Hamburg. Filmemacher Thomas Deuber widmet seine neue Dokumentation einer Vierländer Institution, ihren Machern – und dem Ende einer Utopie.
Ein Betrieb, der den Mitarbeitern gehört, in dem die Chefs nicht mehr verdienen als die anderen, in dem alle zusammen leidenschaftlich über das Für und Wider neuer Aufträge streiten; in dem halb Vierlanden Einladungen, Postkarten, Flugblätter und Kirchenzeitungen in Auftrag gibt und Atomkraftgegner Plakate drucken lassen: Das ist die Druckerei Zollenspieker, ein Kollektiv im besten Sinne. Eine Utopie, die in der globalisierten Wirtschaftswelt aus der Zeit gefallen scheint. Und tatsächlich: Das 1977 gegründete Unternehmen existiert nicht mehr. Die Vierländer Institution mit Adresse Zollenspieker Hauptdeich, eines von einstmals fünf Druckerei-Kollektiven in Hamburg, hat den Betrieb im vergangenen Jahr eingestellt.
Der Filmemacher Thomas Deuber (74) aus Aumühle findet das Vorzeigeprojekt aus der Linken-Bewegung der 70er-Jahre auch rückblickend so spannend, dass er ihm nun eine Dokumentation gewidmet hat. Seine 58-minütige Zeitreise zeigt er am Donnerstag, 6. Juni, im SerrahnEins in Bergedorf.
Druckerei-Kollektiv Zollenspieler: Vom Ende einer Utopie
Auf der Leinwand dabei sind: Anke Heidorn (63), Sebastian „Buddy“ Kerth (62) und Norbert Reinermann (66), alle aus Kirchwerder, die letzten drei verbliebenen Mitglieder des Kollektivs. In den späten 90er-Jahren zählte das Kollektiv noch neun Mitglieder. „Mit zunehmender Professionalisierung hatten wir dann aber auch Angestellte, etwa Drucker und Mediengestalterinnen“, erinnert sich Anke Heidorn, die, wie auch Reinermann und Kreth, Mitte der 80er-Jahre dazustieß. „Am Anfang haben alle Mitglieder des Kollektivs auch gemeinsam in dem Haus gewohnt“, sagt die Vierländerin.
„Anfangs haben wir uns gegenseitig angelernt“, sagt Anke Heidorn. Kreth, gelernter Elektriker, ließ sich zum Drucker einarbeiten. „Irgendwann waren die einzigen mit korrekter Ausbildung die Angestellten“, sagt die 63-Jährige mit einem Augenzwinkern. Was die Aufträge anging, habe es all die Jahrzehnte eine „Schmerzgrenze“ gegeben, betont die Vierländerin: „Die Inhalte der Druckerzeugnisse mussten politisch korrekt sein, durften beispielsweise nicht sexistisch oder rassistisch sein.“
Aufträge von der CDU waren im Druckerei-Kollektiv Zollenspieker tabu
Der „kollektive Geist“ habe auch in späteren Jahren, als es mehr Angestellte als Geschäftsführer gab, das Tun und Handeln bestimmt, betonen die ehemaligen Kollektiv-Mitglieder: „Wir hatten sehr kooperative, loyale Angestellte“, sagt Anke Heidorn. Buddy Kreth ergänzt, dass die Geschäftsführer nicht mehr Geld als die Angestellten bekommen hätten: „Alle hatten den gleichen Stundenlohn, egal, zu welcher Berufsgruppe sie zählten.“ Gab es am Jahresende einen Gewinn, sei er ebenfalls fair aufgeteilt worden.
„Politische Parteien waren nicht unser Schwerpunkt“, sagt Anke Heidorn. Eher selten gehörten sie zu den Kunden. Wobei das Kollektiv niemals die CDU als Auftraggeber akzeptiert hätte, betonen die früheren Geschäftsführer des Unternehmens. Für die FDP seien hingegen einmal Druckerzeugnisse hergestellt worden, ausnahmsweise, weil man einen guten Draht zu dem liberalen Politiker Carsten Byernetzki hatte. „Grundsätzlich haben alle Mitglieder des Kollektivs über jeden Auftrag abgestimmt“, sagt Kreth. Eine Nein-Stimme reichte, um den Auftrag abzulehnen. „Das kam aber selten vor. Wir haben beispielsweise mal den Druck einer Schülerzeitung abgelehnt, weil sich darin eine Anzeige für das Atomkraftwerk Krümmel befand“, ergänzt der 62-Jährige.
In der Hochphase arbeiteten zwölf Menschen in der Druckerei Zollenspieker
Ansonsten wurden auch viele Programme für Schützenfeste, Festschriften für Feuerwehr-Jubiläen und Einladungskarten für Hochzeiten und Geburtstagsfeiern produziert. „Wir hatten eine Mappe mit Mustern, haben auch viele Vierländer und Vierländerinnen aus der Nachbarschaft beraten“, sagt Anke Heidorn.
In den 2000er-Jahren gab es die meisten Aufträge, bestand das Team aus insgesamt zwölf Mitarbeitern. Neben zwei großen Bogenoffsetdruckmaschinen besaß das Unternehmen auch eine digitale Druckmaschine für kleinere Formate und Auflagen. Im Offsetdruck wurden 500 Plakate ebenso produziert wie 200.000 Heftchen, die eine Werbeagentur für ein Pharmaunternehmen in Auftrag gegeben hatte. Mitarbeiter gestalteten auch Vorlagen, eine Bildbearbeiterin layoutete komplette Kirchenzeitungen. Die Zahl der Angestellten vergrößerte sich stetig, während der Anteil der Mitglieder des Kollektivs, also der Geschäftsführung, schrumpfte – bis auf drei Personen 2017, die sieben Angestellte beschäftigten.
Schicksal besiegelt: Keiner der Angestellten wollte Mitglied des Kollektivs werden
Jedes Mitglied des Kollektiv-Trios kümmerte sich um andere Schwerpunkte, Anke Heidorn etwa um die Betreuung von Kunden und die Finanzbuchhaltung. „Selbstverwaltung haben wir praktisch schon in unserer Muttermilch gehabt“, sagt sie. „Wir waren in all‘ den Jahrzehnten in selbstverwalteten Gruppen aktiv, etwa im Verein Unser Haus.“
Als Reinermann die Arbeit zu viel wurde und er seinen Abschied in den Ruhestand ankündigte, brauchte die Geschäftsführung dringend Verstärkung. „Wir haben die Angestellten gefragt, ob sie nicht Mitglied des Kollektivs werden wollen, aber da gab es keinen Bedarf“, sagt Kreth. Vermutlich habe keiner der Angestellten die Komfortzone aufgeben und persönlich haften wollen, so wie es von den Mitgliedern des Kollektivs verlangt worden ist. „Außerdem hatten wir häufig abendliche Sitzungen, die wir uns nicht als Arbeitszeit anrechneten“, sagt Kreth. „Diese zusätzliche Arbeit war sicher auch nicht verlockend.“ Auch hätten neue Kollektiv-Mitglieder flexibel sein müssen, was die Inhalte ihrer Arbeit anging: Bei wenig Druckaufträgen hätten sie sich beispielsweise um die Akquise neuer Kunden bemühen müssen, statt ihre übliche Arbeit zu verrichten.
Die drei letzten Mitglieder des Kollektivs gehen jetzt beruflich neue Wege
Hinzu kam, dass man perspektivisch in neue Druckmaschinen hätte investieren müssen, betont Kreth. Und: Zwar sei für die in einem Außenbereich gelegene Druckerei 1977 eine Betriebsgenehmigung beantragt worden, aber vom Bergedorfer Bezirksamt habe man nie eine offizielle, unbefristete Erlaubnis erhalten. „Wir haben dann nachträglich eine befristete Erlaubnis erhalten, aber die wäre Ende 2023 abgelaufen“, sagt Kreth. Die Sorge, dass für die Zeit nach 2023 womöglich keine Genehmigung erteilt worden wäre, habe wie ein Damoklesschwert über dem Betrieb gehangen.
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Die drei letzten Kollektiv-Mitglieder gehen nun beruflich neue Wege: Während Reinermann im Ruhestand ist, arbeitet Anke Heidorn projektbezogen als Angestellte von Ärzte ohne Grenzen. Erst vor wenigen Tagen kehrte sie nach neun Monaten aus der Zentralafrikanischen Republik zurück, einem der ärmsten Länder der Welt. Buddy Kreth ist wieder in seinem alten Job als Elektriker, arbeitet für eine Bergedorfer Elektro-Firma. „Dabei habe ich nach meiner Lehre, die ich vor 44 Jahren abgeschlossen habe, nur ein paar Monate als Elektriker gearbeitet.“
Thomas Deuber drehte auch schon Dokus über Wutzrock, das Wendland und „Uns Ewer“
Filmemacher Deuber gestaltet gemeinsam mit Annette Steuble und Brigitta Teubner die Reihe „Serrahn-Kino“, bei der Arbeiten von verschiedenen Regisseuren präsentiert werden, darunter auch internationale Dokumentationen. Als Filmemacher ist der pensionierte Lehrer seit 24 Jahren aktiv. Er drehte bereits zahlreiche Dokumentationen für seine Reihe „Bergedorfer Geschichte(n)“ – etwa über das Wutzrock-Festival, das selbstverwaltete Café Flop an der Wentorfer Straße, den Bau von „Uns Ewer“, über das Wendland oder historische Rundgänge durch Bergedorf mit Museumschef Alfred Dreckmann, der 2020 gestorben ist. Die Filme können im Internet betrachtet werden: Auf Deubers Seite kuhkoppel.de finden sich Links zum kostenlosen Download der Dokus.
Finanziert werden die Low-Budget-Produktionen von Deuber, der gelegentlich mit Spenden unterstützt wird. „Ich erziele damit keine Gewinne, aber darum geht es mir auch nicht“, sagt der 74-Jährige. „Ich kann meine Themen selbst wählen und habe dadurch eine höchst befriedigende Arbeit.“ Zu dem Film über die Druckerei kam es, weil Deuber das Kollektiv schon lange kannte, dort etwa Anti-Atomkraft-Plakate drucken ließ. „Außerdem bin ich schon lange mit Anke Heidorn befreundet.“ Mit ihr, Kreth und Reinermann führte er Einzelinterviews in den leeren Räumen der früheren Druckerei. Im Film sind die Gespräche dann thematisch geschnitten. Die Drei sprechen über ihre Motivation, besondere Aufträge, das Verhältnis zu den Kunden, die Prozesse in einem Kollektiv und ihre persönliche Bilanz.
Wer bei der Vorführung des Films dabei sein möchte, der sollte sich schnell anmelden
Die Filmvorführung an der Serrahnstraße 1 am 6. Juni beginnt um 20 Uhr. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten. Die ersten beiden Vorführungen der Dokumentation waren schnell ausgebucht, deshalb sollten sich Interessierte schleunigst anmelden – per E-Mail an info@amt-fuer-demokratische-kultur.de.