Bergedorf. Premiere mit 220 Gästen im Körberhaus. Neue Technologie soll älter werdende Gesellschaft unterstützen. Doch die bleibt skeptisch.
Der kleine Blechkamerad mit der Wollmütze schaut Anke Sahlmann tief in die Augen. Liest die Maschine beim Menschen etwa Gedanken? Kann die Künstliche Intelligenz (KI) menschliche Vorstellungen antizipieren? Ob er denn etwas zu essen oder zu trinken haben möchte, fragt die Meckelfelderin Sahlmann nach, etwas abhaben möchte von den vielen Franzbrötchen, Wraps, Obst und anderen Köstlichkeiten, welche die Körber-Stiftung extra für diese Premiere auffahren hat lassen. „Nein“, antwortet „Navel“ mit freundlicher Computerstimme, „ich bin doch ein Roboter. Ich brauche nichts.“
Solche Menschen, Maschinen und Momente bietet das erste „Ageing with Tech Festival“ (AWT) im Körberhaus einige. Wo die Neugier das Unbehagen überstrahlt. Wo die Bequemlichkeit bei Online-Banksachen die Angst vor der Blamage oder dem Datenklau verdrängt. Oder wenn es möglich wird, KI-unterstützt in die Rolle eines Trickbetrügers zu schlüpfen, um dessen kriminelle Methoden zu durchschauen. Anke Sahlmann jedenfalls kommt nicht mehr von „Navel“ los, obwohl sie eigentlich ohne Erwartungen ins Körberhaus gekommen war. Die 63-Jährige weiß allerdings: „Wenn ich nicht mitmache, also zum Beispiel ein Smartphone nutze, würde ich mich abgehängt fühlen.“ Und das ist keine Option.
Künstliche Intelligenz: Körber-Stiftung gibt Studie in Auftrag
Was können wir mit der KI anfangen – und was kann die KI eventuell für uns im Alter bewältigen? Fakt ist: Diejenigen, die das Technologie-Thema vor Jahren auf den Weg gebracht und fortentwickelt haben, werden nun alt und fühlen sich bisweilen mit der Technik überfordert. Das ist eine der zentralen Aussagen der Studie „Uncover: Smart Aging – Gut alt werden im digitalen Wandel“. Die hat die Körber-Stiftung beim Institut für Demoskopie Allensbach in Auftrag gegeben und zum Festival veröffentlicht.
1118 Befragte aus der Generation 50 Jahre und älter wurden bei der repräsentativen Umfrage persönlich befragt. 41 Prozent unter ihnen geben zu, dass sie die neue Technik überfordere. Weitere 59 Prozent würden gern mehr in die Entwicklung dieser Produkte eingebunden werden. Sie bezweifeln, dass ihre Altersgruppe bei der Produktion überhaupt im Blickfeld ist. 46 Prozent der Befragten würden sich genau hier mit Tipps im Produktionsprozess einbringen wollen.
Das ist auch der Ansatz, warum das AWT jetzt gut passt: „Alterung und Digitalisierung sind zwei Megatrends unserer Gesellschaft, und sie gehen rasend schnell voran“, sagt Jonathan Petzold, Programmleiter Alter und Digitalisierung. Das Festival an der Holzhude sei eine Art „Präventionsmaßnahme“, um einen Anstoß zu geben, dass die Generation 50+ sich genau damit in ihrem Alltag beschäftigt – oder beschäftigen sollte, um nicht den Anschluss zu verlieren. Dieser Ausgangsgedanke habe laut Petzold das Körber-Team darin bestärkt, das ATW umzusetzen. „Wir haben den Eindruck, dass einige mit der Digitaltechnik zwar überfordert, aber grundsätzlich nicht abgeneigt sind.“ Dafür sprechen auch die Zahlen: Mit Online-Schalten sollen es 800 Teilnehmer beim ersten AWT gewesen sein, präsent waren in der Spitze im Körberhaus 220 Gäste.
Aus dem Sessel mit der VR-Brille nach Paris
Was auch bei „Uncover....“ herauskommt: Für 61 Prozent der 50- bis 59-Jährigen spielen digitale Produkte in ihrer aktuellen Lebensumgebung eine große Rolle, sie helfen bei der Kommunikation, bei der Informationsbeschaffung, bei medizinischen Notfällen, bei Bankangelegenheiten. Begeisterung und Überforderung – irgendwo in diesem Spannungsfeld liegt die Kernaussage der Allensbach-Studie.
Doch das Ageing with Tech zieht auch aus weiteren Gründen an: Es sind nicht nur Alltagsgeschichten wie Pflegeassistenz, Lernhilfen, Gaming und weiteres, wo es reichlich Input bei der gut besuchten Ausstellung im Foyer gibt. Spontanität, Neugier, Technikaffinität verbunden mit einer gewissen Verbundenheit zur Körber-Stiftung können auch Antrieb genug sein, um extra aus dem Ostseeheilbad Großenbrode mit dem Zug nach Bergedorf zu kommen. Bei Burkhard Haasch (71) ist all das gegeben. Vor dem Virtual-Reality-Abenteuer des Oldenburger Instituts für Informatik (Carl-von-Ossietzky-Universität) hat der ehemalige Sozialarbeiter überhaupt keine Berührungsängste und lässt sich bei dem Spielchen gleich an zwei Traum-Destinationen entführen – zuerst Paris, dann an den Strand. Bequem aus dem Sessel mit einem Joystick in der Hand.
Haushaltshilfen, Pflegeassistenz, Witzeerzähler: Wo die Technik im Alter helfen könnte
Clou bei der VR: Die mühelosen Trips erleben die AWT-Besucher gemeinsam im virtuellen Raum mit einem Offis-Kollegen aus Oldenburg, der einen im Ausgangsraum ebenfalls sitzend erwartet. „Virtual Reality gibt es ja schon etwas länger, da gab es viele Hochs und Tiefs“, weiß Julian Breunig von Offis, der aber gegenwärtig beobachtet, dass wieder viele Firmen auf diese Technologie zurückgreifen.
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Auch die Bergedorferin Carolin Goydek (55) wandelt minutenlang durch Galerien und Zimmer, greift nach Objekten, um sie umzustellen. „Ich hätte glatt noch weiter gemacht“, gibt sie amüsiert zu und äußert einen spannenden Gedanken, wo die KI älter werdenden Menschen wie ihr sehr nützlich sein könne: „Die Idee eines Pflegeroboters finde ich total aufregend.“ Auch Anke Sahlmann kann sich eine digitale Haushaltshilfe gut vorstellen – mit einer Einschränkung: „Solange ich die Kontrolle darüber behalten kann.“ Und was ist aus Sicht des Schleswig-Holsteiners Haasch als sinnvolle KI-Technik für seine Generation drin? „Die Menschen aufheitern, unterhalten, indem Witze über Chat GPT erzählt werden. Das ist doch besser als die x-te Wiederholung im Fernsehen.“
Zurück zu „Navel“: Der lässt sich bereitwillig auf Unterhaltungen ein, ist ständig umlagert von Menschen, kann auch die Gestik seiner Gegenübers lesen und darauf reagieren. Das „empathische Roboterwesen“ lehnt auch gemeinsame Selfies nicht ab. Das möchte Anke Sahlmann dann auch gleich machen – jetzt haben Mensch und Maschine wirklich eine Verbindung.