Hamburg. Susanne Waldschlägel (69) hat ein Buch über das Stelzendorf an der Elbe geschrieben. Darin mixt sie Kindheitserinnerungen und Fiktion.
Versteckt zwischen Elbe und Hauptdeich liegt ein Hamburger Idyll: das Stelzendorf Overwerder. Schon 1909 wurde es dort von den Kommunisten des Arbeiter- und Wassersportvereins gegründet, wenig später schlugen Gewerkschafter am Ufer ihre ersten Zelte auf. Mit den Jahren entwickelte sich daraus eine Wochenendhaussiedlung, die viel mehr sei als ein Kleingartenverein: „Es ist ein Zusammenschluss von sport- und naturbegeisterten Gewerkschaftlern, die so etwas wie eine eigene Tradition entwickelt haben“, stellt Susanne Waldschlägel fest.
Sie hat als junges Mädchen viele Wochenenden und Urlaubstage im wohl ältesten Feriendorf Hamburgs verlebt und ist überzeugt: „Overwerder rettete meine Kindheit.“ Alternativ hätte die heute 69-Jährige die Zeit in einer Wohnung in Hamm verbracht. Dort gab es zwar drei Zimmer für ihre Eltern, ihre Schwester und sie. Aber in dem zuvor im Zweiten Weltkrieg völlig zerstörten Stadtteil gab es weit und breit nichts für Kinder – weder Spielkameraden noch ein grünes Fleckchen. Alles grau, trist und öde, erinnert sich Susanne Waldschlägel, die oft allein in ihrem Kinderzimmer saß und sich ganz schrecklich langweilte.
Overwerder wurde schnell zum Paradies ihrer Kindheit
Doch das alles änderte sich, als sie nach Overwerder kam. Dieses freundliche und friedliche Fleckchen an der Elbe gab ihr all das, was sie vorher nicht hatte: Freundschaft, Naturerfahrungen, körperliche Ertüchtigung und menschliche Begegnungen, fasst Susanne Waldschlägel zusammen. Nachdem ihre Großeltern über berufliche Kontakte die Chance bekommen hatten, dort ihre Sommerfrische zu verbringen, hatten später auch ihre Eltern eine Hütte in dem kleinen Dorf, das schnell zu ihrem Kindheitsparadies wurde.
Die Verbundenheit zwischen Overwerder, wo es neben einer Kneipe auch einen Schlachter und Kaufmannsladen gab, und seinen Bewohnern sei einfach besonders, stellt Susanne Waldschlägel fest, die nach ihrem Studium als Diplom-Volkswirtin und einem Volontariat beim NDR ihr ganzes Berufsleben als TV-Journalistin gearbeitet hat. Noch im Ruhestand produziert die Mutter von zwei Söhnen heute ab und zu Fernsehbeiträge für Sat.1. Die Besonderheit von Overwerder hat sie nun aber nicht im Bewegtbild, sondern in einem Buch festgehalten.
Nach der Flut 1962 war der Ort der absoluten Sicherheit zerbrechlich geworden
Unter dem Titel „Overwerder – die Sommerfrische“ mischt die Hamburgerin ihre eigenen Erinnerungen mit einer fiktiven Kriminalgeschichte. Sie spielt im Jahr 1962, nachdem die verheerende Flut, die in Hamburg 315 Menschenleben gefordert hatte, auch Overwerder verwüstet hatte. Ihre Tante Anni und Onkel Ludwig hatten damals stundenlang auf dem Dach ihrer Hütte ausgeharrt, bevor sie schließlich mithilfe eines Hubschraubers gerettet wurden, erzählt Susanne Waldschlägel.
Danach war nichts mehr wie vorher, erinnert sich die Autorin. Der Ort der absoluten Sicherheit und kindlichen Zuflucht war plötzlich so zerbrechlich geworden, erklärt Susanne Waldschlägel. Überflutungen der damals meist noch ebenerdigen Häuschen im Winter waren zwar vorher auch keine Besonderheit gewesen: Im Herbst stellte man das Sofa und den Kühlschrank auf den Tisch, das Radio auf das obere Bett und hoffte das Beste, erinnert sich Susanne Waldschlägel.
Noch heute streift sie durch die Gänge und trifft auf frühere Spielkameraden
Doch solch eine Zerstörung wie nach der Flut hatte es vorher nie gegeben. Die Müllberge türmten sich meterhoch, nachdem die Bewohner all den Dreck und kaputte Möbel aus ihren Häuschen geräumt hatten. Diese Eindrücke aus dem Jahr 1962 hat Susanne Waldschlägel als roten Faden in ihre Kriminalgeschichte eingebaut, die „von vorne bis hinten ausgedacht ist und nichts mit den realen Begebenheiten in Overwerder zu tun hat“, erklärt die Autorin. Da finden Kinder einen Goldschatz, werden vergiftet und bekommen es mit mörderischen Altersgenossen zu tun.
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Noch immer wird das Gelände bei Hochwasser regelmäßig überflutet. Nach der Flut wurden die Holzhäuser aber „hochgesetzt“, stehen heute auf Betonfundamenten oder eben Stelzen, denen das Wasser nichts ausmacht. Susanne Waldschlägel, die während der Corona-Pandemie mit dem Schreiben begann und bereits ein Buch über die Hoffnung als Lebenselixier verfasste, möchte mit ihrem Buch keine berühmte Schriftstellerin werden, sondern den Menschen, die Overwerder kennen und sich damit verbunden fühlen, eine Freude bereiten.
Sie selbst besitzt dort seit etwa 20 Jahren keine Hütte mehr. Und ist auch froh drum, kein Eigentum zu haben, was regelmäßiger Pflege bedarf, stellt sie fest. Gemeinsam mit ihrer Schwester kehrt sie trotzdem jeden Sommer für einen Besuch zurück: „Dann streifen wir durch die Gänge und treffen noch den ein oder anderen Spielkameraden von früher.“
Das bebilderte, fast 3000 Seiten starke Buch kann für 38,38 Euro bei Amazon bestellt werden. Dort ist es auch als E-Book für Kindle erhältlich.