Hamburg. 52-Jähriger tötete seine Ex-Frau in Lohbrügge. Landgericht Hamburg nimmt von Verurteilung wegen Mordes Abstand.
Am Vormittag des 4. November 2022 bemerkt eine Freundin, dass der Ex-Mann von Johanna A. vor ihrer Wohnung am Harnackring in Lohbrügge steht. Sie warnt A. davor, die Tür aufzumachen. „Ne mache ich nicht“, antwortet die 35-Jährige. „Ist alles gut gegangen?“ fragt die Bekannte wenige Minuten später. Doch ihre Nachricht wird nicht mehr beantwortet – Johanna A. ist zu diesem Zeitpunkt schon tot, verblutet durch mehrere Messerstiche in den Bauch.
Als die Richterin am Donnerstagmorgen den Chatverlauf vorträgt, wird die Tragik der grausamen Tat noch einmal deutlich. Ein Mann tötet seine Ex-Frau, mit der er zwei Söhne hat, drei Wochen nach der Scheidung. „Ich habe bis heute nicht begriffen, wie es so weit kommen konnte“, sagt der 52-Jährige in seinem Schlusswort vor dem Landgericht Hamburg. „Das ist wie ein Albtraum.“ Am Mittag verkünden die Richter das Urteil: Der Mann muss wegen Totschlags eine zwölfjährige Haftstraße antreten.
Bergedorf: Ex-Mann von Johanna A. zu zwölf Jahren Haft verurteilt
Der Angeklagte ist schmächtig gebaut, hat graue Haare und eine hohe Stirn. Die Vorstellung, dass er einen Menschen gewaltsam aus dem Leben gerissen hat, fällt schwer. „Ich würde es gern rückgängig machen und möchte mich bei den Angehörigen entschuldigen. Auch, wenn das nichts bringt“, gesteht er in klarer Aussprache vor der großen Strafkammer. Dem Tag der Urteilsverkündung waren sechs Verhandlungen vorausgegangen.
Angeklagt war der Mann wegen Mordes aus niederen Beweggründen. Die Staatsanwaltschaft forderte eine lebenslange Haftstrafe. Die Verteidigerin plädiert am Donnerstag hingegen auf eine Verurteilung wegen Totschlags und eine Haftstrafe von unter zehn Jahren – und übt deutliche Kritik am Prozessverlauf: „Eine derartig scharfe Wortwahl und Ignoranz der Beweismittel habe ich in 25 Jahren nicht erlebt.“ Es hätte mitunter den Anschein gehabt, dass sie sich für die Verteidigung hätte entschuldigen müssen.
Täter hatte sich widerstandslos der Polizei gestellt
„Bevor eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt wird, müssen Merkmale für Mord besonders hoch sein“, sagt sie. Ähnlich sieht es am Ende auch das Gericht: „Uns ist bewusst, dass dieses Urteil für die Angehörigen nur schwer nachvollziehbar ist. Vor dem Bundesgerichtshof wäre ein Urteil wegen Mord in diesem Fall aber nicht haltbar“, erklärt die Richterin.
Unmittelbar nach der Tat hatte der Mann selbst den Notruf gewählt, um das Leben der Frau noch zu retten. „Ich war entsetzt über die Aussage der Nebenklage, dass der Notruf theatralisch gewesen sei. Wie kann man zu so einer derartigen Behauptung kommen?“, äußert die Verteidigerin. Der Täter hatte sich widerstandslos der Polizei gestellt und unter Tränen von der Tat berichtet.
„Eine nicht auszuhaltende Situation für die Kinder“
Die Charakteristika des Angeklagten entsprächen zudem nicht denen eines Mörders. Er habe keine narzisstische Persönlichkeitsstörung und sei nicht vorbestraft. Und: „Wenn er sie kalkuliert umgebracht hätte, hätte er das Messer verschwinden lassen.“ Stattdessen legte er die Tatwaffe wieder in die Spüle. Der Angeklagte selbst sei unendlich traurig und verzweifelt über das Geschehene.
Für die Angehörigen im Gerichtssaal sind diese Aussagen nur schwer zu ertragen. „Diese Tat hat über den Verlust eines Menschen hinaus gravierende Folgen, wie wir es selten zuvor erlebt haben“, sagt die Richterin. Die beiden Söhne waren zur Tatzeit vier und zwölf Jahre alt. „Für die Kinder ist das eine nicht auszuhaltende Situation. Sie werden für immer damit leben müssen, dass der Vater die Mutter getötet hat.“ Der ältere Sohn befinde sich in psychiatrischer Behandlung und leide unter Panikattacken sowie Schuldgefühlen, weil er in einer Polizeivernehmung gegen seinen Vater ausgesagt hatte.
Das Ehepaar lebte seit Frühjahr 2020 getrennt voneinander
Der in Pakistan geborene deutsche Staatsbürger hatte Johanna A. vor 17 Jahren in einem Restaurant in Hamburg kennengelernt. Zu dieser Zeit war er schon verheiratet und erwartete mit seiner Frau das dritte Kind. Mit Johanna A. entwickelte sich eine Affäre, dann eine Beziehung, später heirateten sie. Bis zum Corona-Lockdown im Frühjahr 2020 gab es keine besonderen Vorkommnisse. Bei einem Streit soll der Angeklagte seine Frau mit einer Flasche beworfen haben, woraufhin A. mit den Söhnen von ihm wegzog.
Die Mutter lehnte ihn als Schwiegersohn ab. „Wer einmal schlägt, schlägt immer“, soll sie damals zu ihrer Tochter gesagt haben. Die 35-Jährige trennte sich von ihm und baute eine Beziehung zu einem anderen Mann auf. Der 52-Jährige hielt dennoch Kontakt zu seiner Ehefrau. Sein Wunsch, die Beziehung wiederzubeleben, wurde aber nicht erwidert. Im Oktober 2022 ließ sie sich von ihm scheiden. Auf die Frage, ob A. einen neuen Partner hätte, wich sie aus.
Ältester Sohn sollte das Handy seiner Mutter ausspionieren
Dieser Umstand verleitete den Mann sogar dazu, seinen älteren Sohn aufzufordern, das Handy von A. auszuspionieren. „Es ist unfassbar, dass sie so etwas ihrem Sohn aufgetragen haben“, sagt die Richterin zum Angeklagten. Der Täter hatte noch immer Schlüssel zur Wohnung und soll zwei Tage vor der Tat zwei gebrauchte Kondome im Mülleimer des Badezimmers entdeckt haben. „Wenn sie den noch mal nach Hause bringt, dann bringe ich sie um“, habe er daraufhin zum Zwölfjährigen gesagt.
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Die Richter sind zwar von der Wahrheit dieser Aussage überzeugt, es sei aber nicht möglich, daraus auf eine geplante Tat zu schließen. „Wir sind der festen Überzeugung, dass keine niederen Beweggründe vorliegen. Das Motiv zeugt von Eifersucht, Verzweiflung, Wut, Verärgerung. Für einen Mord müssen die Motive aber besonders verwerflich sein“, erklärt die Richterin.
Sie gehe selbst davon aus, dass das Urteil angefochten werde. „Ich erwarte nicht, dass es rechtskräftig wird.“ Doch kein Urteil – auch nicht lebenslänglich - könne dem Verlust von Johanna A. gerecht werden.