Bergedorf. Durchfallquote steigt auf hohem Niveau. Chef-Fahrlehrer weiß, warum der Weg zum Führerschein in Hamburg immer schwieriger wird.

Für viele Autofahrer ist der Verkehr in Hamburg schon seit Jahren ein Ärgernis. Zahlreiche Baustellen, Pop-up-Radwege, Staus, aber auch die anderen Verkehrsteilnehmer verursachen jeden Tag unübersichtliche Situationen. Insbesondere Fahrschüler, die in einer der 157 Fahrschulen in Hamburg ihren Führerschein machen wollen, leiden unter den erschwerten Bedingungen: Fast jeder Zweite fällt hier in der praktischen Prüfung beim ersten Mal durch. Damit ist die Hansestadt Spitzenreiter in ganz Deutschland. Auch bei der Theorie sieht es nicht rosig aus: Im Jahr 2022 rasselte knapp jeder dritte Hamburger Prüfling beim ersten Mal durch die Prüfung.

Diese Entwicklung beschäftigt auch den Fahrlehrerverband, der sich Anfang April neu aufgestellt hat: In der Mitgliederversammlung ist Michael Witt einstimmig zum neuen Vorsitzenden gewählt worden und folgt damit Sabine Darjus nach. Mit der neuen zweiten stellvertretenden Vorsitzenden Nicole Neubauer ist erstmals auch ein Bergedorfer Gesicht in die Leitung des Verbandes eingezogen.

Verkehr Hamburg: Experte erklärt Situation an Fahrschulen

Der Verband ist dafür zuständig, Probleme in der Fahrlehrerschaft aufzugreifen und mit Behörden und Institutionen nach Lösungen zu suchen. Dafür vermittelt er zwischen TÜV, der Innenbehörde, dem Landesbetrieb Verkehr und den Fahrschulen. Michael Witt ist selbst seit mehr als 35 Jahren Fahrlehrer und weiß deshalb um die Situation in den Fahrschulen. Die Bergedorfer Zeitung hat den 58-Jährigen in seinem Büro an der Süderstraße besucht. Ein Gespräch über die anscheinend schwieriger gewordenen Theorieprüfungen, hohe Durchfallquoten in Hamburg und Veränderungen im Straßenverkehr.

Bergedorfer Zeitung: Herr Witt, kurz nach den Lockdowns in Hamburg haben sich die Fahrprüfungen extrem gestaut, sodass Prüflinge wochenlang auf ihre Fahrprüfung warten mussten. Wie hat sich die Situation mittlerweile entwickelt?

Michael Witt: Sowohl die Prüforganisation, der TÜV Hanse, als auch Fahrschulen – wir waren alle davon betroffen. Ich würde aber sagen, dass wir Fahrschulen uns wirklich bemüht haben, den Stau schnell und unbürokratisch abzuarbeiten und dafür auch mal mehr gearbeitet habe. Aber auch der TÜV hat seine Hausaufgaben gemacht, ist mit zusätzlichen Angeboten da gewesen und hat versucht, die Fahrschulen zu unterstützen. Mittlerweile glaube ich schon, dass eine Entspannung spürbar ist, vor allem in den Fahrschulen. Auch beim Prüfangebot ist die Tendenz zur Entspannung schon sichtbar. Es gibt zwar noch Verbesserungspotenzial, aber der TÜV bewegt sich.

In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Theoriefragen im Prüfungskatalog immer weiter erhöht. Laut Angaben des TÜV beinhaltet der Fragenkatalog derzeit 1186 Fragen. Können Sie sagen, wie viele Fragen es im Jahr 2013 gab?

Michael Witt, hier auf einem Archivbild, ist Vorsitzender des Fahrlehrerverbands Hamburg.
Michael Witt, hier auf einem Archivbild, ist Vorsitzender des Fahrlehrerverbands Hamburg. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Im Jahr 2013 waren es rund 850 Fragen. Aufgrund der Digitalisierung können die Fragen schnell geändert und erweitert werden, außerdem sind Videofragen dazugekommen. Auch Fragen zu Fahrassistenzsystemen und und E-Mobilität werden mehr und mehr in den Katalog aufgenommen. Durch die ständigen Änderungen der Fragen sind Schüler jetzt dazu gezwungen, die Inhalte wirklich zu lernen und zu verstehen, statt sich ins kurzfristige Auswendiglernen zu stürzen. Das rächt sich dann nämlich in den Fahrstunden, wo sie sich nicht erinnern und dann viele Regeln noch einmal erklärt bekommen müssen.

Denken Sie nicht, dass die gestiegene Zahl der Fragen das kurzfristige Auswendiglernen begünstigt und eine geringere Anzahl dieses Risiko eher senken würde?

Ich meine eher, der Ansatz ist in der Fahrschule zu suchen. Eine gute Fahrschule bildet oder unterrichtet ihre Schüler so, dass sie eben viel Wissen vermittelt bekommen, was auch nachhaltig bestehen bleibt. Man lernt die Theorie schließlich fürs Leben, und deswegen muss das sitzen. Deswegen ist der Theorieunterricht in Präsenzform so wichtig: Ein guter Fahrlehrer achtet darauf, die Unterrichtseinheit nachhaltig zu vermitteln, da darf er auch mal reduzieren und Schwerpunkte setzen, wenn er Defizite bei seinen Schülern bemerkt. Das ist beim Lernen am Computer in dieser Form nicht möglich.

Während 2012 laut einer Statistik des Kraftfahrtbundesamtes rund 28,9 Prozent der Fahrschüler in Deutschland die Theorieprüfung beim ersten Mal nicht bestanden, waren es im Jahr 2022 schon 31,8 Prozent. Wie lässt sich diese Entwicklung erklären?

Zum einen sind die Fragen in den letzten zehn Jahren umfangreicher geworden, und es geht, wie gesagt, nicht mehr nur um das Lernen, sondern ums Verstehen. Aber in den vergangenen Jahren mussten die Schüler ja auch für die Schule ganz, ganz viel nur im Homeoffice und zu Hause lernen. Alles, was da jetzt an Lernstoff fehlt, wird von den Schülern wieder abverlangt. Das heißt, die sind überfrachtet mit Lernaufgaben in allen möglichen Gebieten. Und da kommt Fahrschule erst mal eine lange Zeit nicht drin vor. Außerdem hat sich der Stellenwert der Fahrschule für viele Schüler geändert: Früher stand Fahrschule für Erwachsenwerden, Dazugehören, eigenes Auto haben zu wollen. Heutzutage nicht mehr. Heutzutage sagen die Schüler einfach: „Ich kann mir sowieso kein Auto leisten, und ob ich einen Führerschein mache oder nicht, ist da egal. Ich komme auch gut mit Öffis voran. In Hamburg sowieso.“ Diesen Effekt sieht man gut beim Motorradführerschein, bei dem der Freizeitgedanken viel mehr mit dabei ist: Die bestehen in der Regel beim ersten Mal.

Haben Sie denn einen Tipp für Fahrschüler, wie man am besten für die Theorieprüfung lernen kann?

Erst einmal sich bewusst machen, dass das theoretische Wissen die Basis für das Autofahren nachher ist. Mit diesem Bewusstsein geht man anders an die Sache ran. Und: Höchstens eine Stunde am Tag lernen und dafür sich wirklich Gedanken um die Fragen machen. Und dann viel nachfragen, auch bei den Eltern oder bei anderen Freunden, die einen Führerschein haben: Warum ist das hier so? Warum ist die Situation hier doof? Warum darf man hier nicht halten? Also der Kerngedanke ist: sich mit den Fragen auseinandersetzen. Dann geht der Rest wie von allein.

Ein kleiner Exkurs zur praktischen Prüfung: Während im Jahr 2011 etwa 40,7 Prozent der Hamburger Fahrschüler beim ersten Versuch durchfielen, waren es 2021 schon 45 Prozent. Damit ist die Hansestadt Spitzenreiter in Deutschland. Wie erklären Sie sich das?

Diese Frage stellen wir vom Fahrlehrerverband und überhaupt alle Experten sich schon seit Jahren. Ich persönlich meine, es liegt an der Mischung aus hohem Verkehrsaufkommen, rücksichtslosen Autofahrern untereinander und dem dadurch verursachten Stress im Straßenverkehr. Außerdem meine ich, dass die Fahrschüler auch allgemein gestresster sind durch die vielen Aufgaben, die sie im jungen Alter schon haben. Was auch eine Rolle spielt, ist der Drang, alles richtig machen zu wollen. Das geht aber nicht, weil man im Hamburger Stadtverkehr einfach nicht alles richtig machen kann. Noch ein wichtiger Punkt: Die Prüfungszeit hat sich verlängert in den letzten Jahren von 45 auf 55 Minuten, also um zehn Minuten. Und in den letzten zehn Minuten kann eine Menge passieren.

Sie sprachen von rücksichtslosen Autofahrern. Hat sich das Fahrverhalten auf Hamburger Straßen Ihrer Einschätzung nach in den letzten Jahren verändert?

Ja, es ist ruppiger geworden. In den letzten zehn Jahren wurde es immer anstrengender. Das liegt daran, dass wir alle kein Zeit mehr haben und dauernd gestresst sind.

Ein Führerschein kostet heute rund 3000 Euro

Laut Angaben des TÜVs wurden in Hamburg im Jahr 2022 rund 34.000 theoretische Prüfungen durchgeführt, 1500 Prüfungen mehr als im Jahr 2021. Auch die Zahl der praktischen Prüfungen ist auf 38.000 und damit um 2500 Prüfungen gestiegen. Die Wartezeiten für Prüfungen haben sich laut TÜV in den meisten Regionen normalisiert. Nur sehr vereinzelt gebe es Regionen, in denen Fahrschüler länger als drei Wochen auf ihre Prüfung warten müssen. Die Kosten für einen Führerschein liegen mittlerweile bei rund 3000 Euro – je nachdem, wie viele Fahrstunden benötigt werden.