Hamburg. Fahrgäste fahren zwischen Bergedorf und Berliner Tor in digital gesteuerter S-Bahn mit. Wer den Startknopf drücken durfte.

Die Deutsche Bahn und der Technologiekonzern Siemens haben am Montag eine Weltpremiere gefeiert: Erstmals startete in Hamburg eine vollautomatisch fahrende, digital gesteuerte S-Bahn. Bahnchef Richard Lutz kündigte an, dass die Technologie in Zukunft schrittweise auf das gesamte S-Bahn-Netz der Hansestadt ausgedehnt werden soll.

Nach Worten von Siemens-Chef Roland Busch handelt es sich um eine "Blaupause für die Digitalisierung der Schiene in Deutschland, Europa und der ganzen Welt". Autonome Bahnen gebe es zwar schon länger. Neu sei das offene System, das mit jeder Bahn kompatibel sei, die die technischen Standards beherrsche. Peter Tschentscher, Erster Bürgermeister und Präsident des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg, startet per Knopfdruck in den vollautomatischen Modus im Führerstand der S-Bahn S21.

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Weltpremiere S21 in Hamburg: Blaupause für die ganze Welt

Um 11 Uhr war es in Hamburg soweit: Endlich dürften Fahrgäste mit der ersten digital gesteuerten S-Bahn auf der Linie S 21 zwischen Berliner Tor und dem Bergedorfer Bahnhof mitfahren. Nach fast genau einem Jahr Testbetrieb mit vier hochautomatisierten Zügen sollen diese auf der 23 Kilometer langen Strecke hin und her pendeln.

Ein umgebauter Zug des Pilotprojektes
Ein umgebauter Zug des Pilotprojektes "Digitale S-Bahn Hamburg". © dpa | Ulrich Perrey/dpa

Die Premierenfahrt mit einem ersten umgerüsteten Zug fand passend zum ebenfalls am heutigen Montag startenden ITS-Kongress („International Transport Systems“, 11. bis 15. Oktober im CCH) statt. Bei der Hamburger S-Bahn sind sie sehr stolz darauf. Es sei „eine erstaunliche Leistung“ der beteiligten Ingenieure, dass innerhalb von nur drei Jahren Entwicklungszeit der digitale Zug jetzt losrollen könne. „Die Nachricht ist, dass wir die Technik auf die Schiene gebracht haben.“

S-Bahn ohne Lokführer: S21 fährt zwischen Berliner Tor und Bergedorf

Die Züge sollen in der Messewoche an einem speziellen Design erkennbar sein. Wermutstropfen: Wer noch spontan in der ITS-Woche mitfahren möchte, kommt zu spät. Die Plätze sind schon lange ausgebucht. Wann der Digitalbetrieb dann für die Allgemeinheit aufgenommen wird, könnte am Montag bei einer Extrafahrt für Medienvertreter bekanntgegeben werden.

Digital gesteuerte S-Bahn: „Control System“ überwacht die Steuerung

Die digitalen Züge fahren übrigens nicht unbemannt, sondern hochautomatisiert. Hochautomatisiert heißt genau, dass ein Lokführer weiter an Bord bleibt, den Betrieb kontrolliert. Der S-Bahn-Mitarbeiter kann im Störungsfall selbstverständlich eingreifen.

Bevor die Tests Ende Oktober 2020 begannen, wurde die Teststrecke überarbeitet, Signaltechnik und elektronisches Stellwerk aufgerüstet und Messantennen, sogenannte Eurobalissen, gesetzt. Das „European Train Control System“ (ECTS) überwacht die Steuerung im digitalen Testbetrieb.

S-Bahn Hamburg: Neue Technik ist deutschlandweit einsetzbar

Die S-Bahn prüfte in den vergangenen Monaten, ob die Kommunikation zwischen Zug und Stellwerk funktionierte, den Umschaltmechanismus von konventionellem zu digitalem Betrieb und zurück oder auch die Abfertigung des Zugs am Bahnsteig. Im Fokus stand zudem die Zugsteuerung sowohl auf der Strecke als auch in der Bergedorfer Abstellanlage. Genau dort wurde auch der Übergang vom hochautomatisierten in den vollautomatisierten Betrieb auf einer Streckenlänge von etwa 1000 Meter geprobt. „Dieses Projekt entwickelt eine Blaupause für intelligente Nahverkehrsnetze. Die hier entwickelte Technik ist dann deutschlandweit einsetzbar“, heißt es von der S-Bahn.

Umrüstung des Gesamtnetzes kostet etwa 800 Millionen Euro

Das digitale S-Bahn-Projekt ist ein Vorbote dessen, was Unternehmen, Senat und Siemens mit dem gesamten Streckennetz vorhaben. Fast 70 Millionen wurden schon investiert. Eine Machbarkeitsstudie ergab, dass die Kosten für die Umrüstung des Gesamtnetzes auf Digitalbetrieb bei rund 800 Millionen Euro liegen werden. 620 Millionen Euro werden für die Infrastruktur fällig, weitere 175 Millionen Euro müssen in die Umrüstung der Fahrzeuge investiert werden – die S-Bahn plant, die digitale Revolution bis zum Jahr 2030 zu realisieren.

Die Wichtigkeit des Vorhabens betont Kay Uwe Arnecke, Chef der S-Bahn Hamburg: „Wir brauchen den digitalen S-Bahn-Betrieb, um für die geplanten Angebotsausweitungen gerüstet zu sein.“ Dabei werden immer wieder diese Stichworte genannt: Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Kapazitätsaufbau, Umweltverträglichkeit.

Bergedorfer Trasse: Digitalbetrieb könnte Probleme verringern

Gerade die Trasse von und nach Bergedorf (S 21 und S 2) galt in der Vergangenheit als Problem. Im Berufsverkehr fielen viele Züge aus oder verspäteten sich. Nun können durch digitale Technik mehr Züge in engerer Taktung fahren, die mit Radarsystem ausgerüsteten S-Bahnen können auf der Strecke Berliner Tor – Bergedorf mit weniger Abstand unterwegs sein. 30 Prozent mehr Fahrgäste, 40 Prozent weniger Verspätungen – das ist der Erwartungshorizont der S-Bahn.

Übrigens: Der ITS-Kongress bietet für diejenigen, die erstmal nicht mit der selbstfahrenden S-Bahn mitfahren dürfen, weitere Angebote unter itsworldcongress.com