Kirchwerder. Eigentlich ist sie im Schwarzen oder Kaspischen Meer zu Hause. Jetzt wurde die Schwebegarnele erstmals in der Elbe nachgewiesen.

Ein nur acht bis neun Millimeter großes Tier versetzt die Wissenschaft in Aufregung: die sogenannte Schwebegarnele. Sie ist erstmals in der Elbe nachgewiesen worden. Die Gliederfüßer, die auch Ranzengarnelen genannt werden, weil sie ihre Eier und ihre Brut mit sich herumtragen, sind eigentlich im Schwarzen Meer, im Asowschen Meer und im Kaspischen Meer heimisch.

Die Schwebegarnele (Paramysis lacustris), die aussieht wie die meisten anderen Garnelen, die zur Ordnung der Zehnfußkrebse gezählt werden, aber eben sehr, sehr klein ist, wurde in den 1960er-Jahren gezielt nach Litauen eingeführt und dort in der Ostsee und in Flüssen ausgesetzt – als Nahrung für kleine Fische. „Von dort aus wanderte sie in die Oder und schließlich auch in die Havel“, weiß Dr. Elisabeth Klocke, Vorstand der Stiftung Lebensraum Elbe.

Spektakulärer Fund: Schwebegarnelen vor Krauel aufgetaucht

Nun wurde sie erstmals in der Elbe nachgewiesen, in Kirchwerder-Krauel. Dort zogen Biologen feine Haarnetze durch Flachwasserbereiche am Elbufer, um zu sehen, welche und wie viele Tiere sich darin befinden. Jüngst entdeckten sie 36 Exemplare der Mini-Garnele in ihren Netzen. Die „Beute“ wurde im Labor untersucht und als Spezies identifiziert, die in der Elbe nie zuvor nachgewiesen worden war.

Bauarbeiten vor gut einem Jahr: Dr. Elisabeth Klocke von der Stiftung Lebensraum Elbe zeigt im Februar 2023 auf die neue Kerbung in einer der Buhnen.
Bauarbeiten vor gut einem Jahr: Dr. Elisabeth Klocke von der Stiftung Lebensraum Elbe zeigt im Februar 2023 auf die neue Kerbung in einer der Buhnen. © Thomas Heyen | Thomas Heyen

Dass die Garnele in die Elbe gelangt ist, könnte mit einem Experiment in Zusammenhang stehen. In Krauel wurden im Auftrag der Stiftung Lebensraum Elbe vor einem Jahr in die Elbe hineinragende Steinbuhnen gekerbt, die den Elbstrom verändern. „Ein Nebeneffekt ist leider, dass die Seitenbereiche verlanden“, sagt Elisabeth Klocke. „Die Natur braucht aber variierende Strömungsgeschwindigkeiten und -richtungen.“ Sie sollen durch die Kerbungen in den Steinwällen, die bei Flut komplett mit Elbwasser überspült werden, (wieder) entstehen. Die Maßnahme sei ein Novum in Tideflüssen, ein Experiment, betont die in Lohbrügge lebende Wissenschaftlerin.

Monitoring: Gekerbte Buhnenbereiche werden vier Jahre lang überwacht

Der Versuch werde insgesamt vier Jahre durch ein Monitoring überwacht – ein Jahr vor den Kerbungen und drei Jahre danach. Von jetzt an also noch zwei weitere Jahre. „Wir wollen herausfinden, wie sich der Seitenbereich nahe der Buhnen und die Strömungsflüsse verändern und wie die Kerbungen die Vegetation am Ufer beeinflussen“, sagt die Stiftungschefin. Auch werde über die Jahre beobachtet, ob es am Ufer einen Landverlust geben wird.

Eine der fertig abgesenkten Buhnen am Elbufer in Krauel. Die 36 Schwebegarnelen wurden von Biologen in Wasserpfützen zwischen den Steinen entdeckt.
Eine der fertig abgesenkten Buhnen am Elbufer in Krauel. Die 36 Schwebegarnelen wurden von Biologen in Wasserpfützen zwischen den Steinen entdeckt. © Stiftung Lebensraum Elbe/Dr. Elisabeth Klocke | Stiftung Lebensraum Elbe

Die Biologen der Technischen Universität (TU) Braunschweig, die das Monitoring im Auftrag der Stiftung durchführen, beobachten auch die Entwicklung der Populationen kleiner Krabbeltiere (Wirbellose Tiere ab einer Größe von einem Millimeter) auf dem Boden der Wasserwechselzonen im Uferbereich in Krauel – Muscheln, Schnecken, Würmer, Krebse und Insektenlarven. „Sie alle sind Nahrung für die Fische und es ist wichtig, dass es sie gibt“, sagt Elisabeth Klocke. „Diese kleinen Krabbeltiere leben in Wassertümpeln, im Sand und auf Totholz.“

Zahl der wirbellosen Tiere ist seit den Buhnenkerbungen insgesamt gestiegen

Ein Zwischenergebnis des Monitorings zeige, dass nach den Buhnen-Kerbungen die Zahl wirbelloser Tiere insgesamt gestiegen sei, berichtet die Elisabeth Klocke. „Das stimmt uns hoffnungsvoll.“ Auf die jüngst aufgetauchte Neuentdeckung würden die Forscher bei ihren künftigen „Beutezügen“ natürlich ein besonderes Augenmerk legen. „Das erste Mal war ein Zufallsfund“, sagt Elisabeth Klocke. „Bisher haben wir 36 Garnelen entdeckt. Wir werden sie nun weiterhin zählen.“

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Zwei Forscherinnen der TU Braunschweig habe der spektakuläre Fund dazu veranlasst, Abhandlungen über die Schwebegarnelen zu schreiben. Die Texte sollen demnächst in Wissenschaftskreisen veröffentlicht werden. „Das ist schon ein sehr besonderer Fund“, sagt Elisabeth Klocke.

Invasive Garnelen sind lediglich eine weitere Nahrungsquelle

„Schwebegarnelen stören das Ökosystem in der Elbe vermutlich nicht“, sagt Elisabeth Klocke. Die invasiven Tiere seien – wie andere Kleinstlebewesen auch – wohl lediglich eine weitere Nahrungsquelle. Wo überall in der Elbe mittlerweile Schwebegarnelen herumtreiben, sei unklar, betont die Wissenschaftlerin: „Wir wissen nur, dass die Tiere es von der Havel aus elbabwärts bis nach Krauel geschafft haben. Ob es sie auch im Hamburger Hafen gibt, wissen wir nicht.“ Auch in der Nordsee seien bisher keine Schwebegarnelen nachgewiesen worden.