Hamburg. Streit eskaliert: Zwei Männer werden nach indischem Konzert lebensgefährlich verletzt – mutmaßlich wegen ihrer Religionszugehörigkeit.

Knapp ein halbes Jahr nach den beinahe tödlichen Messerstichen auf zwei Besucher eines indischen Konzerts vor dem Hit-House in Bergedorf-West hat der Prozess gegen zwei mutmaßliche Täter mit einer Panne begonnen. Kurios: Bis zum Start des ersten Verhandlungstags wussten die beschuldigten Disha E. (34) und Giani G. (42, beide Namen geändert) nicht genau, was ihnen vorgeworfen wird.

Weil die Anklageschrift nicht rechtzeitig in die indoarische Sprache Punjabi übersetzt worden war, musste das 53-seitige Schriftstück bei der Anklageverlesung durch die Staatsanwältin am Landgericht Hamburg simultan übersetzt werden. Darin wird E. und G. gemeinschaftlicher Mordversuch und gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen vorgeworfen. Offenbar eskalierte der Streit aufgrund unterschiedlicher Glaubensrichtungen.

Landgericht: Messerattacke vor Hit-House – Panne zum Prozessstart

Es sollten nur ein paar Fotos mit den Musikern gemacht werden – doch an diesem 28. April 2023, einem späten Freitagabend in der Eventlocation am Friedrich-Frank-Bogen, stand die Frage nach der Religion offenbar über allem. Der 42-Jährige G., der mit dem typischen Dastar (Turban) und langem Bart im Gerichtssaal erschien, gehöre einer separatistischen Bewegung der Sikhs, einer Minderheit in Indien, an, erklärte die Staatsanwältin zum Prozessauftakt. Als am Konzertabend ein Hindu aus dem Publikum ein Selfie mit der Band aufnehmen wollte, schritt G. resolut ein und untersagte das Erinnerungsfoto.

Der Streit soll sich dann auf den Parkplatz vor dem Club verlagert haben, weitere Männer seien hinzugekommen. Giani G. soll laut Zeugenangaben nicht aufgehört haben, den Gegenüber aufs Übelste zu beschimpfen und ihn auch körperlich attackiert zu haben. Ein weiterer Inder habe zu schlichten versucht. Nun soll auch Disha E. eingegriffen und den Schlichter mit einem Messer in Gesicht und Bauch gestochen haben. Die Tatwaffe des 34-Jährigen ist bis zum heutigen Tag verschwunden.

Brutaler Messerangriff: Täter halten Opfer fest, damit Angreifer zustechen kann

Als Zeugen dem Verletzten zu Hilfe kommen wollten, sollen plötzlich mehrere andere Personen G. und E. abgeschirmt haben. Sie sympathisieren offenbar mit den Beschuldigten, brüllen Parolen der Khalistan, einer nationalistischen Bewegung der Sikhs, die sich einen unabhängigen Staat auf dem Territorium Indiens und Pakistans wünscht.

Die wütenden Komplizen halten unbeteiligte Konzertbesucher mit Drohgebärden von dem blutigen Streit fern. Giani G. soll einen weiteren Mann von hinten festgehalten haben, während ein noch unbekannter Mittäter viermal auf den Festgehaltenen einsticht. Danach sollen G. und E. geflüchtet sein.

Polizei mit 24 Streifenwagen in Bergedorf-West um Einsatz

Zurückgelassen wurden zwei lebensgefährlich verletzte Inder. Unter anderem wurde bei dem Mann, den G. festgehalten haben soll, eine Schlagader von der Stichwaffe getroffen und durchtrennt worden sein. Das von E. malträtierte Opfer zog sich eine Verletzung der inneren Beckenarterie zu und brach sich außerdem die Kieferhöhle. „Nur des schnellen notfall- und intensivmedizinischen Eingriffs ist es zu verdanken, dass es zu keinen Todesfällen gekommen ist“, beendete die Staatsanwältin ihre Anklagerede.

Die Polizei war in jener Nacht mit insgesamt 24 Streifenwagen, mit Zivilfahndern und Hundeführern im Einsatz. Auch Beamte der Bundespolizei waren vor Ort. Die Angeklagten – G. ist portugiesischer, E. indischer Staatsbürger – wurden nach Zeugenbefragungen und Ermittlungen der Polizei am 25. Mai festgenommen, wie ein Gerichtssprecher sagte. Sie sitzen in Untersuchungshaft. Zunächst hatte die Polizei fünf Tatverdächtige ermittelt, bei drei Männern bestätigte sich der Anfangsverdacht allerdings nicht. Weiterhin unbekannt ist der zweite mutmaßliche Messerstecher.

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Alles andere als reibungslos verliefen auch die Vorbereitungen auf den Prozessstart: Die Vorsitzende Richterin Birgit Woitas bedauerte, dass die Anklageschrift nicht rechtzeitig in die Sprache Punjabi übersetzt worden sei. „Das ist eine absolute Katastrophe“, sagte sie, „die Anklage liegt seit dem 2. Oktober vor.“

Zwischenzeitlich habe ihre Geschäftsstelle das zweite Übersetzungsbüro mit dem umfangreichen Schriftstück beauftragt. Beim ersten Auftragnehmer gab es jedoch nur viel Warterei und nach zahlreichen Nachfragen die Antwort, dass der bearbeitende Übersetzer auch noch im Urlaub sei. Auch das zweite Büro schaffte es nicht rechtzeitig, bis zum Prozessbeginn die Anklage zu übersetzen.

Richterin entschuldigt sich in Richtung der Angeklagten und Verteidiger

„Ich kann mich dafür nur entschuldigen“, so die Vorsitzende Richterin in Richtung Angeklagte und Verteidiger. Die Anklage liege zurzeit nur auf Deutsch und Englisch vor. Die Verteidiger deuteten an, dass sich ihre Mandanten nach Vorliegen der schriftlichen Übersetzung zu den Vorwürfen äußern würden.

Insgesamt sind neun Termine bis zu einem Urteilsspruch am 1. Februar 2024 angesetzt. Allerdings folgt nun gleich eine längere Unterbrechung: Wegen Urlaubstagen mehrerer am Prozess Beteiligter geht es erst am 4. Dezember mit möglichen Einlassungen und weiteren Statements der Verteidigung weiter. Ab dem 6. Dezember sollen dann Zeugen und auch eines der Opfer gehört werden.