Bergedorf. In der Stadtteilschule berichtet der 87-jährige Stephen Orenstein Schülern von seinem Schicksal, das als Oper aufgeführt wird.

Die Aufregung ist greifbar an diesem Morgen im Zeighaus der Stadtteilschule Bergedorf am Ladenbeker Weg: Mit neugierigem Flüstern füllen die Schülerinnen und Schüler der elften Klassen den Raum. Schließlich sitzen sie weit gereisten Gästen gegenüber, Menschen, die noch dazu Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegessind. Auf dem Podium sitzen Stephen Orenstein (87), seine Frau, die Dichterin Susan Fox, der Komponist Joel Mandelbaum – alle aus New York angereist. Zudem Sopranistin und Produzentin Kathryn Wieckhorst aus Hamburg. Gemeinsam haben sie die Oper „The Village“ („Das Dorf“) kreiert, die am Freitag, 17. Februar, ihre europäische Erstaufführung feiert.

Vor fast 32 Jahren hatte Susan Fox beschlossen, die Kindheitsgeschichte ihres Ehemannes aufzuschreiben. „Ich wollte seine Geschichte festhalten, ich wusste nur nicht, wie. Joel kam auf mich zu und fragte mich, ob ich eine Oper mit ihm schreiben möchte. Da wurde mir klar, dass es eine Oper werden muss. Die Geschichte schrieb sich von da an fast wie von selbst.“ Seit der Erstfassung habe sich auch kaum mehr etwas an den Texten verändert, berichtete Komponist Joel Mandelbaum dem gespannt lauschenden jungen Publikum.

Die Oper basiert auf den Erinnerungen des 87-Jährigen

Die Oper spielt im Frankreich der 1940er-Jahre. Der Junge Davide und sein Bruder finden sich in einem Dorf in der Normandie wieder. Der Charakter basiert auf den Erinnerungen von Stephen Orenstein und seinem Bruder Philip: Die Mutter hatte damals ihre beiden Söhne aus Paris hierhergebracht, weil es dort für jüdische Familien nicht mehr sicher war.

Die Kinder kamen – ohne ihre Mutter, die zurückkehrt war – in einer Gastgeberfamilie unter, die im Namen des Roten Kreuzes Kinder aufnahm. Doch deutsche Soldaten marschierten Tag für Tag im Dorf ein. Nach Orensteins Erzählungen fanden einige von ihnen eine Zeit lang sogar Unterschlupf im Haus der Gastfamilie. Das Risiko erkannt zu werden, war groß. Doch das Dorf schützte die Brüder, brachte sich damit selbst in Gefahr. So wie es im wahren Leben war, wird es auch in der Oper erzählt.

„Es hat mich gebrochen, als meine Mutter uns verlassen hat“

Doch Susan Fox gibt zu, dass nicht alles aus dem Stück der Wahrheit entspricht; viele Charaktere wurden für die Dramaturgie dazu erfunden. Da greift ihr Mann das Mikrofon und erinnert sich an Szenen, die wahrheitsgetreu aus seiner Kindheit übernommen wurden: „Direkt neben unserem Haus stand eine kleine Brücke. Eine Nacht lang mussten wir Kinder auf der anderen Seite des Hauses im Keller schlafen, ansonsten wären wir heute nicht hier. Die Brücke wurde nachts einfach zerbombt.“

Ihm ist es wichtig zu erwähnen, wie sehr Kinder unter Kriegen leiden müssen. Er erinnere sich noch gut an das Gefühl, von seiner Mutter getrennt zu werden, als sie ihn und seinen Bruder in dem französischen Dorf abgesetzt hat: „Es hat mich gebrochen, als sie uns verlassen hat. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es für meinen vier Jahre jüngeren Bruder gewesen sein muss.“ Orensteins Vater sei selbst Soldat in Frankreich gewesen, zwischenzeitlich wurde er allerdings für mehrere Jahre inhaftiert. „Mein Bruder wusste nicht, wer dieser fremde Mann war, den unsere Mutter bei einem Besuch mitgebracht hat. Er hat unseren Vater nicht erkannt.“

Oper wurde 1995 in New York uraufgeführt

Die von Susan Fox und Joel Mandelbaum geschriebene Oper wurde 1995 in New York uraufgeführt. Nun ist sie erstmals in Europa zu sehen, auf die Bühne gebracht vom Produzenten, Regisseur und Dramaturgen Dirk Schattner, der auch Lehrer an der Stadtteilschule GSB ist. Seine Frau Kathryn Wieckhorst ist Mitproduzentin und Sopranistin: Sie leiht dem Charakter „Maman“ ihre Stimme und bildet die Verbindung zwischen Hamburg und New York. Geboren in Rothenburgsort, lebt sie zwischenzeitlich in New York, wo sie bei Joel Mandelbaum lernt. Und so begleitet der Komponist Kathryn am Flügel, als sie den Schülern eine Arie präsentiert.

Die europäische Erstaufführung der Oper „The Village“, eine wahre Geschichte von Mut und Mitgefühl in finsteren Zeiten, ist am Freitag, 17. Februar, um 19 Uhr in der Hauptkirche St. Katharinen, Katharinenkirchhof 1. Am 18. Februar gibt es eine weitere Aufführung um 17 Uhr. Tickets gibt es unter www.eventim.de und an der Abendkasse ab 18 Euro.