Hamburg. Gelungene Mischung aus Musik und Dialog: Die Musiktage erinnern an den prominentesten Gast im Haus im Park – präsentiert von der bz.
Die Zeitreise beginnt schon im Foyer. Die Bilder des Bergedorfer Fotografen Michael Zapf stimmen auf das Thema und die Hauptperson des Abends ein. Zapfs Aufnahmen zeigen Helmut Schmidt im Kreis von Freunden und mit seiner Frau Loki, die die Reihenfolge „Kanzler und Klavierspieler“ festgelegt hatte. Er wirkt gelassen und fröhlich, in einer Umgebung, in der er sich willkommen und zu Hause fühlt. Heute, an diesem von der Bergedorfer Zeitung präsentierten Abend, machen die über 300 Besucher klar, dass die Neugier auf den Menschen Helmut Schmidt auch neun Jahre nach dessen Tod ungebrochen ist. Aus den Gesprächen im Foyer hört man eines immer wieder heraus: Er fehlt.
Auf der Bühne begrüßt Moderatorin Jana Werner den Schmidt-Biografen Prof. Dr. Reiner Lehberger und den SPD-Politiker Björn Engholm. Der Lübecker, in den frühen 80er-Jahren Staatssekretär und Bildungsminister in der Regierung Schmidt und später Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, erntet einen der ersten Lacher, als er bekennt, fünf Jahre unter Schmidt „gedient“ zu haben. Der zweite Programm-Schwerpunkt des Abends ist die Musik. Die junge Pianistin Sijia Ma beginnt federleicht mit George Gershwins „Summertime“.
150 Jahre bz: Der „Kanzler und Klavierspieler“ Helmut Schmidt
„Gershwin lag bei den Schmidts zu Hause auf dem Notenstapel obenauf“, weiß Reiner Lehberger. Gemeinsam mit Mozart, Bach und Schumann gehörte Gershwin zu den Lieblingskomponisten der Schmidts. Welchen Einfluss aber hatten die Künste auf Schmidts Politik? Welche Bedeutung hatte die Musik in den schwierigen Kanzlerjahren 1974 bis 1982, in denen Ölkrise, Terrorismus und Nato-Nachrüstung die Menschen bewegten?
Reiner Lehberger antwortet mit Zahlen: „70 Jahre war er in der Politik, 80 Jahre kannte er Loki, 90 Jahre hat er Klavier gespielt.“ Das Lernen und Spielen von Klavier und Orgel, so Lehberger, lehrt Disziplin und die Fähigkeit, Frustrationen zu überwinden. Fähigkeiten, die in der politischen Biografie eines Helmut Schmidt den Ton angaben.
Gleichzeitig war das Klavierspiel dem Kanzler ein Kraftquell. Lehberger, der für seine Bücher über die Schmidts mit vielen Zeitzeugen sprach, verweist auf Schmidts Personenschützer im Kanzlerbungalow. Sie wussten, was der Mensch Schmidt nach einem langen Tag im Kanzleramt brauchte: Eine Partie Schach mit seiner Frau Loki oder eine halbe Stunde am Klavier. Selbst in den dramatischen Wochen der Schleyer-Entführung war das sein Ritual.
Björn Engholm über Helmut Schmidt: „Ein Heiliger war er nicht“
Auch Björn Engholm erlebte Helmut Schmidt oft an den Tasten. Im Kanzlerbungalow stand erst eine elektronische Orgel, später der Flügel aus dem Bonner Beethoven-Haus. Weniger enthusiastisch war das Spiel 1982. „Als Genscher beschlossen hatte, mit der CDU zu gehen, traf sich Schmidts Kabinett im Kanzlerbungalow. Schmidt spielte an seiner Orgel und wir tranken allen Wein aus der Küche, damit Helmut Kohl wenigstens den nicht bekam“, erinnert sich Engholm.
Seit seiner ersten Begegnung war Engholm beeindruckt, wie viel Achtung und Respekt Helmut Schmidt in jedem seiner Gegenüber hervorrief, ohne respektheischende Verhaltensweisen an den Tag zu legen. Mit dieser Erfahrung spricht auch er von Schmidt als einem Typ Mensch, wie es ihn heute kaum noch gibt. Gleichzeitig mahnt Engholm: „Ein Heiliger war Schmidt nicht. Man darf auch posthum nicht so tun, als wäre jemand gottähnlich gewesen. Das war er nicht. Er war für seine Zeit eine herausragende Persönlichkeit.“
Engholms Einwurf kommt im richtigen Moment. Im Gespräch geht es fortan nicht nur um Erinnerungen, sondern auch um die Einschätzung der heutigen politischen Landschaft, die nicht mehr nur aus zwei Volksparteien und deren führenden Köpfe besteht, sondern aus sechs und mehr Parteien, aus Doppelspitzen, Social-Media-Profilen und Troll-Armeen.
Anekdoten und Geschichten über Helmut Schmidts andere Seite
Gerade die Sorge um die zunehmende Unübersichtlichkeit führt schnell auch wieder zu Schmidt zurück. Für Björn Engholm hat dessen politisches Credo immer noch Gültigkeit. Gesinnung allein helfe nicht weiter, zitiert Engholm seinen pragmatischen Ex-Chef. Gesinnung sei ein Antrieb und werde von Verantwortung korrigiert. „Für mich war Schmidt ein sozialdemokratischer Preuße“, sagt Björn Engholm.
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Geliebt und gefeiert werden am weiteren Abend aber vor allem die Anekdoten und Geschichten über Schmidts andere Seite. Da ist die schelmische Sturheit, mit der er, so Björn Engholm, eine Ausstellung auf Kampnagel nicht besucht, weil das für ihn „keine Kunst“ ist, oder die diebische Freude über einen Walkman, den Schmidt in den frühen 90ern von Helmut Karajan geschenkt bekam und der es ihm ermöglichte, auf Dienstfahrten „heimlich“ die Goldberg-Variationen zu hören. Schließlich waren es Schmidts Berater, die ihm dazu rieten, das Bild vom harten Macher etwas aufzuweichen und sich mehr als Klaviermann zu präsentieren. Solange er dabei rauchen konnte, tat er das gern.
Mehr als drei Stunden Programm zuzüglich einer 20-minütigen Pause wurde im fast ausverkauften Haus im Park geboten. Das Publikum fühlte sich bestens unterhalten, bedankte sich unzählige Male mit spontanem Applaus für Anekdoten aus Schmidts Leben oder seine von Pianistin Sijia Ma interpretierten Lieblingsstücke der Klassik.
Einzig die Klimaanlage mochte zumindest bis zur Pause buchstäblich nicht so recht warm werden mit diesem Abend, der den festlichen Auftakt des Veranstaltungsreigens zum 150-jährigen Jubiläum unserer Zeitung bildete. Alle weiteren Details dazu gibt es unter abendblatt.de/hamburg/bergedorf.