Kirchwerder. Die „Sportlerin des Jahres“ der TSG Bergedorf wird in Madrid Vize-Europameisterin im Para-Triathlon. Was sie so stark macht.
Verzweiflung sucht man in der Stimme von Neele Ludwig vergebens. Im Gegenteil: Ihr Lachen ist ansteckend. Dabei hätte die 32-Jährige allen Grund, mit ihrem Schicksal zu hadern. Seit einem rätselhaften Zusammenbruch 2019 ist sie teilweise gelähmt. Doch ihr Blick geht immer nach vorn, nie zurück. „Jeder bekommt das Päckchen, das er tragen kann“, lautet ihr Motto. Und ihre Schultern scheinen in dieser Hinsicht besonders kräftig zu sein.
Bei den Europameisterschaften im Para-Triathlon in Madrid hat die Sportlerin des Jahres der TSG Bergedorf nun zum ersten Mal eine Medaille bei einer internationalen Meisterschaft gewonnen. Hinter der Französin Cécile Saboureau holte Neele Ludwig Silber und haderte ein wenig mit den Bedingungen in der spanischen Hauptstadt. „Wegen der schlechten Wasserqualität wurde das Schwimmen durch Laufen ersetzt und der Wettbewerb als Duathlon ausgetragen“, schilderte sie. „Dadurch konnte ich meine Stärken beim Schwimmen nicht ausspielen.“
TSG Bergedorf: Neele Ludwig schafft es ins Landesliga-Team der Tri-Bandits
Das Wasser ist ihr Element. Das war schon damals so, als noch nicht zu ahnen war, welches Schicksal ihr bevorstehen sollte. Als Tochter der langjährigen TSG-Schwimmtrainerin Astrid Ludwig war sie genau wie ihre jüngeren Geschwister Hauke und Janne von klein auf vom Schwimmen begeistert, entdeckte später dann ihr Herz für den Triathlon und schaffte es bis in die Landesliga-Mannschaft der TSG-Tri-Bandits. Neele Ludwig war schon damals topfit, träumte davon, die legendäre Ironman-Distanz – 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und ein Marathonlauf – zu bewältigen. Also meldete sie sich für den Ironman im August 2019 in Glücksburg an.
Doch dann veränderte sich ihr Leben schlagartig: Am 13. Januar 2019 besuchte Neele Ludwig mit Freunden das „Feuerwerk der Turnkunst“ in der Hamburger Barclaycard Arena und brach dort unvermittelt zusammen. Drei Tage lang war sie bewusstlos. Als sie im Krankenhaus wieder aufwachte, war Neele Ludwig auf der rechten Seite gelähmt. Ihren rechten Arm kann sie seitdem nicht mehr bewegen, ihr rechtes Bein nur noch mit Hilfe eines Elektro-Stimulators.
„Ich habe etwa eineinhalb Monate gebraucht, um den Umgang damit zu lernen. Man braucht dabei viel Mut zum Fallen“, schildert sie. „Ich muss jeden Schritt aktiv auslösen, kann nichts mehr unbewusst tun. Wenn ich die Muskelgruppen auf der gesunden Seite anspanne, reagiert das Gerät auf die Gewichtsverlagerung.“
Ihre Familie und ihr Sportteam geben ihr Halt
Doch ihren großen Traum, den hatte Neele Ludwig noch nicht vergessen. Also eröffnete sie ihrer erstaunten Familie, dass sie trotz allem beim Ironman in Glückstadt an den Start zu gehen gedenke. Immerhin seien ja noch acht Monate Zeit zum Trainieren. „Die haben natürlich gedacht: ,Lass’ die man reden’“, amüsiert sie sich. Doch Stück für Stück eroberte sie sich die Sportwelt, die ihr so viel bedeutet, zurück. Das Schwimmen bekam sie dank ihrer langjährigen Erfahrung trotz Beeinträchtigung in den Griff, auf dem Fahrrad stabilisiert eine Stütze den kraftlos gewordenen rechten Arm.
„Die Barrieren sind manchmal eher in den Köpfen der anderen als in meinem“
Aufgefangen wurde sie nicht nur von ihrer Familie, sondern auch von ihrem alten Triathlon-Team, nachdem sie ihre Teamkolleginnen eingenordet hatte. „Wir haben ständig Hilfe angeboten, und sie hat immer wieder ,Nee, lass’ mal’ gesagt“, erinnert sich die befreundete Triathletin Julia Jeschke und ergänzt mit gespielter Empörung: „Heute ist sie in manchen Disziplinen schneller als ich.“ „Die Barrieren sind manchmal eher in den Köpfen der anderen als in meinem“, hat Neele Ludwig beobachtet.
- Elisa Marlene von Hacht – Nach dem ersten Sprung war alles vorbei
- Bergedorfer Citylauf feiert am Sonntag Jubiläum
- Spionage-App bremst Bergedorfer Rallye-Piloten aus
Auf Hilfe wird sie seit dem Schicksalsschlag aber immer angewiesen sein. Bei den Para-Wettkämpfen gibt es dafür Helfer, die sie nach dem Schwimmen aus dem Wasser holen und in die Wechselzone tragen. „Auch meinen Neo kann ich nicht alleine ausziehen“, schildert sie. Das Gehen mit dem Elektro-Stimulator ist schwierig, jede Bodenunebenheit eine Herausforderung. „Treppen sind mein Endgegner“, klagt sie und ärgert sich über unnötige Tücken des Alltags: „Dass die S21 in Bergedorf so oft an Gleis 5 abfährt, wo es keinen Fahrstuhl gibt, ist eine echte Katastrophe!“
Den Ironman, den hat sie damals trotz aller Schwierigkeiten geschafft. „Ich habe 14,5 Stunden gebraucht, um ihn zu finishen“, erinnert sie sich. „Es lief in Glücksstadt schon das Abschlussfeuerwerk.“
Das nächste große Ziel sind die Paralympics 2024 in Paris
Ihr Leben organisiert sie heute, so gut es geht, selbstständig. Auch in ihren Beruf als Kinderkrankenschwester hat sie zurückgefunden. Sie ist bei einem Kinderintensivpflegedienst angestellt. „Die Eltern sind aber manchmal sehr erstaunt, wenn ich komme, um ihre Kinder zu pflegen, und haben erst Bedenken“, schildert sie. „Aber oft kann ich das schnell ausräumen.“
In der Para-Triathlon-Weltrangliste ist sie in ihrer Startklasse mittlerweile Achte der Weltrangliste. Nun sollen die Paralympics in Paris das nächste große Ziel sein. Am 1. und 2. September 2024 werden an der Pont Alexandre III. im Herzen von Paris die Wettkämpfe im Para-Triathlon ausgetragen. Dann will Neele Ludwig dabei sein. Mit dem Mut einer Frau, die ein eiserner Wille antreibt.