Hamburg. Zäune um leerstehende Häuser, Entkernungen, Abrissbagger - das alte Wohnviertel ist ins Visier der Stadtentwicklungspolitik geraten.

Im fast 100 Jahre alten Gojenbergsviertel greift eine Art Lochfraß um sicht: An vielen Stellen schon sind Bauzäune um leerstehende Backsteinhäuser zu sehen, gibt es erste Entkernungen oder rückt bereits der Abrissbagger an. Offenbar ist das in den 1920er-Jahren von Bergedorfs Stadtbaurat Wilhelm Krüger geplante Gartenstadt-Idyll mit seinem üppigen Grün und den im Verhältnis dazu eher kleinen Häusern ins Visier der Hamburger Stadtentwicklungspolitik geraten, die ihren Fokus seit Jahren ausschließlich auf ein Maximum an neuem Wohnraum richtet.

„Diese Anforderungen haben in der Verwaltung zu einer Überdehnung der Ausnahmegenehmigungspraxis geführt. Gern darf mittlerweile selbst die maximal zulässige Bebauung um ein vielfaches überschritten werden“, kritisiert Denkmalsachverständiger Dr. Geerd Dahms und warnt: „Das hat Spekulanten die Tür geöffnet und wird mittelfristig nicht nur die historische sondern auch die soziale Struktur des Gojenbergsviertels zerstören.“ Denn die Hilferufe besorgter Nachbarn, wie zuletzt vor einer Woche gegen den Abriss des exakt 100 Jahre alten Backsteinbaus am Gojenbergsweg 45, würden schlicht überhört.

Bausünden im historischen Viertel in Bergedorf „passen nicht zum Klimaschutz“

Lutz Mertens aus der Anliegerinitiative zum Gojenbergsweg 45 ist bei dem Gedanken an das, was hinter ihm passieren wird, genervt: Das historische Haus macht Platz für einen modernen Mehrfamilienkomplex.
Lutz Mertens aus der Anliegerinitiative zum Gojenbergsweg 45 ist bei dem Gedanken an das, was hinter ihm passieren wird, genervt: Das historische Haus macht Platz für einen modernen Mehrfamilienkomplex. © BGDZ | Jan Schubert

„Was dann als Neubau folgt, sind gewöhnlich Mehrfamilienhäuser mit bis zu sechs Eigentumswohnungen, die die maximal möglichen Bebauungsgrenzen ausreizen. Und das auch noch, wie in diesem Fall, als sogenannte Niedrigenergiehäuser mit schwarzer Fassade, obwohl allein schon die dafür verbauten Materialien alles andere als klimaschonend sind“, sagt Dahms. „Ich frage mich, wie sowas in unsere Zeit des Klimaschutzes passen soll.“

Ähnliche Bausünden wie am Gojenbergsweg 45 fürchtet der Experte wenige 100 Meter weiter an der Ecke Justus-Brinckmann-Straße, wo eine der sogenannten Hamburger Kaffeemühlen kurz vor dem Abriss steht. Und an der Ecke Graustraße, wo die „Abrissprofis“ bereits ganze Arbeit geleistet haben sowie an der Hermann-Löns-Höhe. „Das Bezirksamt und große Teile der Bezirkspolitik sind sich der Einzigartigkeit des baulichen Erbes Bergedorfs nicht bewusst“, erinnert Dahms daran, dass das Gojenbergsviertel wichtiger Zeuge der Bergedorfer Eigenständigkeit ist, bevor Hamburg die Stadt 1938 zum bloßen Verwaltungsbezirk degradierte.

Wohnungsbau Bergedorf: Werden neue Häuser im Gojenbergsviertel geschaffen?

Um zu retten, was noch zu erhalten ist, fordert Dahms, der für die FDP im Bergedorfer Bauausschuss sitzt, eine Erhaltungsverordnung für den Gojenberg zu erlassen, wie es sie schon seit Jahrzehnten im benachbarten Villengebiet gibt. „Dort konnten so die schlimmsten Bausünden verhindert werden. Und Bergedorf kann sich rühmen, das größte zusammenhängende Areal dieser Art in ganz Hamburg zu haben. Aber gleich nebenan – jenseits der Wentorfer Straße – öffnen wir der Spekulation bis heute alle Möglichkeiten. In meinem Kopf will das nicht zusammenpassen.“