Neuallermöhe. Susanna und Jeffrey kamen ins Kinderheim, als die Mutter krank wurde. Wie sie trotzdem ihren Lebensweg erfolgreich meisterten.
Einfach jeder kannte ihn und hörte seine flotten Songs, vor allem den Schlager „Ich kauf’ mir lieber einen Tirolerhut“. Den (samt Feder) trug Billy Mo tatsächlich bei seinen vielen Tourneen durch Deutschland. „Aber auf Kreuzfahrtschiffen überraschte er auch gern mit Jazz und englischen Gospels“, erinnert sich Susanna Ritter – und legt gleich eine CD ihres Vaters auf, sucht zu dessen 100. Geburtstag ein altes Fotoalbum heraus: Meist schaut ein elegant gekleideter Mann fröhlich in die Kamera.
Dass der berühmte Musiker, der mit dem US-Trompeter Louis Armstrong befreundet war, in den 60ern einige Jahre in Lohbrügge lebte, ist heute nur noch wenigen Menschen bekannt. Aber Emilio Ender hatte für seinen Vortrag im „Haus brügge“ geforscht – und war überrascht, als plötzlich die halbe Familie vor ihm stand. In der Bergedorfer Zeitung hatten sie von dem Vortrag gelesen: „Da gehen wir alle hin“, beschlossen die beiden Musiker-Kinder Susanna und Jeffrey, die wiederum von ihren Kindern begleitet wurden. „Und ich habe sogar eine verschollen geglaubte Tante getroffen, die ich jahrelang gesucht habe“, freut sich Susanna Ritter.
Homestorys für Journalisten
Tatsächlich wohnen Susanna (62) und ihr nur zehn Monate jüngerer Bruder Jeffrey beide in Neuallermöhe – und erinnern nicht immer gern ihre verkorkste Kindheit. „Oft waren Journalisten daheim und machten eine Homestory. Aber manchmal durften wir auch mit nach Maschen ins Tonstudio.“ Da nahm der charmante Schlagerstar im Nachkriegsdeutschland weitere Lieder auf, etwa „Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt“, die „Bierdeckel-Polka“ oder „Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist?“ Da ahnten seine Kinder noch nicht, wie schwer es sein würde, vom Vater verlassen zu werden.
Zunächst zog die Familie vom Curslacker Heerweg mit den beiden im Bethesda-Krankenhaus geborenen Kindern an den Grandkoppelstieg in Lohbrügge. 1965 wurde dann in einen Bungalow am Schulenburgring umgezogen. Dort soll bald auch eine Info-Tafel aufgestellt werden, die an den Mann erinnert, der mit dem Namen Peter Mico Joachim in einem karibischen Waisenhaus auf Trinidad großgeworden ist.
„Neger war damals kein Schimpfwort“
„Neger war damals nicht als Schimpfwort gemeint. Die Leute wussten es eben nicht besser“, sagt Susanna Ritter, deren Bruder Kampfsport machte: „Damit konnte ich mich in den 80ern gut gegen die Neonazis in Lohbrügge durchsetzen“, erzählt Jeffrey Joachim.
Eine Familie-Idylle war es jedenfalls nicht, denn eigentlich war Billy Mo selten da. „Manchmal gab es schon zehn Tage vor Weihnachten Geschenke, bevor er wieder auf Tournee ging“, sagt die Tochter. „Aber es gab weniger Stress und Streit, wenn Papa nicht daheim war“, ergänzt der Sohn. Beide fühlten sich komplett vernachlässigt – und das erst recht, als ihre Mutter („eine weiße Schönheit mit blauen Augen“) mit nur 34 Jahren in Spanien einen Schlaganfall erlitt, fortan im Rollstuhl gefangen war, um sich schlug und depressiv wurde. Da hatte ihre Wilhelmburger Familie sie längst „verstoßen, weil sie mit einem Neger zusammen war“, berichtet Susanna.
Niemand kümmerte sich um die Kinder
Zunächst kam der Nachwuchs für ein Jahr in ein Harburger Kinderheim. „Da musste ich in der Weihnachtsgeschichte den Mohr mit der Pluderhose spielen“, ärgert sich Susanna bis heute. Daheim in Lohbrügge indes war es auch kaum auszuhalten, die Kinder wurden vernachlässigt: „Es hat sich niemand um uns gekümmert, wir haben uns im Stich gelassen gefühlt.“ Ein Beispiel: Nach der Grundschule am Richard-Linde-Weg blieb Jeffrey einfach bis zum Hauptschulabschluss dort, „weil sich niemand darum gekümmert hatte, auf welche fortführende Schule er gehen könnte“.
Zum Glück hat er die Mittlere Reife nachgeholt, lernte das Glaserhandwerk und ist heute als Industriekaufmann im Materialeinkauf der Hauni. „Wir haben unseren Lebensweg aus eigener Kraft geschafft“, betont Schwester Susanna, die ebenfalls bei der Hauni (im Vertrieb) arbeitet, nachdem sie Fremdsprachenkorrespondentin und Außenhandelsfachwirtin war, berufsbegleitend auch noch BWL und Wirtschaftspsychologie studierte. So viel Erfolg war keineswegs abzusehen – „obwohl Billy in London ja auch Kinder- und Massenpsychologie studiert hat.“
Geburt eines dritten Kindes aus der Zeitung erfahren
Das hat beim Umgang mit seinen Mitmenschen nicht immer geholfen: „1969 erfuhr unsere Mutter aus der Bild-Zeitung, dass in Hannover unsere Halbschwester Micole geboren wurde“, erzählt Susanna Ritter. Tatsächlich schon zwei Jahre zuvor hatte der Vater seine große Liebe Sylvia Hartjenstein kennengelernt, damals Bassistin der Gruppe Silverstars, später seine Managerin. „Von da an waren wir nur noch seine lästige Zweitfamilie, wie ein Klotz am Bein“, sagt die 62-Jährige, die immerhin zehn Jahre lang nicht mit ihrem Vater sprach. Und nicht verzeihen mochte, dass die Mutter ihren hübschen Sohn kratzte und schlug – „weil er unserem Sunnyboy-Vater so ähnlich sah und der sie nie geliebt hat“.
Aber das alles erfuhr die Tochter erst viel später: „Er musste unsere Mutter drei Tage vor meiner Geburt heiraten, weil er sich als öffentliche Person keinen Skandal in der Karriere erlauben konnte.“ Immerhin habe er trotzdem für die Lohbrügger Familie bezahlt und den Bungalow erhalten. „Trotz unserer beschissenen Kindheit habe ich mich absolut ausgesöhnt und liebe ihn“, sagt Susanna Ritter.
1997 besuchte sie mit ihrem Bruder die Insel Trinidad – und war erstaunt: „Das sind Hunderte, wir haben eine riesige Familie. Schließlich war er der Jüngste von elf oder zwölf Geschwistern.“ Die Sehnsucht nach einer großen Familie in Deutschland war endlich geklärt: „Das ist der Grund, warum wir hier alle so gut zusammenhalten“, sind sich die Billy-Mo-Kinder einig.
Und sie freuen sich, wenn es gelingen sollte, in Lohbrügge eine Tafel aufzustellen, die an ihren berühmten Vater erinnert, der am 16. Juli 2004 im Alter von 81 Jahren gestorben ist – zwei Jahre, nachdem er das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland erhalten hatte. Emilio Ender ist zuversichtlich: „Gut 500 Euro sind schon an Spenden zusammengekommen. Ich werde jetzt mal beim Lohbrügger Stadtteilverein vorsprechen, ob es einen Zuschuss für eine Gedenktafel geben kann.“