Lohbrügge. Am Beckerkamp vertrocknen immer wieder junge Bäume. Forscher der HafenCity Universität untersuchen nun das Phänomen. Was sie fordern.

Schon oft bot der Mittelstreifen der Straße Am Beckerkamp mitten in Lohbrügge ein trauriges Bild. 2022 und 2023 waren zahlreiche frisch gepflanzte Jungbäume vertrocknet. Selbst von den 15 Exemplaren, die Anfang April dieses Jahres eingesetzt wurden, hielten einige nur acht Wochen durch. Anwohner beklagen falsche oder fehlende Bewässerung und befürchten, dass an dem Straßenzug nicht nur Wurzelballen, sondern in Lohbrügges sterbende Allee auch viele Tausend Euro versenkt werden. Aber: Am Beckerkamp wird auch in die Baumriesen der Zukunft investiert.

„Wenn in Hamburg ein Baum gepflanzt wird, muss er die ersten drei Jahre bewässert werden“, sagt Dr. Michael Richter vom Institut für umweltgerechte Stadt- und Infrastrukturplanung der HafenCity Universität (HCU). Wenn der Baum nicht durchhält, kann das an vielen Faktoren liegen. Schlechte Ware, Trockenheit, Sauerstoffmangel, Schadstoffbelastung – all das setzt Neupflanzen zu. Gepflanzt werden sie schließlich nicht auf der grünen Wiese, sondern auf Verkehrsinseln im asphaltierten Raum.

HafenCity Universität Hamburg forscht an klimaresistenten Eichen auf dem Mittelstreifen

Um das Sterben von Bäumen in der Stadt langfristig zu vermeiden, forscht Richter mit seinem Team seit fünf Jahren an Straßenbäumen in verschiedenen Hamburger Stadtteilen – und seit 2022 auch Am Beckerkamp. Das Augenmerk der Wissenschaftler liegt hier auf drei Zerreichen, einer vermutlich besonders klimaresistenten Unterart der Eiche, die hier im Mittelstreifen auf Höhe des Rewe-Markts stehen.

Zusammen mit einigen „Referenzbäumen“ bilden sie einen Versuchsabschnitt, auf dem Mitarbeiter der Universität Wachstum und Vitalität der Jungbäume per Daten-Monitoring begleiten. Der grüne Daumen wird also digital: Unterirdisch messen die Geräte den Wasserstand, die Schadstoffbelastung und die CO2-Konzentration im Boden. Seit 2019 sammelt das „Blue-Green-Street-Project“ so an verschiedenen Standorten in Hamburg Daten zur Klima-Resilienz von Stadtbäumen.

Beckerkamp
Das Prinzip der Bewässerung der Bäume auf dem Mittelstreifen der Straße Am Beckerkamp: So versorgt die HafenCity Universität ihre drei Zerreichen mit Wasser. © Martina Kalweit | Martina Kalweit

Gut zu wissen: Die trockenresistenten Zerreichen in Lohbrügge sind vital. Alle drei Bäume, die durch einen unterirdischen Schacht mit Regenwasser versorgt werden und mit einem Speicherbecken ausgestattet sind, wurzeln jetzt schon tiefer als ihre Nachbarn. Aber der Experte weiß auch: „Bei Bäumen muss man langfristig denken. Drei bis fünf Jahre sind da viel zu wenig.“ Stimmt: In den Himmel wächst Am Beckerkamp noch nichts. Entsprechend ist das Wurzelwerk im Boden auch nicht stark genug, um Regenwasser schnell und in großen Mengen aufzusaugen.

Fehler im Straßenbau: Wissenschaftler fordern abgesenkten Grünstreifen in der Fahrbahnmitte

Eine Zerreiche braucht 30 bis 50 Jahre, um ein stattlicher Baum zu sein. Bis dahin wird noch viel Wasser den Beckerkamp herunterrauschen. Genau das wird immer häufiger zum Problem. Bei heftigen Regenfällen sammelt sich das Wasser von Beckerkamp und Lohbrügger Markt in der Senke unterhalb des Marktplatzes. Innerhalb von Minuten geht auf der Straße nichts mehr. Nur ein paar furchtlose Busfahrer tauchen mit ihrem Gefährt dann noch durch die Seenlandschaft. Gesunde große Bäume könnten ihren Teil dazu beitragen, dieses Szenario in Zukunft zu verhindern.

Dazu, so schränkt Dr. Michael Richter ein, müsste aber auch der Mittelstreifen wieder anders konzipiert sein. Nach konventionellem Muster ist der Beckerkamp etwa alle 200 Meter mit einem Gully ausgestattet. Der nimmt das Regenwasser auf und leitet es in die Kanalisation ab. Die ist aber nicht groß genug, um bei starkem Regen alles Wasser aufnehmen zu können. Um Aufstauungen an der Oberfläche zu mindern, wäre ein mittig abgesenkter Grünstreifen hilfreich. Der könnte einen größeren Teil des Regenwassers abfangen und speichern. So könnte sein Rückhaltepotential dafür sorgen, die Regenwasserkanalisation deutlich zu entlasten, sagt der Experte.

Prinzip der „Schwammstadt“ beginnt auf ihren Straßen – aber leider auch der Schadstoffeintrag

Während Wissenschaftler überall auf der Welt Erkenntnisse wie diese als Anleitungen zur klimaresistenten „Schwammstadt“ zusammentragen, greifen auf dem Asphalt häufig noch die Regelwerke des konventionellen Straßenbaus. Kompliziert wird es so oder so an stark befahrenen Straßen. Wo sich Schadstoffe wie Reifenabrieb, Mikroplastik, Öl und Schwermetalle mit dem Regenwasser mischen, müssen zum Schutz der Pflanzen Filteranlagen und Sedimentationsbecken im Boden des Grünstreifens verbaut werden.

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Das Projekt Am Beckerkamp ist ein Baustein der Forschung, um Stadtgrün an Straßenzügen zukunftsfähig zu machen. Die Idee der abgesenkten, großzügigen Mittelbepflanzungen gehört zu den aussichtsreichsten Konzepten. Wo es darüber hinaus gelingt, Regenwasser zu Bäumen, statt in den Abwasserkanal zu leiten, können sich Kommunen die „Entwicklungspflege“, also die Bewässerung mit wertvollem Trinkwasser weitgehend sparen.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert das „Blue-Green-Street-Project“ noch bis November. Die Messungen an den Zerreichen und ihren Referenzbäumen werden aber weitergehen. Die Natur hält sich nicht an Finanzierungsphasen. Ein Baum ist stattlich, wenn er älter als 50 Jahre werden kann. Wer also heute an der Straße Am Beckerkamp aus dem Fenster schaut, der braucht Geduld – oder glaubt US-Schriftsteller Nelson Henderson, für den der wahre Sinn des Lebens darin besteht, „Bäume zu pflanzen, unter deren Schatten man nicht zu sitzen erwartet“.