Bergedorf. Im Prozess vorm Amtsgericht Bergedorf geht es um einen rassistischen Spruch und einen wütenden Türken. Das Urteil überrascht.

Entstanden ist alles offenbar aus einer Bemerkung im Vorbeigehen. „Immer schön deutsch sprechen.“ Eine Bemerkung, die „eine ganz schöne Provokation“ für ihren Mandaten Aydin C. darstelle und Ausdruck vieler Vorurteile sei, meint Rechtsanwältin Yasemin Kostik. Im Prozess vor dem Amtsgericht Bergedorf verteidigt sie den wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung, Sachbeschädigung, Beleidigung und Nötigung angeklagten 56-Jährigen. Aydin C. soll unter anderem mit einem weiteren, unbekannten Mann vor anderthalb Jahren den Bergedorfer Christian S. mit einer Eisenkette angegriffen und dessen Fahrzeug erheblich beschädigt haben. Am Ende kommt C. milde mit einer Geldstrafe davon.

Es ist 11 Uhr morgens am 27. August 2021. Christian S. tritt aus dem Mehrfamilienhaus an der Straße Neuer Weg, geht ein paar Meter bis zur Einfahrt zum Aldi-Parkplatz. Er muss auf dem Weg zu seinem VW Golf kurz mal den Gehweg verlassen. weil sich dort zwei Männer vollbepackt mit Einkaufstaschen unterhalten. „Auf Arabisch“, wie S. später bei der polizeilichen Vernehmung aussagen wird, was ihn - aus welchem Grund auch immer – zu jener anfänglichen Aussage hinreißen lässt: „Immer schön deutsch sprechen.“

„Immer schön deutsch sprechen“: Auf Provokation folgt Angriff mit Eisenkette

Doch offenbar trifft er auf zwei Zeitgenossen mit kurzer Zündschnur. Kurz vor seinem Parkplatz, so seine Schilderung, hört der 61-Jährige, wie jemand hinter ihm „du Ungläubiger“ in seine Richtung brüllt. „Ich habe mich umgedreht und gesagt: Ja, ich bin ungläubig“, beschreibt das spätere Opfer nun in Gerichtssaal 112 des Bergedorfer Amtsgerichts seine Reaktion. Daraufhin sei jedoch die Situation eskaliert: S. sieht, wie Aydin C. auf ihn zustürmt, schafft es soeben in seinen Wagen und verriegelt von innen.

Das hält aber den offenbar wütenden C. nicht davon ab, mit seinen Einkaufstaschen und mit Tritten gegen die Fahrertür des Golf zu hämmern, an die Seitenscheibe zu spucken. S. versucht dennoch, rückwärts auszuparken und wegzufahren, doch: „Da versperrte mir der Herr mit der Eisenkette mit Fahrradschloss den Weg.“ Als S. aussteigt, soll C. die Kette bedrohlich hin und her geschwungen haben.

Kompagnon entkommt und baut fast noch einen Unfall

Und tatsächlich – das allerdings können der Vorsitzende Richter, Staatsanwaltschaft, Nebenkläger und Verteidigung trotz ausgiebigster Befragung nicht glasklar herausarbeiten – wird Christian S. wohl von der Kette auch am Unterarm getroffen. Hernach zieht er sich weiter hinter sein Fahrzeug zurück, öffnet die Heckklappe, um noch mehr Schutzzone zu generieren, „denn diese Person hat mich ja weiter bedroht und ist auf mich zugekommen“. Zum Glück für den 61-Jährigen ist der Discounter-Parkplatz zu dieser Zeit nicht menschenleer. Zwei Passanten greifen ein, unter anderem der im Sicherheitsdienst tätige Hans-Joachim D., der sich mit ausgebreiteten Armen vor Aydin C. aufbaut. D. berichtet: „Er hat schon mit der Kette ausgeholt und auch versucht, mich zu schlagen.“

Doch da ist ja noch der Kompagnon von Aydin C., der bis heute nicht ermittelt werden konnte. Er zertrümmert mit einer Art Metallschere einen Frontscheinwerfer des Golf. Die Zerstörung an seinem Golf möchte der technische Kaufmann nicht hinnehmen, verfolgt den Unbekannten, der auf dem Rad türmen will. S. bringt ihn sogar zu Fall und verletzt sich dabei selbst an Knie und linker Hand: „Er ist weitergefahren und beinahe noch mit einem weißen Sprinter in der Einfahrt kollidiert“, erinnert sich S. Später findet ein weiterer Zeuge das Rad auf den Bahngleisen in der Nähe des Tatorts.

Angegriffener möchte nur, dass Werkstattrechnung bezahlt wird

Erstaunlich: Dem attackierten S. geht es nicht so sehr um die persönliche Strafe gegen C., sondern um etwas anderes. „Mein Auto ist beschädigt, nicht mehr fahrtüchtig. Bei den strafrechtlichen Dingen kenne ich mich nicht so aus, habe aber eine Werkstattrechnung von weit über 1000 Euro“, sagt der Betroffene. Die möchte er auf jeden Fall beglichen haben möchte.

Bei aller Aggression: Da ist auch diese Provokation, die dem in Bergedorf lebenden Türken C. gar nicht gefällt. Der Mann ist zweifacher Vater, zurzeit arbeitslos und bei der Justiz mehrfach wegen Leistungserschleichung und Beleidigungen in Erscheinung getreten. „Immer schön deutsch sprechen“ – gab es außer jener rassistischen Aussage vielleicht noch mehr? Bis zum Schlusswort blickt C. fast gar nicht auf die aussagenden Zeugen, sondern fast dauerhaft auf einige mitgebrachte Papiere. Der 56-Jährige lässt Anwältin Kostik sprechen, die klarstellt, „dass mein Mandant kein radikaler Islamist, sondern Atheist“ sei und kein Wort Arabisch spreche. Vielmehr spricht C. nach 31 Jahren hierzulande durchaus gut Deutsch und ergreift das Schlusswort: „Er (Christian S.) hat mich auch geschlagen, mir eine Beule an der Stirn verpasst. Und er hat mich auch beleidigt, gesprochen wie ein Nazi. Scheiß Ausländer!“ Ob letztgenannter Ausspruch seitens S. tatsächlich an jenem Vormittag fiel oder ein emotionaler Ausbruch des Angeklagten ist, bleibt unklar.

Geldstrafe wegen Beleidigung – und „hohen Gewaltpotenzials“

Klarer ist hingegen, dass viele Anklagepunkte gegen Aydin C. aufgrund „schlüssiger, ruhiger und überzeugender Zeugenangaben“, wie die Staatsanwältin einordnet, vor dem Urteilsspruch wegbröckeln. C. bekommt dennoch 600 Euro Geldstrafe vom Gericht aufgebrummt, weil der Tatbestand der Beleidigung (wegen des Spuckens gegen die Autoscheibe) zweifelsfrei erwiesen ist und die Gesamtsituation als „bedrohlich“ eingestuft wird. Die Staatsanwältin hatte für den 56-Jährigen aufgrund „des hohen Gewaltpotenzials und des hohen Sachschadens“ Ärgeres gefordert, nämlich wegen der strafrechtlich am schwerwiegendsten bewerteten gefährlichen Körperverletzung eine Haftstrafe von acht Monaten auf Bewährung.