Hamburg. Mehr als 750 Männer und Frauen sind in Billwerder inhaftiert. In der Frauenanstalt sollen manche sogar „lebenslänglich“ einsitzen.
Nach dem Abschied von Ullrich Quietzsch und Rosemarie Höner-Wysk stehen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder zwei Frauen an der Spitze: Ute Smentek (55), bisher stellvertretende Anstaltsleiterin, ist die neue Leiterin der JVA mit 673 Haftplätzen für Männer, von denen derzeit fast alle belegt sind. Annette Volkmann (53), bis vor Kurzem Leiterin der Rechtsabteilung des Gefängnisses, ist die neue Leiterin der Teilanstalt für Frauen. In diesem besonderen Bereich der JVA mit 99 Haftplätzen sind derzeit 80 Frauen untergebracht.
Ute Smentek wurde in Berlin geboren. Seit 21 Jahren lebt sie in Hamburg, arbeitet sie im Strafvollzug der Hansestadt. Wie auch Annette Volkmann, geborene Hamburgerin, lebt sie in der Innenstadt. Ute Smentek ist studierte Diplompsychologin, Annette Volkmann hat Jura studiert, leitete seit 2014 die Rechtsabteilung der JVA. Eigentlich habe sie „nur ein paar Jahre“ im Vollzug arbeiten wollen, um einen Einblick zu bekommen: „Als Mitarbeiterin der Staatsanwaltschaft habe ich erwirkt, das Menschen zu Freiheitsstrafen verurteilt werden. Da wollte ich wissen, wie in einer JVA gearbeitet wird und was eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung für die Verurteilte oder den Verurteilten eigentlich bedeutet.“
JVA Billwerder: Sporthalle und Kirche werden von Männern wie Frauen genutzt
Ute Smentek war bereits in Billwerder beschäftigt, bevor sie vergangenes Jahr die stellvertretende Leitung übernahm: Von 2005 bis 2016 arbeitete sie in verschiedenen Bereichen, unter anderem als Vollzugsleiterin in einem der Hafthäuser. Die Teilanstalt für Frauen gehört zur JVA und ist damit ebenfalls Ute Smentek unterstellt. Vieles entscheidet jedoch Annette Volkmann, etwa, ob eine Insassin in den offenen Vollzug in die JVA Glasmoor verlegt werden kann, also außerhalb des Gefängnisses arbeiten und auch mal ein Wochenende bei ihrer Familie oder ihrem Partner verbringen darf.
„Frau Smentek und ich sind gut verzahnt, sprechen wichtige Dinge regelmäßig miteinander ab“, sagt die 53-Jährige. In der täglichen Arbeit gebe es viele Schnittstellen. Denn ein Großteil des Personals und hat mit männlichen und weiblichen Insassen zu tun, auch viele Räume werden von beiden Geschlechtern genutzt, etwa wenn es um medizinische Versorgung geht, aber auch Sporthalle und Anstaltskirche gibt es jeweils nur einmal. Das gesetzlich vorgegebene Trennungsgebot sei logistisch aufwendig umsetzbar, funktioniere aber gut.
In der JVA Billweder gibt es einen sicheren Lebensbereich für Frauen
Die Teilanstalt für Frauen zog vor rund fünf Jahren von Hahnöfersand nach Billwerder. „Viele der inhaftierten Frauen haben schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht“, sagt Annette Volkmann. „Die Teilanstalt soll ein sicherer Lebensbereich für Frauen sein.“
Die Männer und Frauen haben eigene Hafträume, in die sie abends eingeschlossen werden. Tagsüber gehen sie Freizeitbeschäftigungen nach, treiben sie Sport, empfangen sie Besucher, gehen sie zur Arbeit oder zur Schule. „Wir haben zwei Schulen, eine für die Männer und eine für die Frauen. Dort bekommen die Insassen Grundwissen vermittelt, lernen die deutsche Sprache oder erwerben EDV-Kenntnisse“, sagt Ute Smentek. Es gibt eine Schuldner- und eine Drogenberatung, außerdem hat jeder Häftling das Recht auf eine tägliche „Freistunde“, die er auf dem Hof, verbringen kann – etwa mit einem Spaziergang, Joggen oder Basketball.
Nicht jeder Häftling darf in den Kraftsportraum
In der Sporthalle gibt es einen Kraftsportraum. Ihn darf nicht jeder nutzen: „Häftlingen, die durch Gewalttätigkeit innerhalb der JVA aufgefallen sind, verwehren wir den Zutritt“, sagt Ute Smentek. Der Bereich Arbeit und Qualifizierung könne noch ausgebaut und verbessert werden, antwortet Ute Smentek auf die Frage zu ihren Plänen. Dort seien Sonderpädagogen gefragt, die denen helfen, die am schwersten zu integrieren sind.
Corona erschwere den Vollzug. Bisher habe es nur in Einzelfällen Erkrankungen unter Beschäftigten und männlichen Häftlingen mit anschließender Quarantäne auf der Station gebeben, berichtet die JVA-Leiterin. Die Betroffenen wurden ins Zentralkrankenhaus gebracht. „Zum Glück gab es keine schweren Verläufe.“ Annette Volkmann ergänzt, dass bei den inhaftierten Frauen bisher keine Covid-19-Erkrankung festgestellt worden sei.
Was die beiden Leiterinnen besonders an ihrer Arbeit schätzen? „Die Zusammenarbeit mit so vielen verschiedenen Berufsgruppen, zum Beispiel Mediziner, Psychologen, Verwaltungsmitarbeiter, Vollzugsbeamte und Sozialpädagogen“, sagt Annette Volkmann. Ihre Chefin ergänzt: „Alle wirken an Entscheidungsprozessen mit, alle haben das gleiche Ziel. Wo gibt es das sonst? das ist hier wie in einer kleinen Stadt, einem Dorf.“
In der Männer-Anstalt herrsche ein ständiges Kommen und Gehen
Auch die Arbeit mit den Inhaftierten sei interessant, betont Ute Smentek. „Gestern hat man vielleicht noch in der S-Bahn nebeneinander gesessen. Schließlich werden in der JVA Billwerder viele Kurzzeitstrafen verbüßt, sind dort zahlreiche Erstverbüßer untergebracht. Bei uns gibt es ja auch eine Untersuchungshaft für Menschen, in deren Fall die Schuldfrage noch abschließend geklärt werden muss.“ Die JVA Billwerder ist nicht für lebenslängliche Freiheitsstrafen zuständig. In der Teilanstalt sieht das anders aus: Dort verbüßen Frauen Freiheitsstrafen von wenigen Wochen bis lebenslänglich.
Bei den Männern seien aktuell vier Jahre Haft das Maximum. Dadurch herrsche in ihrer JVA eine gewisse Unruhe, denn es gebe ein stetiges Kommen und Gehen. 2019 habe es rund 1100 Zugänge und etwa 900 Abgänge gegeben.
In die Biografie der Insassinnen hineinversetzen
Das Grundkonzept des Vollzugs sei, dass Menschen dazulernen und sich ändern können, betont die Gefängnisleiterin. Deshalb seien die Mitarbeiter auch stets für neue Ansätze offen. „Wir unterstützen die Häftlinge, führen viele Gespräche mit ihnen.“ Ute Smentek bedaure manchmal, dass ihre Arbeit „nicht richtig wahrgenommen“ werde: „Dabei kann die Gesellschaft ein bisschen stolz auf uns sein.“ Interessant sei ein Gefängnis vor allem dann, „wenn mal etwas schiefgeht“.
Ob es ein Vorteil ist, wenn Frauen an der Spitze des Gefängnisses stehen? „Wir werden wohl anders wahrgenommen. Vielleicht ist es einfacher, uns anzusprechen“, sagt Ute Smentek. Freundlichkeit sei keine Schwäche. „Ich musste bisher nicht besonders um Akzeptanz kämpfen.“ Annette Volkmann findet es richtig, dass eine Frau die besonders sensible Teilanstalt leitet: „Eine Frau kann sich leichter in die Biografie der Insassinnen hineinversetzen.“ Frauen seien redebereiter – und dies mache einen Großteil der Arbeit aus, „ins Gespräch kommen“.