Lohbrügge. Vom Schauspieler zum Lohbrügger Kneipenwirt zum Sänger und Senioren-Entertainer: Emilio Ender hat viel aus seinem Leben zu erzählen.

„Manche Leute meinen, ich wäre ein bisschen spinnert. Aber das stört mich nicht, das sind nur die Oberflächlichen“, sagt Emilio Ender. Vielleicht liegt es daran, dass er sein persönliches Geheimnis nie verraten wird: Wie er eigentlich mit echtem Vornamen heißt – „ein bisschen banal“. Mit 27 Jahren legte er sich den Künstlernamen zu. „Den habe ich mir im Griechischen entlehnt, kommt von Emilios“, so der Mann, der vor 68 Jahren in Markt Bibart zwischen Nürnberg und Würzburg zur Welt kam – als Sohn schlesischer Flüchtlinge.

Das Gymnasium war zu weit

Sie kamen bei einer Bauernfamilie unter, die einen kleinen Lebensmittelladen hatte. Der gestrenge Vater fuhr jeden Tag nach Nürnberg, wo er als Schmied arbeitete. Auch die Mutter erfüllte nicht alle Wünsche der vier Geschwister: „Ich wollte aufs Gymnasium gehen, aber das sei zu weit mit dem Fahrrad.“

So endete der Traum vom Berufsgrafiker schließlich auf dem Arbeitsamt, wo Ender nach der Lehre zum Verwaltungsangestellten bis 1977 für die Bundesanstalt für Arbeit: „Ich habe Arbeitslosenanträge, Kindergeld und Löhne bearbeitet. Aber das war eigentlich nicht meine Welt“, sagt der kreative Kopf, der sich gern als Luftikus bezeichnet.

Schweigende Hauptrolle

Seine Chance kam, als das Nürnberger Opernhaus Statisten suchte, er bei Rigoletto und dem Freischütz einspringen durfte. „1985 war ich der Judas in der Johannespassion. Ich hatte eine stumme Hauptrolle, eineinhalb Stunden lang“, schwärmt er noch heute: „Der Regisseur hatte einen übersensiblen Schauspieler gesucht, und gefühlt habe ich mich auch tatsächlich aufgehängt.“

Stadttheater Baden-Baden

Jetzt holte er die Mittlere Reife nach, wollte das Abitur aufsatteln – scheiterte jedoch an der Mathematik. Dennoch gab er nicht auf: Die Berufsfachschule in München lehrte Schauspiel. Von 1981 bis 1984 standen Fechten, Singen und Tanzen auf dem Programm. Nebenher spielte er einen Wichtel im Kindertheater, bis ihn das erste Engagement ins Stadttheater Baden-Baden rief: „Da habe ich auch Musicals wie Anatevka gemacht und mit 30 Jahren den Kosakentanz für Alexis Sorbas gelernt.“

Zwischendurch Lokalredakteur

Als „Denkmal für Frank Wedekind“ gründete er eine Kabarettgruppe mit dem Namen „Die drei Scha(r)frichter“ und ging ein Jahr lang auf Tournee durch Deutschland. Und wenn es mal keinen Auftritt gab, schrieb er als freier Mitarbeiter bei der Lokalzeitung, den „Badischen Neuesten Nachrichten“: „Ich wohnte in dem Haus neben der Redaktion, konnte meine Texte und Negative in einem Tütchen über ein Drahtseil rüberziehen.“

Im Lohbrügger „Rastro“ ausgeschenkt

Für den Tschechow- und Shakespeare-Fan folgte ein Ausflug in ein Stuttgarter Privattheater, bevor ein Kindertheater in Hamburg interessanter erschien. So landete Emilio Ender 1990 schließlich in Lohbrügge – der Liebe wegen: Die Betreiberin der Restaurant-Kneipe „Rastro“ an der Alten Holstenstraße hatte es ihm angetan.

„Sie war die beste Köchin. Und ich habe Bands engagiert, selbst Lesungen gehalten. 1992 kam unsere Tochter zur Welt. Da war das ,Rastro’ schon von spanischen Geschmack auf Irish Pup umgesteuert, weil wir mit einem Guinness-Vertreter verhandelt hatten, auch finnisches Bier vom Fass ausgaben“, erinnert er sich.

Wobei das mit der Erinnerung so eine dumme Sache ist: Im Juli 2012 hatte er einen Schlaganfall, seither muss er seine eigene Lebensgeschichte wieder ein bisschen üben, will sie aufschreiben und „Rucksack voller Erinnerungen“ nennen.

Bekannt durch kleinen Werbespot

Aber schlimm sei die Trennung von der Partnerin im Jahr 2002 gewesen. „Danach war ich Service-Mitarbeiter. Im Palazzo, in der Tim-Mälzer-Lounge vom HSV-Stadion, auf dem Süllberg und in der Karstadt-Gastronomie.“

Nebenher lockte die Komparserie, etwa für das „Großstadtrevier“ mit Jan Fedder und für die „Pfefferkörner“ („da spielte ich einen vom Jugendamt“). Absolutes Highlight wurde ein Werbespot für RTL: „Das hieß ,Klassenfinder’, ich spielte einen Lehrer und wurde noch Jahre später von Fremden in der U-Bahn darauf angesprochen“, sagt Emilio Ender schmunzelnd, fügt aber hinzu: „Es ist ein finanziell hartes Leben, aber das habe ich mir so ausgesucht.“

Süddeutscher fühlt schon 30 Jahre in Lohbrügge heimisch

Ein kleines Jubiläum steht an: Bald 30 Jahre lebt er in Lohbrügge, seiner „zweiten Heimat“. Hier hat er zwar die Träume, einmal in Griechenland zu leben oder Sommelier zu werden, an den Nagel gehängt.

Aber Aufgaben gibt es zu genüge – etwa in der beflügelnden Musik: Bei den „Sander Jungs“ im Holstenhof singt er den Tenor, im Chor der finnischen Seemannskirche im Portugiesenviertel ertönt hingegen seine Bass-Stimme. Außerdem singt er bei den „Cura-Lerchen“ im Bergedorfer Seniorenheim. Und überhaupt, die alten Menschen: „Die sollten nicht einsam sein, ich will ihnen offen und ehrlich begegnen.“

Auftritte im „Haus brügge“

Seine Kabarett-Einlagen, Volkslieder und Lesungen dürfen die Gäste des Altonaer „Confetti-Cafés“ seit fünf Jahren genießen. Beim offenen Singen im Haus im Park und in der Lohbrügger Auferstehungskirche (dort bietet er auch „Literatur am Telefon“ an) ist er ebenso dabei („da ist bald auch ein Musical geplant“) wie im „Haus brügge“ an der Leuschnerstraße, wo er seit vier Jahren jeden ersten und dritten Donnerstag im Monat von 15 bis 17 Uhr das „brüggencafé“ belustigt, manchmal mit „Augen-Yoga“, manchmal mit kleinen Lesungen. Der „Wunderdoktor“ von Eugen Roth sei herausragend: „Den kann man nicht einfach so weglesen, man muss den Leuten die Literatur schmackhaft machen. Demnächst will ich ein Literatur-Café anregen.“

Eugen Roth für Senioren

Er habe viel Glück gehabt im Leben – und ja: Manchmal komme die Vernunft etwas zu kurz. „Ich lasse mich lieber vom Bauchgefühl leiten“, gesteht Emilio Ender – und freut sich auf weitere kreative Jahre: „Eine Handleserin in einer Taverne auf Kreta hat mir geweissagt, dass ich 74 Jahre alt werde“, so der Mann mit dem großen, blauen Ohrring.

Bis dahin ist noch viel Zeit, um sich monatlich mit seinen Freunden vom 1996 gegründeten „Rastro-Club“ zu treffen. Oder um Kino-Ausflüge mit Alleinstehenden zu organisieren. Oder um auf dem Lohbrügger Markt auf einer Bank „zur inneren Einkehr“ zu kommen.

Wer den 68-Jährigen in Action erleben will, kann ihn live in St. Petri und Pauli hören – mit „Der Mensch ... das Ganze ist zum Weinen!“: Am Montag, 28. September, will Emilio Ender beim Senioren-Nachmittag im Gemeindesaal Verse von Eugen Roth vortragen. Und dann wird er von 15 Uhr an wieder Menschen begegnen, die „mich so nehmen und akzeptieren, wie ich nun mal bin“.