Bergedorf. Wasserstände deutlich gestiegen – Deiche werden kontrolliert – Rehe auf der Flucht.
Es waren dramatische Bilder die sich vor den Augen von Gunter Kittel am Neuengammer Hauptdeich abspielten: Der Bergedorfer war nach einem Spaziergang mit seinem Hund an der Elbe am Montagnachmittag gerade auf der Heimfahrt, als er im Deichvorland eine Gruppe von Tieren entdeckte: Sieben Rehe und ein Fuchs waren dort von der Flut überrascht und eingeschossen worden.
Sie fanden keinen Ausweg, um trockenen Fußes das Ufer zu erreichen. Also blieb ihnen nur der Weg durchs Wasser: In einer Reihe schwammen die Rehe durch die Fluten, um sich kurz zu schütteln und dann aufgeregt in Richtung Straße zu jagen, schildert Gunter Kittel seine Eindrücke.
Reh angefahren
Dort passierte dann das Unglück: Eine Autofahrerin vom Krauel, die auf dem Hauptdeich gerade unterwegs war, versuchte noch zu bremsen, doch ein Reh war ihr so unvermittelt vor den Wagen gesprungen, dass es zur Kollision kam. Das Reh wurde getroffen, sprang aber seinen Artgenossen noch hinterher und verschwand. Am Wagen entstand eine dicke Beule. Von der Polizei, die in dem Moment zufällig mit einem Streifenwagen vorbei kam, wurde der zuständige Jagdpächter informiert.
Auch gestern war die Zufahrt zum Fähranleger Zollenspieker per Schranke versperrt. Am Deichfuß türmte sich Geäst, das bei Hochwasser dorthin getrieben ist. Auf zahlreichen Feldern und Äckern finden sich riesige Pfützen. Im sogenannten Stelzendorf am Overwerder Bogen in Ochsenwerder sind die Asphaltstraßen vor lauter Wasser kaum noch zu passieren. Auch zahlreiche der auf Stelzen gebauten Häuser im Deichvorland und ein Sportplatz stehen unter Wasser.
Bloß kein Starkregen
Obwohl der „Grundwasserspiegel deutlich gestiegen“ ist, haben die rund 900 Kilometer Graben, die das Landgebiet durchziehen, noch viel Platz, sagt Torsten Riecken, Verbandstechniker des Ent- und Bewässerungsverbandes Marsch- und Vierlande. „Noch bis Mitte/Ende März sind die Wasserstände abgesenkt – wie jeden Winter.“ Dies könne sich allerdings in den kommenden Jahren ändern, weil unter anderem Naturschutzverbände durchgängig hohe Wasserstände fordern (wir berichteten). Ein Gutachten über die Auswirkungen wird derzeit erstellt.
Mit einem durchschnittlichen Wasserstand von rund 40 Zentimetern sei man von grenzwertigen zwei Metern weit entfernt. „Wir haben genug Puffer“, sagt Riecken. Lediglich ein extremer Starkregen könne Probleme bereiten. Dann werde Wasser in Dove- und Gose-Elbe gepumpt und über Tatenberg in die Stromelbe gelassen.
24 Stunden in Bereitschaft
Aktuell gebe es keinen Grund zur Beunruhigung, heißt es auch aus dem Bergedorfer Bezirksamt: Sollte das Wasser in Dove- und Gose-Elbe in der kommenden Nacht über den Bemessungswert von 1,10 Meter NHN (Normalhöhennull) steigen, würde das Hochwasserentlastungsschöpfwerk Ochsenwerder gestartet. „Aber auch in diesem Fall wäre die Hochwassersituation für die Binnenentwässerung nach allen bekannten Daten zurzeit unproblematisch“, sagt Lena Stich, Sprecherin des Bezirksamtes. „Wir haben die Prognosen genau im Blick.“ Die Wasserstände würde automatisch überwacht. „Mindestens zwei zuständige Mitarbeiter sind die ganze Woche über 24 Stunden in Rufbereitschaft.“
Auf den Hauptdeich werde besonders geachtet: Die Deichwarte würden bereits verstärkt nach Schäden schauen, berichtet Stefan Fennig, im Bezirksamt für Katastrophenschutz zuständig. „Die Wetterlage ist ungewöhnlich“, sagt er, denn seit Montag gab es vier Sturmfluten, darunter zwei schwere. Eine weitere schwere Sturmflut wird für heute, 6.30 Uhr, erwartet. Das Wasser soll dann auf 4,70 Meter über NHN steigen. „Für später am Tage ist mit einer leichten Sturmflut zu rechnen, danach soll es erstmal ruhiger werden“, sagt Fennig.
Durchsagen und Notunterkünfte
Am Montagabend betrug der Wasserstand sogar 4,90 Meter NHN. Ab 3,60 Metern wird von einer Sturmflut gesprochen, ab 4,60 Metern von einer schweren. Ab fünf Metern gilt Wasserstandsstufe 1. Dann wird der regionale Katastrophendienststab aktiv. Bei Stufe 2 (5,50 Meter) sind Feuerwehr und Fachberater im Einsatz, werden Sandsäcke zum Deich gebracht. Ab Stufe 3 (6,50 Meter) wird über eine Evakuierung nachgedacht. Bei 7,30 Metern (Stufe 4) wird evakuiert. Fennig: „Dann gibt es entsprechende Lautsprecherdurchsagen, sammeln Busse die Anwohner ein, werden die Menschen in Notunterkünften untergebracht.“