Hamburg. Bei Ernst Denker fährt nach 95 Jahren der letzte Laster vom Hof. Inhaber Martin Petrat setzt sich zur Ruhe. Ein Abschied ohne Tränen.
Die hundert Jahre hat die Spedition knapp verfehlt. Aber die Arbeit hat bis zuletzt Spaß gemacht. Die Neu-Rentner Petra (66) und Martin Petrat (67) erklären, warum ihnen der Job immer leichtfiel – obwohl Reglements vieles in der Branche schwerer machten. Die Schlepper wurden schwerer, die Fahrten komplizierter, die Maut teurer, die Straßen dichter, die Strafzahlungen höher und das Image trotz „Brummi“ immer schlechter.
Bei der SpeditionErnst Denker GmbH steht der letzte von ehemals neun Sattelzügen auf dem Hof. Die große Halle ist vermietet, in der kleinen ist durchgefegt. Die Petrats bereuen nichts. Vor allem nicht den Firmenumzug von Krauel auf ein 3000 Quadratmeter großes Gelände südlich der Elbe. Ewig hatten sie in Bergedorf nach einem größeren Grundstück für Fuhrpark und Lager gesucht. 2011 gaben sie auf und verließen nach 82 Jahren den Kraueler Hauptdeich. Wenn Martin Petrat heute vom Betriebsgelände im Gewerbepark Eichholz nach Bergedorf fährt, wundert er sich nach der Abfahrt am Curslacker Deich immer noch, was er da sieht. Ein Wohngebiet? Gewerbe? Ein Puzzle aus beidem? Die Petrats kennen Kollegen, die in Bergedorf immer noch Bauland suchen, und sie sind überzeugt, dass die Mischung aus Wohngebiet und Gewerbe keinen glücklich macht. Sie haben längst ihren Haken drangemacht.
Ernst Denker GmbH: Spediteur hört auf – das Abenteuer Autobahn ist durch
Beide Hallen an der B404 sind inzwischen vermietet, acht Sattelzüge verkauft, dreizehn Mitarbeiter in neuen Jobs untergekommen. Letzteres lag den ehemaligen Speditionsleitern am meisten am Herzen. 20 Jahre lang fuhren einige für Denker. Mit der Zeit sind Freundschaften entstanden, auch weil viele in diesen Jahren ganz selbstverständlich mehr als Dienst nach Vorschrift machten.
30 Jahre lang bestanden die Standardfahrten aus der Lieferung von Brot und Backwaren im Auftrag Großbäckerei im ehemaligen Gewerbegebiet Zollenspieker. „Auch zwischen 1995 und 2010 lief es super. Da hatten wir aber auch durchgehend die Siebentagewoche“, erinnert sich Martin Petrat. 1980 fing der gelernte Kfz-Mechaniker bei seinem Schwiegervater Ernst Denker an. „Ein feiner Kerl“, sagt Petrat: „Der Name Denker war überall in den Vierlanden bekannt.“
Ernst Denkers Vater Theodor, der das Traditionsunternehmen 1929 gegründet hatte, fuhr noch Kohle und Mist für die Bauern. Ernst Denker vergrößerte auf Großmarkttransporte von Obst und Gemüse. Die Petrats knüpften dann Kontakt zu Penny, HL und Rewe und etablierten sich so mit ihren Lebensmitteltransporten im norddeutschen Raum. Über die Elbe mussten sie dabei immer. Bis heute träumt Martin Petrat von einer neuen Brücke bei Geesthacht. Vierspurig. Am besten von der A39 zur A24. Die große Ost-Umgehung. Ein frommer Wunsch. Das weiß er auch.
In der Corona-Zeit galten die strengen Regelungen plötzlich nicht mehr
Jetzt heißt es das Leben genießen. Ob es am Ende auch Tränen gab? Eher nicht. „Jetzt zum Ende war ich es auch ein bisschen leid“, gibt Petra Petrat zu. Man stehe, so die Ex-Büroleiterin, immer mit einem Bein im Gefängnis, sei von der Lenkzeitüberschreitung bis zur Wochenendfahrerlaubnis für alles verantwortlich. Sobald der digitale Tacho nicht stimmte, gab es eins auf die Mütze. Das kann schon stressen. Dabei ignorieren die Behörden, so sagen die, die Jahrzehnte auf dem Asphalt waren, dass die Straßen eine Fahrt nach Plan oft nicht mehr hergeben. Das fängt beim ersten Stau an und endet bei der Parkplatzsuche. Den großen Unterschied zwischen früher und heute erlebten die Petrats noch einmal in der Corona-Zeit. Da waren plötzlich alle froh, dass die Lebensmitteltransporte fuhren. „Da wurde ruckzuck alles ausgehebelt“ erinnert sich Martin Petrat: „Als die Sonntagsfahrgenehmigung eine Woche abgelaufen war, sagten die Kollegen bei der Hamburger Verkehrsbehörde zu mir, egal, fahr weiter.“
Einen Sonntag später war alles wieder anders. Nach einer Kontrolle legte die Polizei einen Fahrer der Spedition samt Fahrzeug fest und brachte den Verstoß zur Anzeige. Bevor es vor Gericht ging, zahlten die Petrats eine Strafe von mehreren Hundert Euro. Das seien schon seltsame Gesetze, sagt Martin Petrat und seufzt. Auch wenn er sonntags um fünf Uhr früh bei Netto im Zentrallager stand und die Kollegen aus Holland fuhren mit Blumenerde und Stiefmütterchen vor, fragte er sich jedes Mal, was nun wichtiger sei. Blumenerde oder Brot?
Nach Feuer in einer Großbäckerei drei Monate lang täglich Brot nach Unterhaching geliefert
Die Petrats sind froh, dass sie die Jahrzehnte gesundheitlich gut und ohne große Unfälle überstanden haben. Sie sind auch stolz. Einen Ausgleich braucht weder sie noch er. Keine Fernreise, kein Wohnmobil, höchstens mal mit dem Fahrrad die Landstraßen entdecken. Das Abenteuer Autobahn haben sie hinter sich.
In Erinnerung bleiben beiden zum Beispiel ein paar wagemutige Hilfslieferungen nach Unterhaching. Nachdem bei München eine Großbäckerei ausgebrannt war, half Ernst Denker mit Brot aus dem Norden aus. Über drei Monate. Jeden Tag, bei jedem Wetter. „Da bin ich mal mitgefahren“, erinnert sich Petra Petrat an einen schneereichen Tag am Kirchheimer Dreieck: „Die Autos lagen links und rechts in den Leitplanken, und wir mittendurch. Nicht anhalten, sonst wären wir verreckt. Das war schon abenteuerlich.“
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Geschätzte 3,5 Millionen Kilometer ist Martin Petrat in seinem Berufsleben gefahren. Das ist fünfmal zum Mond und zurück. Auf dem Weg gibt es keinen Fahrtenschreiber. Man muss ihm das einfach glauben. Die Petrats danken allen, die ihnen und der Ernst Denker GmbH in den Jahren ihres Berufslebens geholfen haben, und drücken allen die Daumen, die in ihrem schwierigen Gewerbe weitermachen.