der Hamburger Kunsthalle mehrere Arbeiten von Edvard Munch.

Edvard Munch besuchte Anfang des 20. Jahrhunderts Bergedorf

Wie Helmut Sturmhoebel herausfand, befanden sich der Kaufmann Ernst Rose und der damals noch nicht so berühmte Maler aus Norwegen Anfang des 20. Jahrhunderts zunächst im Briefkontakt. „Ich nehme das größte Interesse an ihrem Schaffen“, schrieb Rose dem Künstler am 23. November 1902, als er bereits das Bild „Die Melancholie“ gekauft hatte und nun weitere Werke erwerben wollte. Den Kontakt zwischen Munch und Rose hatte der Kunstsammler Albert Kollmann hergestellt.

Im heutigen Bergedorfer Standesamt lebte einst der Kaufmann und Kunstsammler Ernst Rose.
Im heutigen Bergedorfer Standesamt lebte einst der Kaufmann und Kunstsammler Ernst Rose. © BGZ | strickstrock

Aus dem Jahr 1905 ist ein Briefentwurf von Munch an Kollmann erhalten, in dem der Maler einen Besuch in Bergedorf schilderte. „Auch war ich heute bei Herrn Rose der sehr liebenswürdig – ich besuche Ihn und Hrr Mensdorf Sontag.“ Von Munch sind mehr als 1500 Briefe in deutscher Sprache erhalten. Der Norweger haderte jedoch zeitlebens mit seinen aus seiner Sicht unzureichenden Kenntnissen der Sprache.

Edvard Munch reiste nach Nervenzusammenbruch aus Deutschland ab

Bei „Hrr Mensdorf“ handelt es sich um niemand geringeren als Hermann Messtorff, der Gummikaufmann, der das spätere Bergedorfer Rathaus als seinen Wohnsitz hatte bauen lassen. Das prächtige Anwesen befand sich neben dem Heim von Ernst Rose. Kein Zufall, denn die beiden lebenslangen Junggesellen waren mindestens sehr enge Freunde. Helmut Sturmhoebel berichtet, dass in seiner Familie stets davon gesprochen wurde, dass die beiden Männer ein Liebespaar waren und sich heimlich über einen Weg durch die Gärten ihrer Anwesen besuchten.

Nachdem Munch nach seinem Brief an Kollmann zunächst in Berlin weilte, schrieb er in einer Postkarte im Februar: „Ich gehe vielleicht nach Bergedorf und werde dort malen anfangen.“ In einem undatierten Brief berichtet er: „Ich bin Hamburg und wunsche sobald wie möglich nach Bergedorf zu gehen“. 1905 hatten Rose und Messtorff den Norweger anscheinend sogar damit beauftragt, Porträts von ihnen anzufertigen. Doch aus dem Projekt wurde nichts.

Die „Madonna“ von Edvard Munch gehörte dem Bergedorfer Ernst Rose.
Die „Madonna“ von Edvard Munch gehörte dem Bergedorfer Ernst Rose. © bpk | Hamburger Kunsthalle | Elke Walford

Edvard Munch: Zwei Bilder des Künstlers sind in der Hamburger Kunsthalle ausgestellt

Munch, der sich in diesen Jahren vor allem in Deutschland aufhielt, kämpfte mit Alkoholsucht und psychischen Problemen. 1905 schreibt er im April aus Kopenhagen an Albert Kollmann: „Ich habe heute an Messdorff und Dr. Linde geschrieben – Ich glaube das richtigste ist was ich gemacht habe – wekfahren. Meine Nerven sind bebrochen und das Portrait wollte vielleicht diesmal ein groszes schweres Arbeit sein.“ Der Maler kündigte an, vorerst nach Norwegen zurückzufahren.

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Drei Tage später schrieb Hermann Messtorff dem Künstler: „Es thut mir natürlich sehr leid, dass sie den Hamburger Aufenthalt noch nervöser gemacht hat u. hoffe, dass es Ihnen bald besser geht.“ Der Gummifabrikant lädt Munch ausdrücklich ein, wieder nach Bergedorf zu kommen – und sei es nur zur Erholung. Doch die Porträts zweier prominenter Bergedorfer durch den „Schrei“-Maler sollten niemals entstehen. Hermann Messtorff starb 1915, Ernst Rose zog 1933 zu Verwandten nach Potsdam und verkaufte seine Villa an das Deutsche Reich, das Gebäude wurde in der Folgezeit lange als Polizeiwache genutzt, bevor es zum Standesamt wurde.

In der Hamburger Kunsthalle hängen bis heute zwei Bilder von Edvard Munch, die sich einst im Besitz von Ernst Rose befanden: Das „Mädchen auf der Brücke“ und die „Madonna“.