Hamburg. Das Ensemble bringt in 25 Jahren fast 50 Stücke auf die Bühne, bestreitet 300 Aufführungen. Was das Erfolgsgeheimnis der Truppe ist.

Kaum standen die Laiendarsteller des Theater99 Ende April mit der letzten Aufführung ihres turbulenten Frühjahrsstückes, „Backstagebattle“, auf der Bühne, arbeiten die Laiendarsteller bereits am Weihnachtsmärchen. In der Vorweihnachtszeit wollen sie „Der Räuber Hotzenplotz“ auf die Bühne bringen. Es ist das 24. Weihnachtsstück der 1999 gegründeten Theatergruppe. Bei den Weihnachtsaufführungen wird Hochdeutsch gesprochen. Doch in den vergangenen 25 Jahren hat das Ensemble auch 22 Komödien in niederdeutscher Sprache gespielt.

In dem Vierteljahrhundert, in dem das Theater99 existiert, hat die Gruppe rund 300 Aufführungen bestritten und dabei mehr als 46.000 Zuschauer zum Lachen und Staunen gebracht, in farbenfrohe Traumwelten entführt und märchenhaft unterhalten.

Laientheater hat schon Tausende zum Lachen gebracht

Begonnen hatte alles im Mai 1999, als 18 erfahrene Theaterfreunde beschlossen, etwas Neues ins Leben zu rufen. Sie hatten der Lohbrügger Bürgerbühne den Rücken gekehrt, einem eingetragenen Verein. „Wir wollten uns nicht mehr damit beschäftigen, einen Verein zu führen, sondern bloß Theaterstücke auf die Bühne bringen“, sagt Harald Bröcking (61) aus Curslack. „Deshalb hatte auch keiner von uns Lust darauf, einen neuen Verein zu gründen und sich um alles, was damit zusammenhängt, zu kümmern“, sagt Bröcking.

Generalprobe für das Stück „Spektakel bi Chrischan“ mit Udo Stieler, Silke Timmermann-Domin und Harald Bröcking (v. l.) im Lindenhof in Börnsen im Jahre 2002.
Generalprobe für das Stück „Spektakel bi Chrischan“ mit Udo Stieler, Silke Timmermann-Domin und Harald Bröcking (v. l.) im Lindenhof in Börnsen im Jahre 2002. © Theater99/Kristina Schmidt-Stoldt | Theater99

Deshalb gründete die Gruppe im darauf folgenden September in der Sporthalle am Durchdeich das Theater99 als neue Sparte im Sport-Club Vier- und Marschlande (SCVM). „Der damalige Vorstand hatte sich dafür eingesetzt, neben der Vierländer Trachtengruppe eine weitere Kultursparte in den Verein aufzunehmen“, sagt Kristina Schmidt-Stoldt. Sie ist seit der ersten Stunde dabei, so wie auch Bröcking und Udo Stieler, der Leiter der Theatersparte des Vereins.

Zur Premiere des ersten Stückes in niederdeutscher Sprache erschienen nur knapp 30 Zuschauer

„Wir können uns unseren Projekten widmen, der SCVM-Vorstand lässt uns eigenständig wirtschaften“, sagt Stieler. Der Sportverein bezuschusse die Miete für den Fundus, ehemalige Räume der Grünabteilung des Bergedorfer Bezirksamtes am Eichbaumsee.

Der Start sei allerdings schwierig gewesen, erinnert sich Bröcking: „Zur Premiere unseres ersten Stückes in plattdeutscher Sprache im Frühjahr 2000 in der Aula der Schule Curslack-Neuengamme kamen nur knapp 30 Zuschauer. Diese leeren Sitzreihen waren ein frustrierender Anblick. Deshalb haben wir runde Tische aufgestellt und die Besucher drumherum platziert“, sagt der 61-Jährige und fügt grinsend hinzu: „Plötzlich war der Raum voll.“

„Die Besucher kennen sich untereinander, schätzen auch die Gelegenheit zu einem Klönschnack“

Die Besucherzahlen seien schnell gestiegen, doch das Konzept habe die Gruppe beibehalten: „Auch wenn dort heute durchschnittlich 120 Zuschauer erscheinen, platzieren wir sie noch immer an Tischen.“ Das sei auch gemütlicher, zumal in den Pausen Bier verkauft wird. „Die Besucher kennen sich untereinander, schätzen auch die Gelegenheit zu einem Klönschnack in kommodiger Atmosphäre“, sagt Bröcking, im richtigen Leben Projektmanager bei einer Firma, die Gebäude-Fassaden produziert. Generell gehe es bei den Vorstellungen des Theater99 auch darum, „Leute aus dem Dorf zu treffen und gemeinsam eine gute Zeit zu haben“, betont der 61-Jährige.

Generalprobe für die Aufführung „Rommé to drütt“ im Frühjahr 2000 – das erste plattdeutsche Stück der Gruppe. Harald Bröcking ist der zweite von links, hält die Waffe in der Hand.
Generalprobe für die Aufführung „Rommé to drütt“ im Frühjahr 2000 – das erste plattdeutsche Stück der Gruppe. Harald Bröcking ist der zweite von links, hält die Waffe in der Hand. © Theater99/Kristina Schmidt-Stoldt | Theater99

„Wir bieten nicht nur eine Theateraufführung, sondern auch Zeit zum Verweilen“, ergänzt Stieler. Deshalb seien bei Senioren wiederum Nachmittagsvorstellungen beliebt, bei denen es auch Kaffee und Kuchen gibt, etwa im Körberhaus.

Wichtig ist, dass auch die Mitglieder der Theatergruppe Spaß haben

Stieler und Bröcking gehen davon aus, dass auch die regionalen Themen, die ihre Stücke prägen, Grund für die Beliebtheit des Theater99 sind: Im vergangenen Jahr ging es beispielsweise um „De Schüttenkönig“, zehn Jahre zuvor stand „De Füürwehrheld“ auf der Bühne. „Wir haben im Laufe der Jahre natürlich auch eine gewisse Routine erlangt – als Schauspieler und hinter der Bühne“, sagt der Leiter der Gruppe. Wichtiger sei aber, dass die Gruppe Spaß an ihren Projekten habe: „Das merkt man auch als Zuschauer“, sagt der 57-Jährige. Im Publikum säßen deshalb viele Stammgäste, von denen nicht wenige bereits als Kind die Aufführungen der in Fünfhausen gegründeten Gruppe erlebten. „Heute bringen sie ihre eigenen Kinder mit“, sagt Stieler.

Der Theatergruppe gehe es darum, den Besuchern mit ihren „Gute-Laune-Stücken“ (Bröcking) Vergnügen zu bereiten: „Das erwarten die Leute auch von uns. Sie wissen, dass sie einen netten Abend haben werden, wenn sie zu uns kommen“, sagt Stieler. Anspruchsvolle Dramen seien „drei Nummern zu groß für uns“. Dann, so empfiehlt der Leiter der Gruppe, solle man lieber ins Thalia Theater oder ins Deutsche Schauspielhaus gehen, wo Profis agieren.

Schauspieler müssen erst lernen, die plattdeutschen Worte richtig auszusprechen

Weil es so wichtig sei, dass die Ehrenamtlichen mit Freude bei der Sache sind, werde auf gute Rahmenbedingungen geachtet: „Wir bauen uns im Backstagebereich immer ein kleines Büfett auf. Jeder trägt etwas dazu bei“, sagt Bröcking. Dass die Komödien in Niederdeutsch aufgeführt werden, bedeute nicht, dass alle Akteure fließend Platt sprechen, betonen die beiden Männer: Die meisten Schauspieler müssten erst lernen, die plattdeutschen Worte, die sie auf der Bühne sagen werden, richtig auszusprechen. „Wir wollen diese Sprache aber weiter pflegen, richten uns ja auch an die Menschen im Landgebiet, die Plattdeutsch sprechen“, sagt Bröcking.

Bühnenbau für das Weihnachtsstück 2001, „Kleiner König Kalle Wirsch“: Mitglieder des Theater99 arbeiten in dem ersten Fundus der Gruppe in einer alten Gärtnerei am Kirchwerder Hausdeich. Dort gab es weder eine Heizung noch Wasser.
Bühnenbau für das Weihnachtsstück 2001, „Kleiner König Kalle Wirsch“: Mitglieder des Theater99 arbeiten in dem ersten Fundus der Gruppe in einer alten Gärtnerei am Kirchwerder Hausdeich. Dort gab es weder eine Heizung noch Wasser. © Theater99/Kristina Schmidt-Stoldt | Theater99

Andere Amateurtheater haben die Corona-Hochphase nicht überlebt, etwa die Lohbrügger Hans-Sachs-Bühne, betont Bröcking, „wir aber schon“. Zwar musste die Gruppe aufgrund der massiven Einschränkungen fünf Aufführungen ausfallen lassen, aber sie habe es sich leisten können: „Wir haben uns vor Corona ein kleines finanzielles Polster erarbeitet, von dem wir in der vorstellungsfreien Zeit zehren konnten. Für die Vorbereitung des Weihnachtsstückes 2022, nach den Corona-Einschränkungen, hatten wir allerdings unseren letzten Euro verbraucht“, sagt Stieler.

„Der Räuber Hotzenplotz“ wird an einem Abend nur für Erwachsene aufgeführt

Inzwischen sei die Gruppe wieder im Plus. Das Geld werde stets in die Produktion neuer Stücke und in die Erweiterung des Fundus investiert: Gerade hat die Gruppe eine Traverse, eine Halterung für Scheinwerfer, angeschafft.

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Die Weihnachtsstücke der Gruppe richten sich an Kinder, auch „Der Räuber Hotzenplotz“. Erstmals in seiner 25-jährigen Geschichte will das Theater99 allerdings eine Aufführung seines Kinderstückes nur für Erwachsene anbieten, am 22. Dezember, um 19 Uhr an seinem Hauptspielort, der Schule am Gramkowweg. „Wir möchten an dem Abend gern erwachsene Zuschauer auf Weihnachten einstimmen, Kinderlose, Nostalgiker und ältere Menschen, die keine kleinen Kinder im Schlepptau haben“, sagt Stieler, der ebenfalls in Curslack lebt und sein Geld als Systemadministrator bei einer Versicherung verdient.

Das Stück für Kinder wird mit Gags aufgepeppt, dazu gibt es Bier und Glühwein

Für sie soll es ein schöner, gemütlicher vierter Advent mit Glühwein und Bier werden. Zwar werde das Stück weitgehend so gespielt, wie auch in den regulären Vorstellungen, „aber wir werden es wohl mit ein paar Gags aufpeppen“, ergänzt Bröcking. Weitere Infos im Internet: scvm.de/theater.