Bergedorf. Das Kollektiv „Wild und wirklich“ verbindet Kunst und Feminismus. Aktuell zeigen die Künstlerinnen ihre Werke im Plietsch.
So richtig brenzlig wurde es, als die Taliban die Tür einschlugen und einen Drohbrief hinterließen. „Da hab ich mich schnell bei Verwandten versteckt, um nicht inhaftiert zu werden“, berichtet Salwa Rahen. Die Arbeit der Muslimin, die an einer Kabuler Kunsthochschule Grafik-Design lehrte, ist aus Sicht der Terrorgruppe „Haram“, also eine Sünde. Denn Frauen dürfen in Afghanistan nicht arbeiten, nicht ohne einen männlichen Vormund auf die Straße gehen – und schon gar nicht demonstrierend auf Frauenrechte hinweisen.
Über einen Zwischenstopp in Pakistan kam die 30-jährige Alleinstehende schließlich am 13. Dezember in Bergedorf an, mithilfe des Bundesaufnahmeprogramms. Dafür hatte sich Juliane Bandelow eingesetzt, denn die Bergedorferin organisiert Online-Ausstellungen von Künstlern im Exil: „Leider sind durch das Programm in eineinhalb Jahren erst 83 Leute mit Deutschland-Bezug evakuiert worden. Wir haben noch mindestens zehn Namen auf der Liste“, sagt die 36-Jährige, die nun in Bergedorf ein „krass feministisches Kollektiv“ gründete: „Wild und wirklich“.
Künstlerkollektiv Bergedorf: Exilkunst im Sachsentor
Die erste Ausstellung des Kollektivs bestreiten Frauen aus der Ukraine, aus Korea, dem Iran und eben Afghanistan. Ihre Werke sind bis zum 15. Januar im Plietsch im Sachsentor 23 zu sehen, täglich zwischen 14 und 18 Uhr. Hier erklärt Salwa Rahen auch gern ihre Interpretation des Acrylbildes, das eine blutige Frau mit abgeschnittenen Flügeln zeigt.
„Sie haben die Hoffnung auf den Frieden verloren“, wird sie bald auch der Bundestagspolitikerin Sara Nanni erklären, der sicherheitspolitischen Sprecherin der Grünen. „Ich möchte in Deutschland die kritische Stimme für all die unterdrückten Künstlerinnen und Journalistinnen in meiner Heimat sein.“
Aus der Flucht mit Gasmaske statt Rucksack
Ähnlich geht es der Menschenrechtsaktivistin Maryam Asimi aus Herat, die schon viele tote Friedenstauben gemalt hat. Die Bloggerin wurde ebenfalls von den Taliban verfolgt, wohnt inzwischen sicher mit ihren beiden Kindern (5 und 6 Jahre) in einer Bergedorfer Wohnung. Auch ihr Mann konnte mithilfe der „Kabul Luftbrücke“ fliehen. „Früher hat er Duschen aus Brasilien und Pakistan importiert. Jetzt lernt er Deutsch und will IT studieren“, sagt die 30-Jährige.
Doch die Heimat bleibt stets im Herzen, so auch bei Mina Irani Benimar, die im Iran lernte, Seidenteppiche kunstvoll zu weben. In Bergedorf zeigt die 51-Jährige auch ihre Acrylbilder, so etwa die beiden Frauen, die eine Gasmaske statt Rucksack auf dem Rücken tragen.
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Es sollen noch Workshops folgen, etwa um die persische Sprache zu lernen. Oder um Bergedorfs Stadtzukunft aus feministischer, klimapolitischer und sozialintegrativer Sicht zu diskutieren. „Und ab März gebe ich Kurse in Porträtmalerei“, kündigt Juliane Bandelow an. In jedem Fall sind Frauen aus allen Kulturkreisen willkommen, sollen sich die Arbeiten des Kollektivs in Bergedorf herumsprechen, denn „wir arbeiten laut und lästig“.