Hamburg. Zwischen Genialität und Wahnsinn: Es gibt einen neuen Roman über Sternwarten-Optiker Bernhard Schmidt.

Unter den unzähligen geheimnisvollen Geschichten, legendären Forschungen und skurrilen Charakteren, die die mittlerweile 110 Jahre der Sternwarte in Bergedorf zu bieten haben, ist das Leben des Bernhard Voldemar Schmidt das wohl extremste. Von wem sonst ist sein buchstäblich letzter Schrei überliefert? Ausgerufen 1935 im Hamburger Irrenhaus: „Ich bin ein Jünger der Finsternis!“

Bernhard Schmidt - ein völlig irrer „Astro-Optiker“

Was nach Quasimodo klingt, der sich von Notre Dame aus Paris in die Hamburger Sternwarte verirrt hat, zeichnet ein Bild, das Stoff für einen großen Roman sein könnte. Und genauso ist es: Das Leben des Bernhard Schmidt (1879-1935), jenes ebenso genialen wie menschlich mindestens sonderbaren, ja eigentlich völlig irren „Astro-Optikers“ von Weltruhm, liegt als Roman vor. Bereits in den 1980er-Jahren vom estnischen Nationalschriftsteller Jaan Kross († 2007) geschrieben, ist es jetzt erstmals in deutscher Übersetzung im Hamburger Osburg-Verlag erschienen (400 Seiten; 24 Euro; ISBN 978-3-95510-254-8).

„Gegenwindschiff“ lautet der Titel von Kross’ Hommage an den wohl unbekanntesten Weltstar seiner estnischen Heimat. Denn dem studierten Optiker Bernhard Schmidt ist eine Revolution in der Astronomie gelungen, nämlich die Verbesserung der Beobachtungsqualität ihrer riesigen Teleskope um das Hundert-, vielleicht sogar das Tausendfache. Allein durch das Gefühl seiner Hand und großes Geschick im perfekten Schliff der Teleskopspiegel und -linsen befreite er die Beobachtung der Sterne und Kometen von sämtlichen damals weit verbreiteten Unschärfen.

Bernhard Schmidt geisterte oft nachts in Bergedorf herum

Ort seines Wirkens war von 1926 bis zu seinem Tod der Keller des Hauptgebäudes der Sternwarte auf dem Gojenberg. Dort hatte Schmidt als „Freier Mitarbeiter“ des Observatoriums seine Werkstatt eingerichtet, nachdem Direktor Prof. Dr. Richard Schorr ihn aus dem Umfeld der Optischen Werke von Carl Zeiss in Jena abgeworben hatte.

Doch der so auf die Sternwarte kam, war ein eigenbrötlerischer Sonderling, dem seit einem missglückten Sprengstoff-Experiment im Alter von 15 Jahren die rechte Hand fehlte. Auch wurde er bester Kunde der Bergedorfer und Lohbrügger Kneipenwelt, geisterte oft nachts herum und versetzte die Nachbarn in Angst und Schrecken.

Roman zeigt das Leben zwischen Ruhm und Absturz

Der Roman zeichnet das Leben zwischen Ruhm und Absturz, zwischen Hochmut und Selbstzweifeln nach. Teils als Ich-Erzählung aus Schmidts Perspektive, teils aus Sicht seiner Wegbegleiter, die Jaan Kross noch persönlich treffen und befragen konnte. „Eine romantisierende Biographie voller Tragik, aber auch der unausweichlichen Ironie dieses Schicksals“, befand Verleger Wolf-Rüdiger Osburg bei der Buchvorstellung in der Sternwarten-Bibliothek, die übrigens direkt über der alten Werkstatt liegt. „Wo, wenn nicht hier, müsste Schmidts Geist noch irgendwo herumspuken.“