Hamburg. Vermutlich handelt es sich um eine ausgesetzte Erdnatter. Polizei und ein Biologe geben Tipps, was bei einer Begegnung zu beachten ist.

„Die gehört hier doch nicht hin“, dachten sich aufgeschreckte Spaziergänger im Bergedorfer Gehölz und zückten sofort ihre Kamera. Die Schlange, die sich unterhalb der Tennisplätze vom TV Ostende nahe dem Bergedorfer Villengebiet auf dem Sandweg schlängelte, war eindeutig zu groß für eine heimische Ringelnatter oder Kreuzotter. Gut zwei Meter maß das braun-weiß gemusterte Tier, das sich weder von Passanten noch von Hunden an diesem sonnigen Nachmittag beeindrucken ließ – und im Dickicht verschwand.

Und tatsächlich, die Vermutung der Spaziergänger war richtig: „Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um eine Erdnatter“, sagt Lennart Hellmessen, Pressesprecher des Bezirksamts Bergedorf, der zur Bestimmung das Schlangenfoto einem Reptiliensachverständigen vorgelegt hat, den die Bergedorfer Polizei bei solchen Einsätzen hinzuzieht. Das Waldgebiet zwischen Bergedorf und Wentorf mit seinen alten Buchen- und Eichenbeständen gehört der Stadt Hamburg.

Schnappschuss der imposanten, aber ungiftigen Erdnatter an einem der Wanderwege im Bergedorfer Gehölz.
Schnappschuss der imposanten, aber ungiftigen Erdnatter an einem der Wanderwege im Bergedorfer Gehölz. © Gerullis | Undine Gerullis

Die riesige braun-weiße Erdnatter wurde wohl im Bergedorfer Gehölz ausgesetzt

Die gute Nachricht ist: Erdnattern sind in der Regel ungiftig und ungefährlich. Die schlechte: Diese Schlangenart gehört nicht in den norddeutschen Wald, sondern ist eigentlich in Nordamerika, im Süden und Osten der USA sowie in Ostkanada heimisch und wurde höchstwahrscheinlich einfach im Norden Deutschlands ausgesetzt.

Erdnattern gelten unter Terraristikfreunden als Einstiegsschlange. Als nicht bedrohte Art unterliegt sie keiner Meldepflicht und wird zwischen 100 und 220 Euro – je nach Alter, Größe und Zeichnung – in Terraristikshops im Internet gehandelt. Die im Gehölz gesichtete ist braun gefärbt, mit weißen Mustern und ist ziemlich imposant.

Im Hamburger Tierheim Süderstraße werden immer mal wieder auch Schlangen abgegeben

Das Aussetzen von Tieren ist ein Riesenproblem, das Joana Weckwerth, Mitarbeiterin im Hamburger Tierschutzverein, zur Genüge kennt – und worüber sie nur verständnislos den Kopf schütteln kann. Täglich landen bis zu fünf, meist auf der Straße von der Polizei aufgegriffene Tiere im Heim an der Süderstraße. Der Großteil dieser Tiere, die hier derzeit auf ein neues Zuhause hoffen, wurden zuvor ausgesetzt. Wenige wurden in Obhut genommen, weil ihr Besitzer verstorben oder die Haltebedingungen zu schlecht waren und noch weniger wurden im Tierheim gegen eine Gebühr abgegeben.

„Unverantwortlich“, bezeichnet die Mitarbeiterin dieses Verhalten, denn die Vorbesitzer unterschätzen die Gefahren, denen sie ihre Tiere plötzlich aussetzen und die sie vorher in ihrem Zuhause nicht kannten. „Zumal die wenigsten Haustiere sich allein versorgen können“, sagt Weckwerth.

Die Erdnatter lebt verutlich schon seit mehr als einem Jahr im Bergedorfer Gehölz

Schlangen sind unter den Fundtieren eher selten, Katzen umso häufiger. Viel schlimmer aber sei, dass die Vorbesitzer kaum Konsequenzen für ihr unverantwortliches Verhalten fürchten müssen. „Das Aussetzen von Tieren ist eine Ordnungswidrigkeit, die leider viel zu selten angezeigt und geahndet wird“, bedauert Weckwerth. Und die vor den Sommerferien – traurig, aber wahr – immer noch Hochkonjunktur hat.

Wie lange die Erdnatter schon durchs Bergedorfer Gehölz schlängelt, kann niemand sagen. Höchstwahrscheinlich ist es nicht ihr erster Sommer in freier Wildbahn, denn im vergangenen Jahr wurde mehrfach eine Erdnatter auf dem Gelände des Tennisvereins Ostende oberhalb des Doktorbergs gesichtet und fotografiert. „In dem Baumstumpf neben unseren oberen Tennisplätzen wurde sie öfter gesehen“, sagt Sarah Andronaco aus dem Vereinsvorstand.

Erdnattern schlafen gern in Baumhöhlen, unter Altholz oder in Baumstümpfen

Um den Tennisspielern die Angst zu nehmen, hatte der Verein extra einen Aushang gemacht und auf die Ungefährlichkeit der Schlange hingewiesen. Der Aushang ist mittlerweile wieder verschwunden, schon länger wurde sie auf dem Gelände nicht mehr gesichtet. „Erdnattern schlafen tatsächlich gern in Baumhöhlen, unter Altholz und in Baumstümpfen“, sagt Sven Fraass, Biologe und Pressesprecher des Hamburger Tierschutzvereins.

Denn wie ihr Name sagt, vergraben sich zwar in der Erde, können aber genauso gut klettern, weswegen sie auch Kletternattern genannt werden. Sie ernähren sich von Mäusen, Eidechsen und kleinen Vögeln. „Beute machen können auch Nattern aus Terrarienhaltung. Denn ihre Instinkte behalten die Tiere. Schließlich handelt es sich um in Gefangenschaft gehaltene Wildtiere, nicht um domestizierte Haustiere“, erklärt Fraass.

Die Schlange ist zwar nicht giftig, kann aber sehr schmerzhaft zubeißen

Auch wenn die Erdnatter hier also nicht heimisch ist, „kann sie durchaus in unserem Klima überleben“, sagt Weckwerth. Die Lebenserwartung von Erdnattern in freier Wildbahn beträgt bis zu acht Jahre, im Terrarium kann sie bis zu 20 Jahre alt werden. Fressfeinde hat sie hierzulande zwar auch, zumindest so lange sie nicht ausgewachsen ist. Junge Erdnattern müssen sich vor Füchsen, Greifvögeln oder Wildschweinen fürchten. An ausgewachsene Erdnattern mit einer Körperlänge von durchschnittlich 1,80 Meter – besonders große Exemplare sind auch bis zu 2,50 Meter lang – wird sich aber kein Fuchs herantrauen, zumal sich Erdnattern wehrhaft verteidigen können. Ihr Schlagverhalten gegenüber Angreifern ist vehement und „sie kann – wie jedes Tier – schmerzhaft zubeißen“, warnt Weckwerth.

Angst vor einem Schlangenangriff müssen Waldspaziergänger nun aber nicht haben. „In der Regel würde sie das Weite suchen, wenn sie auf Spaziergänger und Hunde trifft, es sei denn ein Hund oder Mensch tritt quasi auf sie drauf“, sagt Biologe Fraass. Deshalb verstehe es sich von selbst, Hunde im Wald anzuleinen und auf den Wegen zu bleiben. Nicht nur, um sich vor Schlangenbissen zu schützen, sondern auch um keine anderen im Unterholz lebenden Tiere aufzuschrecken oder gar zu jagen.

Vor zwei Jahren wurde bereits eine Erdnatter im Bergedorfer Gehölz gesichtet – und eingefangen

So unwahrscheinlich ist es nicht, die Erdnatter im Gehölz anzutreffen. Zum einen ist sie tag- und nachtaktiv und wechselt ihre Umgebung nicht, wenn sie sich wohlfühlt. Auch fallende Wintertemperaturen machen der Natter nichts aus. Dann hält sie Winterruhe. „Nur für die Fortpflanzung ist es ihr aber vermutlich zu kalt. Mit unseren heimischen Arten, wie beispielsweise der Ringelnatter, ist dies aber auch nicht möglich“, sagt Tierschützerin Weckwerth.

Es ist nicht die erste Erdnatter, die im Bergedorfer Gehölz gesichtet wurde. Bereits im Sommer vor zwei Jahren wurde in der Nähe der Revierförsterei eine beige-orangene Erdnatter eingefangen und ins Tierheim an der Süderstraße gebracht. Zuerst dachten alle, es handelt sich bei der Schlange um eine Kettennatter. Erd- und Kettennatter sind eng miteinander verwandt, können sich miteinander fortpflanzen und Hybriden bilden, was die Bestimmung der Art erschwert. Beide Arten sind eigentlich in Nordamerika heimisch, mit ihnen wurde in Europa aber viel gezüchtet, sodass es zahlreiche Farbschläge gibt. Vor zwei Jahren wurde die Haltung und Zucht der Kettennatter von der EU verboten, da sie als invasive Art eingestuft wurde.

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Die angebliche Kettennatter aus dem Gehölz stellte sich am Ende als Erdnatter heraus, deren Halter in dieser Zeitung gesucht wurde. „Gemeldet hat sich bei uns niemand“, sagt Weckwerth. Nach einigen Wochen konnte das Schlangentier in ein neues Zuhause vermittelt werden. Bei der Vermittlung von Schlangen gilt: Je auffälliger die Zeichnung, desto mehr Interessenten gibt es. „Albinoschlangen sind besonders begehrt“, weiß Weckwerth.

Ob die nun gesichtete Erdnatter ebenfalls schnell ein neues festes Zuhause finden würde, ist unklar. Spaziergänger oder Radfahrer, die die Schlangen sichten, melden sich umgehend bei der Polizei oder im Tierheim. „Es ist ratsam, ein Foto zu machen, um ausschließen zu können, dass es sich bei der Schlange nicht doch um eine einheimische Art handelt“, sagt Weckwerth. Auf keinen Fall sollte die Schlange angefasst oder gar versucht werden, sie einzufangen.