Bergedorf/Geesthacht/Schwarzenbek. Brigitte A. Opfer eines Verbrechens? Es gibt Fragezeichen. Es ist nicht die einzige spektakuläre Schlagzeile in einem turbulenten Jahr.

Brigitte A. ist ein lebenslustiger Teenager, im Dreieck Lauenburg, Geesthacht und Schwarzenbek beliebt und bekannt. Plötzlich ist sie tot. Es ist kurz vor Weihnachten 1967, als der 16-Jährigen offenbar eine gefährliche Angewohnheit zum Verhändnis wird. So jedenfalls wollen es Reporter Jörg Steinert und Chefredakteur Karl Mührl von der Bergerdorfer Zeitung wissen: Brigitte A. soll beim Trampen Opfer eines Sexualstraftäters geworden sein. Übelst zugerichtet, offenbar durch Schläge mit einem harten Gegenstand und mutmaßlich vergewaltigt, wird sie am Hamwarder Sportplatz gefunden. A. erliegt am 23. Dezember, einen Tag nach ihrem Auffinden, ihren lebensgefährlichen Verletzungen im Krankenhaus.

1967 geht im Lokalen als kein besonders spektakuläres Jahr in die Geschichte ein, wie diese Folge unserer Serie zum 150. Geburtstag der Bergedorfer Zeitung zeigt. Viel geschehen ist dennoch: Brände, ein um sich schießender Star-Musiker und Ufos über Chicago beschäftigen die Bergedorfer Zeitung. Und das alles vor dem Hintergrund einer damals wie heute labilen Weltlage.

1967: Teenager tot – und ein Star-Musiker schießt um sich

Was die Polizeireporter damals im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Mord an dem kecken Mädchen aus Lauenburg schockiert: An der Geesthachter Straße warten am Tag der ersten Berichterstattung am 27. Dezember wieder zwei junge Mädchen in kurzen Röcken, die per Anhalter mitfahren wollen – ausgerechnet auch noch bei den Journalisten, deren groß aufgelegte, teilweise ganzseitige Berichterstattung nicht zu übersehen sein dürfte. Das Jahr vergeht, und die Polizei hat noch keine heiße Spur zum Täter.

Doch wie sich wenige Tage später im neuen Jahr 1968 herausstellt, ist das tragische Ableben der Brigitte A. ein Unfall gewesen. Angeblich soll die 16-Jährige an der Stelle ihres späteren Fundorts aus einem fahrenden VW eines 26-Jährigen „gefallen“ sein, weil sie nicht mit nach Schwarzenbek fahren wollte. Der Fahrer wollte ihr noch mit zwei weiteren Männern helfen, brachte sie ins Krankenhaus. Die Kriminalpolizei Geesthacht kommt in der bz vom 9. Januar 1968 zu der Erkenntnis: „Mord ausgeschlossen“.

Ein Feuerteufel hält Schwarzenbek in Atem. Beim ersten Anschlag verbrennen 400 Schweine qualvoll.
Ein Feuerteufel hält Schwarzenbek in Atem. Beim ersten Anschlag verbrennen 400 Schweine qualvoll. © BGDZ | Jan Schubert

1967 ist ein Jahr voller Unglücke und Katastrophen, so brennt es erstaunlich häufig. Und das geht leider nicht immer glimpflich aus, weil es die mutmaßlichen Brandstifter teilweise bewusst auf mehr als Sachschäden abgesehen haben. Im Winter versetzt ein „Feuerteufel“ Schwarzenbek in Angst und Schrecken. 400 Schweine fallen seinem ersten Anschlag auf das Bismarcksche Vorwerk zum Opfer, wie die Bergedorfer Zeitung am 27. November berichtet. „Aufhängen müsste man den Kerl“ wird jemand aus der Bevölkerung in der Ausgabe vom 14. Dezember bei der Beobachtung der Löschaktion der zahlreichen Feuerwehren zitiert, nachdem der Unbekannte den nächsten Tierstall bei Vorwerk angesteckt hat, dazu übers Telefon eine Geldsumme von 200.000 Mark erpressen will. Allein diese beiden Feuer verursachen einen Millionenschaden.

Serie 150 Jahre bz: Wie ein Buchhalter seine Spielschulden ausgleichen wollte

Der Brand bei der Firma „Siporex“ am Neuengammer Heerweg vom 16. Januar erweist sich ebenfalls als Brandstiftung – und zwar aus den eigenen Reihen: Lohnbuchhalter Hans Georg L. gesteht bereits kurz nach der Tat. Zunächst hatte er den Ermittlern einen Überfall dreier Unbekannter aufgetischt, die ihn gefesselt, den Tresor um mehrere Tausend Mark erleichtert und dann das Gebäude angezündet hätten. „Diese Räubergeschichte ist reine Fantasterei“, lässt ein Sonderermittler der Bergedorfer Zeitung frühzeitig übermitteln.

Im Frühjahr 1967 ist der erste Spatenstich für den „Lindwurm“. Das längste Gebäude Hamburgs ist eines der letzten, das im Neubaugebiet Lohbrügge fertig wird. Foto vom 11. Juni 1969.
Im Frühjahr 1967 ist der erste Spatenstich für den „Lindwurm“. Das längste Gebäude Hamburgs ist eines der letzten, das im Neubaugebiet Lohbrügge fertig wird. Foto vom 11. Juni 1969. © Jürgen Joost | Juergen Joost

Die Wahrheit kommt auch dank dieser Zeitung schnell ans Licht: L. hat sehr hohe Spielschulden offenbar im Casino Travemünde. Mit Hilfe zweier Komplizen will er diese tilgen, die stolze Summe von 200.000 Mark unterschlagen. Und um den Fehlbetrag bestmöglich zu kaschieren, steckt er einen Teil des Verwaltungsgebäudes seines Arbeitgebers selbst in Brand. Der 33-Jährige wird im November 1967 zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe ohne Bewährung verurteilt, weil ihm das Gericht Unterschlagung nachweisen kann.

1967: Ein Trompeter ballert sich in die Beinahe-Katastrophe

Die Feuerwehr ist beinahe im Dauereinsatz. Ein paar negative Schlaglichter: Auch die Montagehalle der Firma Wiegmann in Bergedorf wird in diesem Winter am 14. Februar abgefackelt, was einen Millionenschaden nach sich zieht. Ebenso wird eine „Brandstiftung im Werk Düneberg“ in der bz-Ausgabe vom 14. März vermutet, als ein Unbekannter Heizöl in der Werkshalle des Maschinenbauers Zunke KG verteilt und entzündet hat. Der Schaden hält sich jedoch in Grenzen, weil hier laut Hauptbrandmeister Heitmann „ein Primitivling“ sein Unwesen getrieben hat. In der Nacht zum 22. Juni ist der Hof von Bauer August Diercks in Sassendorf nicht mehr zu retten.

Trompeter und Sänger, der mit seinem Schlager „Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut...“ bekannt wurde und sich später seinen gesungen Wunsch erfüllte und nun einen Tirolerhut trägt. Der Farbige aus Trinidad und Tobago lebte mit seiner Familie in den 60er-Jahren in Lohbrügge-Nord.
Trompeter und Sänger, der mit seinem Schlager „Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut...“ bekannt wurde und sich später seinen gesungen Wunsch erfüllte und nun einen Tirolerhut trägt. Der Farbige aus Trinidad und Tobago lebte mit seiner Familie in den 60er-Jahren in Lohbrügge-Nord. © Bergedorf | Nestor Bachmann

Und auch dieser Aussetzer eines damals extrem beliebten Künstlers hätte ganz schlimm ausgehen können: „Billy ballerte“, heißt es am 20. April in der Bergedorfer Zeitung. Was passiert ist: In einem Dassendorfer Garten beim Besuch von Bekannten unterläuft dem sehr populären Sänger und Musiker Billy Mo fast ein tödlicher Fehler. Als Zeitvertreib schießt der eingebürgerte Künstler aus Trinidad und Tobago mit einem Kleinkalibergewehr auf Scheiben, Zigarettenschachteln und Büchsen. Eine Kugel verfehlt ihr Ziel und trifft Nachbarin Liselotte Lutz am Bauch. Zum Glück keine lebensgefährliche, aber eine schockierende Verletzung bei der Frau. Urteil des bz-Berichterstatters: „Billy Mo kann zwar ausgezeichnet auf seiner Trompete blasen, mit einem Kleinkalibergewehr vermag er nicht umzugehen.“ Am 24. Juni lässt sich der Wahl-Lohbrügger dann beim Fußballspielen („Billy will nur noch mit Bällen schießen“) mit Kindern fotografieren und verspricht: „Ich fasse niemals mehr ein Gewehr an!“

Fliegende Untertassen im Reetwerder, touristisches Erlebnis am Röpraredder

Die nächste „Spinnerei“ kommt über den großen Teich per Post in den Reetwerder: „Ich sah zwei fliegende Untertassen“, schreibt und bebildert dort der in den Staaten lebende Schwager des Bergedorfer Astrologen Willy Strübing. Im Brief von Carl Groll berichtet dieser in der Ausgabe vom 4. März von nächtlichen Phänomenen über der US-Metropole Chicago. 20 Minuten lang will Groll zwei tellerförmige Flugkörper, „die sich tanzend und drehend und gut sichtbar von einem bläulichen Licht umflackert am Himmel fortbewegten“, gesehen haben. Experte Strübing indes ist genauso skeptisch wie Weltraum-Forscher, welche die Ufo-Legenden der damaligen Zeit als Reflexionen von Flugzeugen, Meteoren, Nordlichtern und dergleichen erklären können.

Auch interessant

Zum Glück gibt es aber auch Handfestes, im Aufbau Befindliches, was insbesondere den Bezirk Bergedorf voranbringt. Weiter gebaut, und das unter Beobachtung einer breiteren Öffentlichkeit, wird am „kühnsten“ beziehungsweise „eigenwilligsten Haus Hamburgs“, dem Lindwurm im Lohbrügger Norden. Offensichtlich dient es damals auch als touristisches Schauobjekt. Bergedorfs damaliger Bezirksamtsleiter Wilhelm Lindemann spricht beim Richtfest am 23. Mai den Berliner Architekten Müller und Heinrichs für ihre Leistung großen Dank aus.

Bergedorfer betrachten neugierig ihre neuen Schlossterrassen kurz vor der Eröffnung.
Bergedorfer betrachten neugierig ihre neuen Schlossterrassen kurz vor der Eröffnung. © BGDZ | Jan Schubert

Am 20. Juni feiern die Bergedorfer überdies die Eröffnung ihres prominent an der Alten Holstenstraße gelegenen Freilicht-Cafés, der Schlossterrassen. Das klingt damals prächtig – heutzutage ist wenig davon übrig geblieben, dient der Pavillon am Schlossteich im Sommer als Eiscafé, im Winter als Klamottenladen. Auch das Kaufhaus Woolworth siedelt sich in Bergedorf an und eröffnet in Bahnhofsnähe am Weidenbaumsweg die Filiale, die mittlerweile im Zuge des Neubaus von Tobias Derndinger zwar am alten Standort, aber mit modernerem Ladendesign aufwartet. Außerdem beginnt im Sommer die Planung für die etwa 300 Meter lange Fußgängerzone Sachsentor sowie für das dazu passende Parkhaus an der Ecke Vinhagenweg/Bergedorfer Schlossstraße. Ebenso wird im September der Grundstein für die Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) gelegt, damals noch unter dem Label „Bergedorfer Ingenieursschule für Produktions- und Verfahrenstechnik“ verkauft. 70 Millionen Mark werden für „den größten Schulbau Bergedorfs“ aufgerufen.

Blick über das Gelände der gerade abgerissenen alten Bergedorfer Post (heute Ärztezentrum) über den Weidenbaumsweg zum 1967 eröffneten Kaufhaus Woolworth.
Blick über das Gelände der gerade abgerissenen alten Bergedorfer Post (heute Ärztezentrum) über den Weidenbaumsweg zum 1967 eröffneten Kaufhaus Woolworth. © BGZ

Von Geesthacht in die weite Welt hinaus

Auch an den Heidbergen geschieht am 16. Februar Erstaunliches: Dort stoßen Landwirt Heinrich Dibbers und Schüler Georg Bichowski beim Sandfahren auf uralte Scherben eines Tongefäßes, eine offenbar komplett heile Urne aus prähistorischer Zeit. „Die beiden Finder zerschlugen nun verständlicherweise den Ton nicht, sondern benachrichtigten die bz“, schreibt Dr. D. Bohnsack dieser Zeitung. In der Urne werden verbrannte menschliche Knochen einer Frau sowie eine grüne Bronzenadel gefunden. Ein Hinweis auch für die Fachleute des Hamburger Denkmalschutzamtes, dass die Heidberge „in der Vorzeit ein sehr bevorzugter Wohn- und Bestattungsplatz gewesen sein“ müssen.

Luftaufnahme des Lindwurm in Lohbrügge Nord, der viele Neugierige in den Stadtteil  zieht.
Luftaufnahme des Lindwurm in Lohbrügge Nord, der viele Neugierige in den Stadtteil zieht. © BGDZ | Jan Schubert

Geesthacht liefert vor 57 Jahren aber auch den Nachweis, weltweit Technologie-Standort zu sein: Denn in der Elbestadt entsteht, eine Maschine zum Bau von Atomreaktoren, die Dreiwalzen-Rundbiegemaschine, die kurz danach auch sehr aufwendig aus den Geesthachter Hallen der Wilhelmsburger Maschinenfabrik nach Milwaukee in den US-Bundesstaat Wisconsin transportiert wird. Diese wird schon eine Woche später aus Geesthacht in die USA transportiert. „Bisher einmalig in der Welt“, jubelt die bz in der Ausgabe vom 11. April. Darüber hinaus startet am 8. November im Forschungszentrum Grünhof-Tesperhude die Generalprobe für die Inbetriebnahme des ersten deutschen Atomschiffs „Otto Hahn“. Dort wird der Reaktorkern testweise gestartet.

1967 ist weltpolitisch ein labiles Jahr

Die Brennpunkte in der Welt sind damals Vietnam und Israel. Während sich der Konflikt am Vietcong noch bis zum Jahr 1974 ziehen soll als verstecktes Duell der Systeme Kommunismus vs. Kapitalismus zwischen den Großmächten USA gegen die damalige Sowjetunion und China als Unterstützer für Süd- beziehungsweise Nord-Vietnam, dauerte der Kampf zwischen Israel und den verfeindeten Nachbarstaaten Ägypten, Jordanien und Syrien nur ganz kurz. Sechstagekrieg ist die gängige Bezeichnung für diesen Konflikt, in dem der Judenstaat siegte.

Als die erste große Ölpest in der Geschichte der Menschheit wird das Sinken des US-Frachters „Torrey Canyon“ vor der Südküste Englands am 26. März stilisiert. Es kam soweit, weil der voll beladene Öltanker am 18. März aufgrund eines Navigationsfehlers gegen Pollard‘s Rock stieß und sukzessiv unterging. 1967 hat auch menschliche Katastrophen zu bieten. Wie den Tod des ersten deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer nach Ende des 2. Weltkriegs am 19. April. Adenauer stirbt im Alter von 91 Jahren.