Lohbrügge. Lohbrüggerin (35) beobachtet Fahrerflucht und gerät selbst in die Schusslinie. Wie aus einem Hinweis ein Strafverfahren werden könnte.
Für viele hat es mit der Erfüllung von Bürgerpflichten zu tun. Mit Zivilcourage. Sich einbringen, etwas melden, wenn etwas Unrechtes geschieht, das gegen die Regeln verstößt. Eindeutige Sache auch für Kathleen M. (Name geändert): Am 30. August 2023 bekommt sie in Lohbrügge aus nächster Nähe mit, wie ein Autofahrer nach einem Unfall Fahrerflucht begeht. Knapp ein Jahr später wird der zweifachen Mutter nach ihrer polizeilichen Anzeige anwaltlich eine saftige Strafzahlung angedroht, weil sie besagten Autofahrer Frank S. (Name geändert) zu Unrecht angezeigt haben soll. Der Vorwurf der falschen Verdächtigung steht gegen die 35-Jährige im Raum.
Die Lohbrüggerin M. hatte den Vorfall an jenem Spätsommertag vor einem Jahr eigentlich vergessen. Wäre da nicht jenes Schreiben von Rechtsanwalt Dr. Dominic-A. Vogg am 28. Juni 2024 in der Post gewesen. Darin beschreibt Vogg ausführlich, welche schwerwiegenden Folgen seinem Mandanten durch den vermeintlichen Unfall am Harnackring entstanden sein sollen, sowohl psychischer als auch finanzieller Art. Letztlich soll Kathleen M. nun 1434,87 Euro Schmerzensgeld und Schadenersatz zahlen – bis zum 19. Juli. Sonst erwägt Vogg eine Klage.
Fahrerflucht in Lohbrügge: Zeugin meldet Unfall – und soll nun Schmerzensgeld zahlen
Wie kommt all das zustande? Rückblick auf jenen Spätsommertag des vergangenen Jahres. Kathleen M. macht auf ihrem Fahrrad die nachmittägliche Runde durch Lohbrügge-Nord. Zuerst die Tochter aus der Kita abholen, dann den etwas älteren Sohn aus der Grundschule. Dazu fährt die 35-Jährige durch den Harnackring und muss in Höhe der Hausnummern 2–4 anhalten, weil im Gegenverkehr der damals 18-jährige Frank S. in einem roten Opel Astra – das Auto gehört der Stiefmutter– aus einer Lücke ausparkt. „Ich war zu spät dran“, erinnert sich M. Doch sie kann nicht ignorieren, was sich vor ihr auf der Straße abspielt. Aus ihrer Sicht berührt S. mit seinem Wagen eindeutig einen hinter ihm geparkten Toyota Corolla. „Ich habe gehört, wie das rote Auto den anderen getroffen hat“, berichtet die Steuerfachangestellte.
Doch der junge Mann macht keine Anstalten, sich um sein Malheur zu kümmern, will losfahren. Nicht mit Kathleen M. die S. durch das heruntergedrehte Fahrerfenster anspricht und ihn darauf hinweist, dass er ein anderes Auto angefahren hat. Sie fährt weiter, weil sie ja spät dran ist, um ihre Kinder einzusammeln. Frank S. schaut sich tatsächlich den Toyota an, findet aber keine frischen, durch ihn verursachten Schäden am Pkw. Er verzichtet somit auf einen Anruf bei der Polizei.
Fahrerflucht in Lohbrügge: Zufällig bei anderem Streifenwagen nachgefragt
Noch am selben Tag steht zufällig ein Streifenwagen in der Nähe des Reihenhauses, in dem M. mit ihrer Familie wohnt. Sie möchte nun doch wissen, ob sich der junge Mann mit dem Oldesloer Kennzeichen am Auto, das sie sich gemerkt hat, selbst bei der Polizei vorstellig geworden ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Kathleen M. erstattet nachträglich Anzeige. Der Wagen, der angefahren wurde, ist ihr gut bekannt, da sie diesen eigentlich jeden Tag beim Abholen ihrer Kinder sieht. „Ich wusste ja damals nicht, wie schwer der Toyota beschädigt war. Ich wollte es nur mitteilen, bevor der junge Mann einfach wegfährt.“
Auf die Anzeigenerstattung folgt zunächst eine nähere Untersuchung der Polizei. Der Fall landet letztlich bei der Hamburger Staatsanwaltschaft. Jedoch wird das Verfahren nach Angaben von Sprecherin Liddy Oechtering eingestellt, da eine Straftat nicht nachgewiesen werden kann. „An dem angeblich beschädigten Fahrzeug wurden von der Polizei verschiedene Schäden festgestellt. Die Geschädigte gab jedoch später selbst an, dass es sich um ältere Schäden gehandelt habe“, begründet die Sprecherin der Staatsanwaltschaft die Einstellung.
Zu Unrecht Beschuldigter mit psychischem Stress und hohem Gerechtigkeitssinn
Doch der Rechtsbeistand von Frank S. schiebt nun plötzlich der Anzeigenstellerin aus Lohbrügge die Schuldigenrolle zu. Dominic Vogg sieht den Tatbestand der „falschen Verdächtigung im Sinne des § 164 StGB“ als erfüllt an. Diese sei für seinen Mandanten eine „starke Belastung“ gewesen, vor allem, weil er ein ausgeprägtes „Gerechtigkeitsempfinden“ habe. Das äußere sich vor allem in psychischen Auffälligkeiten, die zwar nicht gutachterlich, wohl aber aus dem Familienkreis von Frank S. belegbar seien.
Worin die Belastung konkret besteht, führt der Anwalt unter anderem in dem Brief an Kathleen M. aus. S. sei damals mit etwa 10 Monaten Praxis blutiger Fahranfänger gewesen, hätte bei einer möglichen Verurteilung den Führerschein ganz abgeben müssen. Dies wäre aber für den damals in Ausbildung befindlichen Trittauer fatal gewesen, für seinen Arbeitsweg sei der „Lappen“ unerlässlich. Vogg weiter: „Diese Angst vor der Perspektivlosigkeit und der finanziellen Not führte zu Schlafstörungen, die seine Leistungsfähigkeit minderten, und ist ebenso zu berücksichtigen.“ Zudem habe sich S. in den Monaten des laufenden Verfahrens auf einen wichtigen Test für die Zulassung zu einem medizinischen Studiengang vorbereiten müssen und sei beeinträchtigt gewesen.
Kommt es jetzt zur Klage gegen Lohbrüggerin, die einen Unfall beobachtete?
Die Summe aus psychischem und finanziellem Stress rechtfertigt aus Sicht von Rechtsanwalt Vogg sowohl Schmerzensgeld und Schadenersatz vom Verursacher des falschen Verdachts – in einer Gesamthöhe von 1437,84 Euro. Grundsätzlich befürwortet der Rechtsvertreter Zeugenaussagen und Anzeigen bei Verbrechen, Vergehen oder Ordnungswidrigkeiten jedweder Art. „Man darf sich auch mal irren“, führt Dominic Vogg weiter aus. Doch bei Kathleen M. störe ihn das „Aufbauschen“ und „Hinzudichten“ von vermeintlichen Fakten, zum Beispiel das vermeintliche Knall- oder Scheppergeräusch. „Fehler haben sich aus unserer Sicht gehäuft, sodass daraus eine richtige Straftat der falschen Verdächtigung geworden ist“, erklärt Dominic Vogg.
Für die Lohbrügger Betroffene ein Unding: „Ich habe doch lediglich meine bürgerliche Pflicht getan und es gemeldet. Ist das nicht mehr gewollt?“, fragt Kathleen M. Sie wird die aufgerufene Summe von fast 1500 Euro definitiv nicht zahlen, bespricht sich dazu auch noch mit ihrer Rechtsschutzversicherung. In der Argumentation der Gegenseite stößt ihr vor allem ein Widerspruch auf: „Wenn der junge Mann so ein Gerechtigkeitsempfinden hat: Warum hat er selbst nicht die Polizei gerufen, um sicherzugehen?“, appelliert Kathleen M. an die Eigenverantwortlichkeit des 19-Jährigen.
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Das besagt im Prinzip auch die Rechtssprechung: Demnach ist es völlig unerheblich, ob bei einem Parkrempler der Verursacher einen sichtbaren Schaden hervorgerufen hat oder nicht. Als Unfallverursacher darf der Unfallort nicht verlassen werden, sollte je nach Ausmaß des Schadens bis zu 90 Minuten auf den geschädigten Fahrzeugbesitzer gewartet werden und dann die Polizei verständigt werden. Unfall- und Fahrerfluchtzeugen sollten sich das Kennzeichen, das Autofabrikat, gegebenenfalls den Fahrer sowie den Unfallzeitpunkt einprägen. Immer ist es für Zeugen unerlässlich, die Polizei anzurufen oder dort direkt vorbeizufahren.