Bergedorf. Hitzige Debatte um Sternchen und Anhängsel: Union fordert Deutlichkeit in Sprache und erntet viel Gegenwind. Auch von der Bezirksamtschefin.

Da möchte eine Schülerin aus dem Landgebiet im Unterricht an ihrer Schule einfach nicht gendern, weil sie sich damit unwohl fühlt. Doch die Entscheidung des jungen Menschen hat offenbar unangenehme Konsequenzen: „Nun hat sie Angst wegen schlechterer Noten“, sagt Julian Emrich. Der Chef der Bergedorfer CDU-Fraktion berichtet am Rednerpult vor der Bezirksversammlung von dieser Jugendlichen, die sich an seine Partei gewandt hatte. Ein Beispiel, das die Union in ihrem Willen bestärkt: Sie möchte die Gendersprache komplett aus dem Bergedorfer Bezirksamt verbannen. Allerdings fiel der Antrag nach hitziger und aufgeladener Debatte im Plenum trotz Zustimmung der CDU und AfD und bei Enthaltung der FDP durch – was nicht nur an inhaltlichen Gründen lag.

„Wir wollen niemandem etwas vorschreiben, doch wir wollen, was Behörden angeht, Schrift und Sprache einfach und eindeutig halten“, begründet Emrich den Vorstoß. Das zielt demnach in die gleiche Richtung wie die Volksinitiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“. Sie fordert, dass schriftliche und elektronische Kommunikation in Behörden, Schulen und Universitäten nach den Regeln des „Rat der deutschen Rechtschreibung“ zu erfolgen habe. Ohne Genderstern, Binnen-I und Doppelpunkt also. Nicht erwünscht sind folgende Beispiele: Autor*innen, HändlerInnen oder Lehrer:innen.

Grüne: Gender-Gegner haben eine Haltung wie in den 1970er-Jahren

Emrichs Parteikollege Lars Dietrich holt für den Antrag noch aktuelle Meinungsumfragen von infratest dimap als Untermalung der Forderung seiner Partei hervor. Demnach lehnen 65 Prozent der Deutschen Gendern generell ab, etwa 80 Prozent sehen diese Frage sogar als wenig wichtig an.

Doch der CDU-Antrag bietet für das Bergedorfer Parlament viel Angriffsfläche: So hinterfragt Lenka Brodbeck (Grüne) die Ideengeber der Volksinitiative, die als minderheitenfeindlich gelten würden. Sprache transportiere aus Sicht der Grünen-Politikerin vordergründig auch eine Haltung. In dem CDU-Antrag spiegele sich ihrer Meinung nach die Haltung der 1970er-Jahre wider, als die Geschlechterrollen in den westlichen Industriestaaten stringenter verteilt waren: Männer gehen arbeiten, die Frauen sind brave Hausmütterchen, müssen um Erlaubnis fragen, wenn sie selbst Karriere machen oder arbeiten gehen wollen. „Wenn Sie zurückwollen in eine Zeit ohne Gendern, was für ein Deutschland wollen Sie eigentlich?“, fragt Lenka Brodbeck provokativ.

Pragmatismus des Bergedorfer Bezirksamts ist für die SPD bester Weg

Auch die SPD-Parteichefin möchte nicht zurückreisen, sondern modern bleiben – dort, wo es sinnvoll ist. Katja Kramer weiß: „Sprache ist lebendig und verändert sich, was nicht bei allen auf Zustimmung trifft.“ Insofern würden Verbote oder Verpflichtungen zum Gendern nicht weiterhelfen, „weil die Diskussion damit häufig sehr emotional“ werde, so die Bergedorfer SPD-Chefin. Zu denken sei gerade an diejenigen, die Deutsch nicht als Muttersprache hätten und auch an Menschen mit Handicaps. Hier verwirre Gendersprache höchstens. Deshalb fordert die SPD-Chefin „pragmatische Lösungen“ – genau so wie es der Hamburger Senat den Bezirksämtern mitgegeben habe: Sie seien frei in ihrer Entscheidung, wie ausgeprägt sie dem Gendergedanken folgen mögen.

Eine ähnliche Meinung vertrat Maria Westberg (Die Linke), sie bezeichnete den CDU-Antrag als „rückwärtsgewandt“. Ihr Fraktionskollege Lutz Jobs hatte einen Rat für die Gender-Kritiker: Fremdeln mit etwas Neuem sei völlig normal, „doch unsere Gesellschaft braucht Weiterentwicklung und speziell in der Gender-Frage einfach Gelassenheit.“

Trotz Vorwurf des Abschreibens stimmt AfD dem CDU-Antrag zu

Hingegen stelle die Debatte die FDP vor ein Dilemma, gab Fraktionschefin Sonja Jacobsen zu, die ihre Partei in dieser Frage „zwischen den Stühlen“ sieht. „Die homo-, bi- und transfeindlichen Aussagen der Initiative und ihr konservativer Kulturkampf gegen Minderheiten stehen der Idee des Liberalismus diametral entgegen“, führte Jacobsen aus. Doch Sprache müsse verständlich gerade in der Amtssprache sein, „denn die erste und wichtigste Aufgabe von Sprache mus immer Verständigung sein“, so Jacobsen, „das Gendern will Sensibilität für Sprache erzeugen, ist aber da, wo es dogmatisch benutzt wird, selbst unsensibel.“

Was den CDU-Antrag in den Augen vieler Zuhörer indes noch problematischer macht, ist die Vorgeschichte. Denn die rechten Sitznachbarn von der AfD versuchten sich in der laufenden Legislaturperiode dreimal mit einem beinahe identischen Ansatz. Zuletzt hieß der Antrag im Juni 2021 „Hochdeutsch in Bergedorf bewahren – keine Gendersprache in staatlichen Stellen im Bezirk!“ und fiel wie alle anderen zuvor durch. AfD-Fraktionschef Reinhard Krohn beschuldigte die CDU-Kollegen nun des Abschreibens, sicherte aber dennoch Zustimmung seiner Fraktion zum Anti-Gender-Antrag zu.

Warum die Bezirksamtsleitung ebenfalls zur Gelassenheit aufruft

Diese Allianz jedoch sieht die politische Konkurrenz mit Sorge: Wie Katja Kramer, die dem Parteirivalen Julian Emrich ins Gewissen redete: „Sie nutzen das Medium der Angst und schüren diese, um Veränderungen zu verhindern.“ Das tendiere in Richtung rechter Panikmacherei, und diese Annäherung der Bergedorfer CDU sei bedenklich, konstatierte Katja Kramer. Dagegen verwehrte sich Emrich: „Nur weil ein Thema von der AfD besetzt ist, müssen wir es uns das ja nicht wegnehmen lassen.“ Emrich konkretisierte: „Wir sind ja auch nicht queerfeindlich, darum geht es letztlich nicht. Wir wollen eine klare Sprache im Bezirksamt.“

Dieses Dogma werde sie sich aber nicht aufoktroyieren lassen, verriet Bezirksamtschefin Cornelia Schmidt-Hoffmann bei ihrem Schlusswort. Wie Lutz Jobs wünscht sich die Neuallermöherin in der Gender-Debatte einfach mehr „Gelassenheit, denn so möchte ich auch das Bezirksamt führen“. Bei „ihren Mitarbeitern*innen“ baue sie auf Eigenverantwortlichkeit. Ihr Appell an die Politik wurde gehört: „Bitte legen Sie uns keine Fesseln in die eine oder andere Richtung an!“