Bergedorf. Bezirksversammlung begrüßt neue Demonstrationskultur und deren Signale. Aktion auf Bezirksebene unter Umständen vorstellbar.
Mehre Zehntausend Menschen demonstrierten am Sonntag wieder in Hamburg gegen Rechtsextremismus und die AfD. Ähnliche Versammlungen in zahlreichen Städten Deutschlands nähren die Hoffnung, dass die AfD an Zuspruch verlieren könnte. Auch Mitglieder der Bergedorfer Bezirksversammlung glauben daran: Die Koalitions-Parteien SPD, Grüne und FDP setzten mit der Aktuellen Stunde „Nie wieder ist jetzt“ einen Meinungsaustausch in Gang.
„Es scheint ein Ruck durch Deutschland zu gehen“, befand Petra Petersen-Griem (SPD), „man ist versucht zu sagen: endlich!“ Die Veröffentlichungen über ein Treffen rechtsextremistischer Aktivisten unter Beteiligung von AfD-Politikern in Potsdam hätten offensichtlich „einen Nerv getroffen“, weil die dort diskutieren Ideen eine bisher nicht gekannte Klarheit, Radikalität und Extremität gezeigt hätten. Petersen-Griem: „Ein Weckruf für diejenigen, die nicht sehen wollten oder konnten, wohin die Reise seit Jahren gehen soll.“
Gegen Rechtsextremismus: „Debatte nicht Populisten überlassen“
Auch Koalitionspartner FDP sieht viel Gutes in der aktuellen Demonstrationskultur. „Es ist ein starkes Zeichen, dass wir unseren Mitmenschen öffentlich versichern, dass wir an ihrer Seite stehen“, meinte Fraktionschefin Sonja Jacobsen: „Sie können auf die Gemeinschaft der Demokraten und den Rechtsstaat in Deutschland vertrauen.“
In diesem Punkt sprang ihr CDU-Fraktionschef Julian Emrich zur Seite. Emrich distanzierte sich auch von der Teilnahme einiger Unions-Mitglieder an dem Potsdamer Podium und wies darauf hin, dass viele Einwanderer hier geboren sind, hier arbeiten, die deutsche Sprache sprechen und allerbest integriert seien: „Sie gehören eindeutig zu uns.“
Grüne: „Wir müssen uns für andere interessieren“
Statt „rechts hassen“ oder „töten“ zu wollen – ein für Sonja Jacobsen unpassendes Vokabular am Rande der Großdemo „Hamburg steht auf“ – müssten diejenigen AfD-Wähler politisch erreicht werden, die kein geschlossen rechtsextremes Weltbild hätten. Nach einer Bertelsmann-Studie ist dies bei zwei Dritteln der AfD-Wähler der Fall. Die Politik habe unter anderem die Verantwortung, die Voraussetzungen für Deutschland als Einwanderungsland zu verbessern: „Wir müssen die Probleme selbst benennen und die Debatte über die Einwanderung nicht den Rechtspopulisten überlassen.“
„Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Diskriminierung sind in Deutschland sehr komplex“, hat die aus Tschechien stammende und nun in Neuengamme lebende Lenka Brodbeck selbst erfahren müssen, gerade was den Einstieg auf dem hiesigen Arbeitsmarkt angeht. Mittlerweile fühlt sich die Juristin und Fraktionsvorsitzende der Bergedorfer Grünen gut integriert. Die hier lebenden Menschen dürften Rassismus und Diskriminierung nicht als alltäglich hinnehmen, sondern müssten „enttarnen und hinterfragen“, fordert Brodbeck: „Wir müssen wachsamer agieren, uns solidarisieren und für andere interessieren.“
AfD-Fraktionsvorsitzender spricht von „politischer Schmutzkampagne“
Dass Bergedorfs AfD-Fraktion Begriffen wie „Remigration“, „Umvolkung“ oder „Zwangsausweisung“, die in Potsdam besprochen worden sein sollen, offenbar nicht abgeneigt gegenüber zu stehen scheint, zeigte ein Detail der Debatte: Während der Rede von Michael Mirbach (Fraktionschef Die Linke), als er von der aus seiner Sicht beängstigenden Forderung sprach, dass „geduldete Schutzsuchende alsbald das Land wieder verlassen sollten“, gab es aus AfD-Reihen einen Zwischenruf. „Richtig“, kommentierte deren Abgeordneter Eugen Seiler.
Der Bergedorfer AfD-Fraktionsvorsitzende Reinhard Krohn kam ebenfalls bei der Aktuellen Stunde zu Wort: Er zielte insbesondere auf den politischen Dauerrivalen Die Linke, betitelte sie als „die im Sterben befindende Mauermörderpartei“. Krohn zweifelte Erkenntnisse und Schlussfolgerungen der „Correctiv“-Recherchen an, für ihn sei das Ganze ohnehin eine „politische Schmutzkampagne linksradikaler Aktivisten, die sich Journalisten nennen“.
Wichtiger ist in diesem Kontext für Krohn ohnehin eine Begriffsklärung: „Remigration bedeutet Rückwanderung“, sagte Bergedorfs AfD-Fraktionschef und bezog das auf illegale Einwanderer. Seine Forderung: „Wir müssen als Bundesrepublik sämtliche Anreize minimieren, die Deutschland zum Magneten für illegale Einwanderung macht.“
Demonstration in Bergedorf: Was die Lokalpolitik dazu sagt
Ein eigenes Zeichen im Bezirk zu setzen, das ist für die Mitglieder der Bergedorfer Bezirksversammlung vorstellbar, zumal am vergangenen Freitag in Mölln und am Montag, 29. Januar, in Geesthacht ebenfalls Menschen unter der Überschrift „Nie wieder ist jetzt“ auf die Straße gehen wollen. „Das würde dem Bezirk gut zu Gesicht stehen“, sagte auf Anfrage Lenka Brodbeck auch vor dem Hintergrund, dass laut Statistikamt Nord im Bezirk Bergedorf etwa 40 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund zu Hause sind. Auch Petra Petersen-Griem würde sich gegen eine Demo nicht wehren, „wenn wir damit nicht in Konkurrenz zu einer hamburgweiten Aktion treten“.
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Für Sonja Jacobsen ist zwar so etwas wie „Bergedorf steht auf“ denkbar, es könne aber auch in gewisser Weise kontraproduktiv und zerfasernd wirken: „Das liefe dem Grundgedanken der großen Menge ja auch etwas entgegen, wenn jeder Bezirk und Kreis es machen würde.“ Zudem sei eine stattliche Zahl an Mitgliedern der Bergedorfer Bezirksversammlung bei der Großdemo in Hamburg dabei gewesen.