Hamburg. Seit vielen Jahren wächst und gedeiht eine Birke an einem ganz besonderen Ort. Das ist laut Denkmalschutz nicht länger zulässig.

Dieser Baum hat einen echten Logenplatz – und das vermutlich schon seit etwa fünf Jahren: Ganz oben auf dem letzten verbliebenen Schlot der Bergedorfer Industriegeschichte thront eine mittlerweile ansehnliche Birke. Doch was manchen Augenzeugen begeistert, der den Baum in gut 30 Metern Höhe entdeckt, lässt den Denkmalschützern graue Haare wachsen.

„Wir haben den Eigentümer schon mehrfach angeschrieben, zuletzt im Herbst 2023, und auf den Baum und die Instandhaltungspflicht hingewiesen“, schreibt Claudia Preiksch auf Nachfrage unserer Redaktion. Die Sprecherin des Hamburger Denkmalschutzamts bedauert, dass bis heute nichts geschehen ist, handelt es sich bei der Anlage samt Schornstein doch um Bergedorfs altes Gaswerk, das seit Mai 2013 unter Denkmalschutz steht.

Ob Bergedorfs höchster Baum Schäden am Schornsteinkopf verursacht hat, ist unklar

Ob die Birke durch ihr Wurzelwerk in luftiger Höhe bereits Schäden im Mauerwerk angerichtet hat, ist laut Preiksch unbekannt. Und tatsächlich scheint der Baum unter der Kupferabdeckung des Schornsteinkopfes zwar angewachsen zu sein, aber bisher zu keinen von außen erkennbaren Rissen in den Backsteinen oder ihrer Verfugung geführt zu haben. Ohnehin sei der Schlot seit Jahrzehnten nicht mehr in Betrieb, schreibt das Denkmalschutzamt.

Der Baum auf dem Schornsteinkopf aus der Vogelperspektive.
Der Baum auf dem Schornsteinkopf aus der Vogelperspektive. © bgz | Privat

Zuständig für das Entfernen ist dennoch der Eigentümer, die seit 1981 in diesem Teil des alten Gaswerks ansässige Metallgießerei Josef Ritter. Geschäftsführer Jörg Ritter kündigte am Montag im Gespräch mit unserer Redaktion an, nun kurzfristig einen Kran zu ordern, um an der Birke die Säge ansetzen zu können und auch die Wurzeln zu entfernen.

Bergedorfs Gaswerk versorgte einst ein Netz, das bis Geesthacht und nach Rahlstedt reichte

Die Geschichte der „Bergedorfer Gas-Compagnie“ reicht zurück bis ins Jahr 1856, als der Rat der damals eigenständigen Stadt Bergedorf beschloss, eine eigene Energieversorgung aufzubauen. Noch im selben Jahr nahm das erste, noch deutlich kleinere Gaswerk seine Arbeit am heutigen Glaeßweg zwischen Rektor-Ritter-Straße und Am Pool in der damaligen Bergedorfer Vorstadt auf. Hier sollte es bis kurz nach der Jahrhundertwende bleiben.

Das 1947 stillgelegte Bergedorfer Gaswerk an der Bahnlinie im Gewerbegebiet Kurt-A.-Körber-Chaussee gelegen, umfasst bis heute zahlreiche Backsteingebäude.
Das 1947 stillgelegte Bergedorfer Gaswerk an der Bahnlinie im Gewerbegebiet Kurt-A.-Körber-Chaussee gelegen, umfasst bis heute zahlreiche Backsteingebäude. © bgz | Privat

An den nun denkmalgeschützten Standort zog das Bergedorfer Gaswerk 1904. Damals galt das Areal zwischen Bahnlinie und heutiger Kurt-A.-Körber-Chaussee als weit abgelegen von jeglicher Wohnbebauung. Und es bot Platz für eine deutliche Erweiterung. Denn von nun an wurden Gasversorgungsverträge mit zahlreichen Nachbargemeinden geschlossen, das damals noch holsteinische Lohbrügge, Boberg, Geesthacht, Schiffbek und Tonndorf. Das Versorgungsnetz reichte schließlich sogar bis nach Rahlstedt und Meiendorf.

Denkmalschützer sind begeistert von der erhaltenen Architektur des alten Gaswerks

Mit der Eingliederung Bergedorfs in die Einheitsgemeinde Hamburg ging die Anlage samt ihres Netzes an die Hamburger Gaswerke über. Die Bergedorfer Produktionsstätte wurde 1947 stillgelegt, die großen runden Gasbehälter abgebaut. Übrig blieb ein Kleinod in Backstein, das die Denkmaltopografie mit einiger Begeisterung beschreibt: Zwar seien Teile der alten Anlage abgebrochen worden, aber „die noch erhaltenen Reste zeigen bis heute die typischen Formen der Industriearchitektur der Jahrhundertwende und erinnern, von der S-Bahn-Strecke aus gesehen städtebaulich besonders wirksam, an die frühe Energieversorgung Bergedorfs“.

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Die Gebäude werden heute neben der Metallgießerei Josef Ritter auch von der CMS-Musikschule genutzt, die hier neben ihrer Verwaltung auch diverse Übungsräume und kleine Tonstudios unterhält. Die Metallgießerei ist zu einem mittelständischen Unternehmen mit heute acht Schmelzöfen gewachsen. In zweiter Generation geführt, werden hier Ersatzteile sowie kleine und mittlere Serienprodukte aus Aluminium und diversen anderen Metallen bis hin zu Bronze gefertigt.

Wann genau der Telekran anrückt, um Bergedorfs höchstem Baum an den Stamm und die Wurzeln zu gehen, steht bisher noch nicht fest. Dass die Säge angesetzt wird, steht laut Denkmalschutzamt aber außer Frage: Sollte sich hier auch weiterhin nichts tun, „kann das Denkmalschutzamt – wenn die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind – die Entfernung des Baumes per Sicherungsverfügung anordnen“.