Hamburg. Anke Heidorn arbeitete in einem der ärmsten Länder der Erde. Trotz Bürgerkrieg und Ausgangssperre - etwas erinnerte sie an die Heimat.

Neun Monate lang lebte und arbeitete Anke Heidorn aus Kirchwerder in einer anderen Welt: Die 63-Jährige arbeitete für Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF) in der Zentralafrikanischen Republik, einem der ärmsten Länder der Welt. In der Kleinstadt Bossangoa (rund 30.000 Einwohner) im Nordwesten des Landes war sie als Finanzmanagerin angestellt. Vor Kurzem kehrte sie voller neuer Eindrücke und Erfahrungen zurück.

Die gelernte Technische Zeichnerin, die 37 Jahre lang Mitbetreiberin der im vergangenen Jahr geschlossenen Druckerei Zollenspieker war, wollte „beruflich etwas tun, was die ganzen Jahre zuvor nicht ging“. Ihr letztes Engagement im Ausland lag 40 Jahre zurück. Damals arbeitete Anke Heidorn eineinhalb Jahre lang für die kirchliche Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in den Niederlanden.

Ärzte ohne Grenzen: Hamburgerin im Hilfseinsatz in Zentralafirka

In der Druckerei Zollenspieker seien viele Drucksachen für Nichtregierungsorganisationen produziert worden. „Ich habe immer interessiert gelesen, wie die sich engagieren“, sagt die Vierländerin. „Außerdem bin ich schon lange Dauerspenderin für Ärzte ohne Grenzen.“ Parallel engagierte sie sich in der Flüchtlingsunterkunft Auf dem Sülzbrack und bei der Initiative Fluchtpunkt Bergedorf, die sie 2013 mitgründete. „So eine Arbeit für hilfebedürftige Menschen wollte ich gern zu meinem Beruf machen.“

Anke Heidorn (63) in ihrem Garten in Kirchwerder mit Kleidung und Taschen, die sie aus der Zentralfrikanischen Republik mitgebracht hat. Dort war sie neun Monate lang für Ärzte ohne Grenzen im Einsatz.
Anke Heidorn (63) in ihrem Garten in Kirchwerder mit Kleidung und Taschen, die sie aus der Zentralfrikanischen Republik mitgebracht hat. Dort war sie neun Monate lang für Ärzte ohne Grenzen im Einsatz. © Thomas Heyen | Thomas Heyen

Im Internet informierte sie sich über die Möglichkeiten der Mitarbeit bei der 1971 von französischen Ärzten gegründeten Organisation Ärzte ohne Grenzen, dem weltgrößten unabhängigen Projekt für medizinische Nothilfe – und bewarb sich um einen Job. „Ich bekam den Hinweis, dass ich mein Französisch aufbessern sollte, belegte daraufhin VHS-Kurse.“ Im August 2023 – 14 Monate nach der ersten Kontaktaufnahme – war es dann so weit, flog die Vierländerin in die Zentralafrikanische Republik.

Finanzplanung der verschiedenen Abteilungen der Hilfsorganisation überprüft

Viel Geld verdiente Anke Heidorn nicht, „nur den deutschen Mindestlohn, der monatlich auf mein Konto in Hamburg überwiesen wurde“, aber darauf sei es ihr auch nicht angekommen. „Außerdem wurden mir Unterkunft und Verpflegung gestellt“. Sie verwaltete Finanzen, prüfte etwa Bestellungen von medizinischen Produkten oder Baumaterialien. Auch Rechnungen und Verträge mit beauftragten Firmen gingen über ihren Schreibtisch – alles in Französisch. „In der Druckerei Zollenspieker habe ich mich jahrelang mit der Buchhaltung befasst. Das kam mir zugute.“

Die Mitarbeiter der privaten Nothilfeorganisation wurden mit einem kleinen Flugzeug von Ärzte ohne Grenzen geflogen, um an verschiedenen Orten in dem Land arbeiten zu können.
Die Mitarbeiter der privaten Nothilfeorganisation wurden mit einem kleinen Flugzeug von Ärzte ohne Grenzen geflogen, um an verschiedenen Orten in dem Land arbeiten zu können. © MSF | MSF

Ihr Wohngemeinschaftszimmer in Kirchwerder wollte sie nicht untervermieten, sich lieber ein Türchen offenhalten: „Ich hätte ja in Afrika krank oder evakuiert werden können oder mit meiner Arbeit nicht klarkommen können.“ Doch es kam anders, denn alles hat gut funktioniert, betont Anke Heidorn. Sie habe nette Menschen kennengelernt, Spaß gehabt und „Wertschätzung erfahren“. Natürlich sei die Situation schwierig gewesen, „aber ich war keine Touristin, ich konnte dabei mithelfen, die Situation zu verbessern“. Sie habe halt keine Urlaubsreise gemacht.

Viel weniger Ärzte als in Deutschland und viele vernachlässigte Krankheiten

In der von kleinen Häusern und Hütten aus in der Sonne getrockneten Ziegeln und mit Stroh- oder Wellblechdächern dominierten Kleinstadt, habe sie sehr viele Kinder und Jugendliche gesehen, erzählt Anke Heidorn. Ihr Anteil an der Bevölkerung sei hoch, weil die Geburtenrate hoch ist. Zudem sei die Lebenserwartung gering, auch dadurch der Altersdurchschnitt niedrig.

Die Lebensbedingungen seien schwierig, viele Menschen würden an Mangelernährung leiden. Angestellte gebe es nur wenig. „Die meisten Menschen haben sich selbstständig gemacht, reparieren Sachen oder sind Verkäufer und Verkäuferin auf dem Markt.“ Das Pro-Kopf-Einkommen sei gering, die Gesundheitsversorgung schlecht.

Für Pharmaindustrie ist Produktion vieler Medikamente nicht interessant

„Dort gibt es einen Arzt oder Ärztin auf 14.000 Einwohner. In Deutschland sind es etwa 70 Ärzte oder Ärztinnen.“ Anke Heidorn weiß von „vielen vernachlässigten Krankheiten, die eigentlich geheilt werden könnten“. Doch für die Pharmaindustrie sei die Produktion der benötigten Medikamente und medizinischen Hilfsmittel – „etwa Gegengifte gegen Schlangenbisse oder bestimmte Tests“ – wirtschaftlich nicht interessant.

„Ärzte ohne Grenzen fordert den Verkauf dieser Medikamente zu einem günstigen Preis“, sagt Anke Heidorn. Viele Menschen würden an Malaria, Masern, Tuberkulose, Hepatitis oder Keuchhusten erkranken, würden trotz Kampagnen nicht die möglichen Impfungen nutzen.

Schlangen am Straßenrand – und einmal auch eine auf der eigenen Terrasse

Ärzte ohne Grenzen sorge für die regelmäßige Lieferung von Impfstoffen und Medikamenten in Gesundheitszentren in den Dörfern, organisiere dort Fortbildungen zum Thema Vorsorge. „Es wird aber auch beim Bau von Solaranlagen geholfen, die etwa Tiefkühlschränken für die Aufbewahrung von Medikamenten Strom liefern sollen.“

Waffen verboten: Anke Heidorn vor dem abgeschirmten Gelände der Hilfsorganisation, auf dem sie gelebt und gearbeitet hat.
Waffen verboten: Anke Heidorn vor dem abgeschirmten Gelände der Hilfsorganisation, auf dem sie gelebt und gearbeitet hat. © MSF | MSF

Sie habe selbst Schlangen gesehen, eine kleine auf ihrer Terrasse und auch größere am Straßenrand. „Einmal kam eine Frau, die gebissen worden war, gerade noch rechtzeitig ins Krankenhaus.“ Das Hospital von Bossangoa werde vom Gesundheitsministerium und Ärzte ohne Grenzen gemeinsam betrieben. Die Organisation engagiere sich seit 1997 in dem seit elf Jahren von einem Bürgerkrieg gebeutelten Land. „Auf den Straßen sind häufig bewaffnete Menschen zu sehen.“

Ärzte ohne Grenzen wurde 1999 der Friedensnobelpreis verliehen

International seien nur rund die Hälfte der bei Ärzte ohne Grenzen Mitarbeitenden rund um den Globus Mediziner, weiß Anke Heidorn: Die Organisation bemühe sich, möglichst viele Einheimische als Krankenschwestern und -pfleger zu beschäftigen, „bildet sie auch aus“. Mit Erfolg: In dem Krankenhaus in Bossangoa arbeite fast nur einheimisches Personal, betont die 63-Jährige.

Die private Hilfsorganisation, der für ihre medizinische Nothilfe in Krisen- und Kriegsgebieten 1999 der Friedensnobelpreis verliehen wurde, bohre in der Zentralafrikanischen Republik auch viele Brunnen: „Das Krankenhaus in Bossangoa versorgt sich selbst mit Wasser.“

Das Krankenhaus liegt nur zehn Minuten Fußweg von dem Büro entfernt, in dem Anke Heidorn ihren Arbeitsplatz hatte. Neben dem Büro befand sich ihr WG-Zimmer. „Die Duschen waren meist kalt, aber draußen hatten wir bis zu 42 Grad Celsius.“ Den Solar-Ventilator neben ihrem Bett habe sie oft angehabt. Ein Moskitonetz sei sowieso unumgänglich gewesen, zumal Mücken dort Malaria übertragen. „Nur im Januar sind die Nacht-Temperaturen mal auf bis zu zehn Grad Celsius heruntergegangen“.

Im Gemeinschaftsraum gemeinsam gekocht, gegessen und Fußball geguckt

In der Wohngemeinschaft lebte Anke Heidorn mit „zehn bis 15 Menschen aus vielen verschiedenen Ländern. Es gab viel Fluktuation“. Die meisten Mitbewohner – Ärzte, weiteres medizinisches Personal und Mitarbeiter mit administrativen Aufgaben – stammten aus anderen afrikanischen Ländern wie Kongo, Ruanda oder Kamerun. Die angemieteten Wohnungen und Büros befanden sich in reihenhausähnlichen Gebäuden: „Bloß, dass hinter jeder Haustür nur ein Zimmer war.“

Abklatschen mit den Kids am Straßenrand: Anke Heidorn während ihrer morgendlichen Joggingrunde.
Abklatschen mit den Kids am Straßenrand: Anke Heidorn während ihrer morgendlichen Joggingrunde. © MSF | MSF

In einem Nachbargebäude gab es eine Küche und einen Gemeinschaftsraum: „Dort haben wir gemeinsam gekocht und gegessen.“ Kommuniziert wurde auf Französisch, selten auf Englisch. „Damit bin ich gut zurechtgekommen. Nur am Anfang bereiteten mir die vielen verschiedenen Akzente Probleme. Insgesamt war das Französisch aber besser zu verstehen als wenn Franzosen und Französinnen schnelles Französisch sprechen.“

Aus Sicherheitsgründen herrschte ab 18 Uhr eine Ausgangssperre

Abends habe man gemeinsam Spiele des Afrika-Fußballcups im Fernsehen verfolgt und auch mal ein Bier getrunken, „wobei ich Pampelmusenbrause bevorzugt habe“. Ihr Hauptgetränk sei allerdings Brunnenwasser gewesen, das mit eigenen kleinen Anlagen gefiltert wurde. Auch mit dem Essen habe sie kaum Probleme gehabt: „Es gab Reis, Bohnen und etwas Fleisch und frisches Gemüse.“ Sie habe auch viel Kuchen gebacken und gekocht, für ihre internationalen Mitbewohner sogar Back-Kurse gegeben: „Den Rührkuchen nach einem Rezept meiner Mutter habe ich in Variationen gebacken, etwa mit Bananen.“

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Sie habe sich um ihren „eigenen kleinen Gemüsegarten hinter dem Haus gekümmert“, war häufig auf dem täglichen Markt und sei auch sonst viel spazieren gegangen – soweit dies ihr erlaubt war. Denn ab 18 Uhr, wenn es dunkel wurde, herrschte Ausgangssperre, aus Sicherheitsgründen. „In einer nahe gelegenen Bar durften wir bis 21 Uhr bleiben. Aber dann mussten wir uns vom Fahrservice mit dem Auto abholen lassen.“ Morgens um 6 Uhr, eineinhalb Stunden vor Arbeitsbeginn, sei sie oft gejoggt. „Dann habe ich mit den Kindern aus der Nachbarschaft abgeklatscht.“

Anke Heidorn fühlte sich wohl: „Ähnliche Atmosphäre wie in Kirchwerder“

„Ich habe mich dort, wenn ich so zu Fuß unterwegs war, wohlgefühlt, weil dort eine ähnliche Atmosphäre war wie in Kirchwerder. Alle schauen sich an und grüßen sich freundlich. Das fühlte sich für mich vertraut an.“ Positiver Nebeneffekt des neunmonatigen Aufenthalts: „Ich habe ein paar Brocken der National- und Amtssprache Sango gelernt.“ Insgesamt sei ihr Einsatz in Afrika eine „sehr gute Erfahrung“ gewesen.

Deshalb will Anke Heidorn weitermachen: „Ende Juni besuche ich eine einwöchige Fortbildung in Nairobi zum Thema Finanzmanagement.“ Zuvor wolle sie ihren Jogging-Partner aus der WG in Bossango besuchen, der nun in Uganda für die Hilfsorganisation arbeitet. Danach, „noch in diesem Jahr“ gehe es dann wieder in ein frankophones Land in Afrika – „für mindestens sechs Monate“.

Weitere Infos zu der Organisation, deren Projekte ausschließlich durch Spenden finanziert werden, und zu Möglichkeiten der Mitarbeit finden sich unter msf.org und aerzte-ohne-grenzen.de.