Hamburg. Zuletzt sind Nichtschwimmer in Allermöher Seen ertrunken. Dennoch sollten Kinder dort nicht unterrichtet werden. Die Gründe.
Die Vorstellung ist fast romantisch: Schwimmen lernen mit Vater, Mutter oder einer anderen Vertrauensperson in einem herrlichen, klaren Gewässer. So oder so ähnlich hatten es sich auch einige Vertreter aus der Bergedorfer Politik, vornehmlich der CDU, ob zunehmender Schwimmdefizite bei Kindern und zwei tödlichen Badeunfällen in Allermöher Seen gewünscht.
Sie hatten in den Sportausschuss Experten geladen, die ihre Expertise zur Schwimmausbildung in Badeseen geben sollten. Und die Meinung der Fachleute ist eindeutig und ernüchternd: Schwimmlehrer und Rettungsorganisationen raten davon ab.
Schwimmunterricht in Badeseen ist zu gefährlich
Besonders Arne Schicke, Chef der Bergedorfer DLRG, wie auch Hans-Christian Hettfleisch, zweiter Vorsitzender des Hamburger Schwimmverbands, nannten zahlreiche Aspekte, die „gegen eine Freiwasserausbildung“ in einem der Badeseen im Bezirk sprechen: fehlendes Personal sowohl bei Übungsleitern als auch Assistenten, nicht vorhandene Infrastruktur fürs Schwimmen lernen inklusive ungenügender Umkleidesituation, hoher Besucherandrang, unberechenbare Witterung auch in den Sommermonaten, dazu auch noch gefährliche Abbruchkanten, also ein fast unsichtbarer Übergang von Nichtschwimmer- zu Schwimmerbereich, zu kalte Wassertemperatur und mangelnde Sichttiefen – das ist das Füllhorn, das insbesondere dem Sicherheitsgedanken entgegenstehe.
„Klar ginge es“, nimmt Hans-Christian Hettfleisch den Gedanken in der reinen Theorie auf, „aber unser oberstes Ziel muss es sein, Kindern Sicherheit zu vermitteln. Dass sie sich im Wasser sicher bewegen.“ Dies sei in Bergedorfs Badegewässern sehr fragwürdig. Der erfahrene Ausbilder bleibt in der Praxis: Bei Tauchgängen und maximal einem Meter Sichtweite bekämen Schwimmnovizen schnell „ungute Gefühle und Angst“ aufgrund von Orientierungslosigkeit.
Freiwasserausbildung: Orientierungslosigkeit bringt Angstzustände hervor
„Kinder müssen sehen, wo es ins tiefe Wasser geht“, spricht Hettfleisch auch das Problem der gefährlichen Abbruchkanten beispielsweise im beliebten Allermöher See an. Der Verbandsmann fasst zusammen: „Eine Freiwasserausbildung ist nicht machbar und auch keine Qualitätssteigerung.“
Diese Ausbildungsalternative habe „sehr geringe Aussichten“, findet auch DLRG-Mann Schicke. Er spricht das Personalproblem in den eigenen Reihen an: „Wir brauchen für so eine Schulung fast eine Eins-zu-Eins-Betreuung sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen.“ Die könne der DLRG allein schon durch viele Fortbildungen, Exkursionen und andere Verpflichtungen gar nicht leisten. Norbert Seitz, Sprecher der SG Bille, hatte vorher schon mal bei seinen Leuten reingehorcht: „Wir haben keine Trainer, die das machen würden.“
22 Grad im Badesee, fast 30 Grad im Schwimmbad
Das Wohlfühlen im Wasser ist auch eine Frage der Wassertemperatur. Die betrage in der freien Natur circa 22 Grad. Zum Vergleich: Im Bergedorfer Bille-Bad liegt diese bei 28 bis 30 Grad. Hans-Christian Hettfleisch dazu: „Glauben Sie mir: Schon ein Grad mehr oder weniger macht bei Anfängern viel aus.“ Das kann auch Boris Schmidt, für die SPD im Ausschuss sitzend, bestätigen: Als das Bille-Bad in Bergedorf aus Energiespargründen die Beckentemperatur auf 28 Grad reduzierte, „sind 50 Prozent der Kinder nicht mehr zu den Kursen gekommen, weil sie frieren“, hat der Chef der TSG Bergedorf beobachtet.
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Schwimmlehrer Hettfleisch wies in diesem Kontext auf die „höhere Resilienz bei heutigen Kindern und Jugendlichen“ und zuweilen auch deren Eltern hin. Der Nachwuchs sei heute zwar „mutiger, aber auch verweigerungsfreudiger“ bei Dingen, die gegen den persönlichen Strich gingen – zumal auch kognitive-motorische Fähigkeiten schlechter geworden seien. Letztlich gehöre der Wille der Kinder zur Teilnahme auch zu den Faktoren, die unabdingbar für erfolgreiches Schwimmen lernen seien.
Welchen Impuls die Bergedorfer Politik jetzt an den Senat senden möchte
Die Ausschussmitglieder nehmen die ablehnende Expertise zur Kenntnis. Links-Partei und CDU erinnern noch mal an die Dringlichkeit eines zweiten Schwimmbads für Bergedorf, das nicht erst gebaut werden dürfe, wenn Oberbillwerder einmal stehe.
Robert Gruber (Links-Partei) möchte vehementer aufs Tempo drücken. „Mischformen“ des Unterrichts in Badeanstalten und in Seen seien vonnöten, um speziell die Schwimmdefizite der Generation Corona auszumerzen – hier soll die Quote an Nichtschwimmern laut des ehemaligen Berufsschullehrers bei 70 Prozent liegen. Gruber wünscht sich „Freiwillige, die unterrichten“ und „Vereine, die Schwimmevents organisieren“.
Angestachelt durch die Behauptung von Boris Schmidt, das von Bäderland betriebene Bille-Bad halte bewusst Schwimmzeiten aufgrund von Personalmangel unbesetzt, wird der Kampfgeist von Robert Gruber geweckt, der am liebsten einen interfraktionellen Antrag gegen diese Unternehmenspolitik verfassen möchte. Doch die Forderung des Plenums geht letzten Endes doch anders: Da Bäderland städtisch finanziert ist, wird der Antrag aus Bergedorfs Politik eher darauf hinauslaufen, dass der Senat sein Finanzvolumen zur Aufstockung von Personal und Schwimmzeiten erhöhen muss.