Hamburg. Seit 60 Jahren gibt es die Trachtengruppe, die Kleidungsstücke ihrer Mitglieder sind teils viel älter. Tradition trifft auf Moderne.
Volkstänze in historischen Trachten und das Singen norddeutscher Lieder, dafür steht die Vierländer Speeldeel – und das bereits seit fast 60 Jahren. Doch wie andere Vereine auch, hat die Gruppe mit Nachwuchssorgen zu kämpfen. Die Zahl der aktiven Mitglieder ist in den vergangenen zehn Jahren von rund 50 auf etwa 40 gesunken.
Jürgen Dreekmann (57) ist seit drei Jahrzehnten Vorsitzender der Vierländer Speeldeel. Dreekmann war gerade mal fünf Jahre alt, als ihn seine Eltern bei der Tanzgruppe angemeldet haben. Noch immer ist er mit Begeisterung als Tänzer dabei. Bei öffentlichen Auftritten der Gruppe übernimmt Dreekmann zwischen den Tanzdarbietungen auch die Moderation. Die sinkenden Mitgliederzahlen nimmt er nicht auf die leichte Schulter: „Natürlich ist das ein Problem.“
Hamburger Trachtengruppe Vierländer Speeldeel wird 60 Jahre alt
Dass die Speeldeel und auch andere Vereine immer weniger Aktive in ihren Reihen haben, sei mehreren Faktoren geschuldet, betont Dreekmann: „Früher war die Schule mittags zu Ende, heute erst wesentlich später. Außerdem gab es für junge Menschen vor einigen Jahrzehnten weniger Freizeitangebote. Heute haben die Sportvereine riesige Sparten-Angebote.“ Trotzdem würden viele Kinder und Jugendliche einen großen Teil ihrer Freizeit vor dem Computer- und Handybildschirm verbringen: „Manche sehen sich nur noch auf dem Bildschirm.“
Auf dem Lande komme erschwerend hinzu, dass viele Zugezogene keine familiären Wurzeln in den Vier- und Marschlanden hätten, betont Dreekmann. „Dadurch haben sie keine Berührungspunkte mit uns.“ Demzufolge würden in der Speeldeel vor allem Vierländer tanzen. „Oft waren schon ihre Eltern oder Großeltern in Trachtengruppen aktiv.“
Vierländer Speeldeel gehört niedersächsischem Trachtenverband an
Der Verein versuche, dem Mitgliederschwund mit moderner Technik entgegenzuwirken: „Wir sind natürlich mit einer eigenen Homepage im Internet vertreten, haben dort auch einen Facebook-Auftritt.“ Jugendliche Tänzer würden derzeit einen Instagram-Auftritt des Vereins vorbereiten.
Dreekmann kenne die (Negativ-)Entwicklung von Vereinen in ganz Deutschland durch seine ehrenamtliche Tätigkeit im Vorstand des Landestrachtenverbandes Niedersachsen, dem auch die Speeldeel angehört, weil es in Hamburg keinen Landesverband gibt. „Das lohnt sich in Hamburg nicht, denn die Trachtengruppen in der Hansestadt kann man an einer Hand abzählen.“ Hamburg habe, anders als Hessen, Niedersachsen und Bayern, „kaum Trachtentradition“.
Die Vierländer Tänzer tragen teilweise 170 Jahre alte Trachten
Die Zugehörigkeit zu dem niedersächsischen Landesverband biete der Vierländer Gruppe viele Vorteile, betont Dreekmann: „Über den Verband sind wir gut vernetzt, haben wir eine Plattform.“ Dies zahle sich beispielsweise aus, wenn Materialeinkäufe in größerem Umfang für mehrere Gruppen getätigt und dadurch günstiger würden. Und die Tänzer lernen viele Gleichgesinnte kennen: Die Kindergruppe der Speeldeel habe am vergangenen Wochenende (6./7. April) gemeinsam mit anderen Gruppen an einem Workshop in Hambühren (Niedersachsen) teilgenommen, der vom Landesverband organisiert worden war.
Die Vierländer Tänzer tragen historische Schürzen und Brusttücher, und auch ihr Schmuck ist sehr alt. Ihre Hemden, Westen, Röcke und Jacken hingegen sind meist nachgeschneiderte Kopien nach den Original-Vorlagen. Zusammen ergibt die Kleidung die „Vierländer Tracht“, wie sie einst von quasi allen Vierländern getragen wurde, berichtet Dreekmann: „Das war damals die Alltagskleidung, aber es gab auch Tanz- und Ausgehvarianten.“ Größtenteils tragen die Aktiven alte Tanz-Trachten, wie sie vor 170 Jahren üblich waren. Die Zeit der Trachten in den Vierlanden war zwischen 1780 und 1870 bei den Männern, bei den Frauen länger, in Einzelfällen bis 1920, weiß Dreekmann, der sich ausgiebig mit der Historie der Trachten beschäftigt hat.
Moderation der Auftritte erfolgt inzwischen auf Hochdeutsch
Glücklicherweise habe der Verein nicht nur Austritte zu verzeichnen: „Wir begrüßen immer mal neue Mitglieder, darunter auch Erwachsene, die hierhergezogen sind und schon an ihrem alten Wohnort in einer Trachtengruppe waren.“ In der Erwachsenengruppe tanzen 25 Männer und Frauen. 15 Tänzer sind in den Jugend- und Kindergruppen. „Die Kindergruppe wurde bereits 1965, nur ein Jahr nach der Speeldeel-Gründung, eröffnet.“
Bei den Übungsabenden werde Hochdeutsch gesprochen. Während Dreekmann die Auftritte zum 50. Jubiläum noch op Platt moderierte, informiert er Zuschauer inzwischen auf Hochdeutsch: „Immer weniger Menschen sprechen und verstehen Plattdeutsch. Da bringt eine Moderation in niederdeutscher Sprache wenig. Schließlich wollen wir ja alle Zuschauer erreichen.“
Instrumentale Begleitmusik wurde sicherheitshalber digital gespeichert
Getanzt werden alte Volkstänze – traditionelle Tänze aus den Vierlanden, aber auch von anderswo in der Welt, etwa Frankreich und den Niederlanden, die sich die Speeldeel von befreundeten Tänzern hat beibringen lassen. Schon immer konnte die Gruppe für Feste gebucht werden. Dann bringt sie in der Regel einen Akkordeon- und einen Flötenspieler mit, die die Gruppe live begleiten. „Wir haben die Instrumente aber auch digital abgespeichert, sodass wir die Musik abspielen können, wenn die Musiker krank oder anderweitig verhindert sind.“
Vor allem für Familienfeiern würden die Tänzer gebucht. „Früher war die Nachfrage aber größer“, sagt Dreekmann: „In den 60er- und 70er-Jahren hatten wir mehr als 100 Auftritte im Jahr.“ Dreekmann war bei vielen dabei. Der gelernte Gärtner und Bankkaufmann, der sein Geld bei der Vierländer Volksbank am Süderquerweg verdient, ist trotzdem nicht der dienstälteste Tänzer: „Einige sind bereits seit 52 oder 53 Jahren dabei.“ Unter den passiven Mitgliedern gebe es auch mehrere, die dem Verein seit der Gründung angehören.
Der 60. Geburtstag wird im September „nur hausintern“ gefeiert
Erwachsene, die bei der Speeldeel mittanzen wollen, zahlen 50 Euro im Jahr. Passive Mitglieder (derzeit rund 40) unterstützen den Verein mit 25 Euro im Jahr. Tiefer in die Tasche greifen müssen die Tänzer für die originalgetreue Anfertigung ihrer historischen Tracht. „Sie kostet einige Hundert Euro.“ Der Verein stelle aber auch Trachten zur Verfügung.
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Der 60. Geburtstag soll „nur hausintern“ gefeiert werden – am 3. September, dem Tag, an dem im Jahr 1964 der Verein im Haus von Marga Puttfarcken in Neuengamme als „De Veerlanner“ gegründet worden ist. Im Jahr darauf wurde der Name um „Vierländer Speeldeel“ erweitert. Vor der Speeldeel-Geburtstagsfeier wird ein anderer runder Geburtstag gefeiert: „Ende Juni besucht eine Abordnung von uns die niederländische Gruppe De Losser Böggelrieders en Daansers, die ihr 70-jähriges Bestehen feiert. Mit der Gruppe sind wir fast so lange befreundet, wie es die Speeldeel gibt.“
Die Gruppen der Speeldeel üben in der Aula der Schule Kirchwerder
Die verschiedenen Gruppen der Vierländer Tänzer – Kinder, Jugendliche, Erwachsene – üben wöchentlich in der Aula der Stadtteilschule Kirchwerder. „Zuschauer sind uns immer willkommen“, sagt der Vorsitzende. Weitere Infos über den Verein gibt es unter vierlaender-speeldeel.de.