Hamburg. Belle ist eines von 990 Hamburger Kindern, die bei Pflegeeltern aufwachsen. Das Verhältnis von Belle und Amy ist trotzdem besonders.

„Mama, Mama, jetzt ist die Amy-Mama da!“ Ihre rosa gebundenen Zöpfchen wackeln: Fröhlich hopst die Zweijährige zur Haustür und stürmt auf den Besuch zu, ihre leibliche Mutter. Gerade mal elf Wochen alt war die Kleine, wir nennen sie Belle, als sie in dem Bergedorfer Reihenhaus ein Zuhause fand – zunächst aber nur vorübergehend bei ihren liebevollen Pflegeeltern René und Isabell blieb.

„Am Anfang habe ich mir die Seele aus dem Kopf geheult und nur gebeten, man möge gut auf mein Kind aufpassen“, erzählt Amy. Heute aber ist sie überglücklich über die Entscheidung, ihre Tochter abgegeben zu haben – und versteht sich mit der Pflegefamilie prächtig. Eigentlich dürfte sie bloß alle vier Wochen für eine Stunde vorbeikommen, aber „wir verbringen ganze Nachmittage zusammen auf dem Spielplatz“, sagt die junge Frau. Sie freut sich sehr darüber.

Pflegefamilie: 990 junge Hamburger wachsen bei Pflegeeltern auf

Das ist etwas ganz Besonderes: „Meist gibt es ja Schwierigkeiten. Es ist eben schmerzhaft, wenn man sein Kind abgeben muss und denkt, die anderen seien die besseren Eltern“, sagt Ralf Portugall, der im Namen der Hamburger Pflegekinderhilfe spricht: „Ein so herzliches Verhältnis habe ich in 18 Jahren noch nie erlebt.“ Immerhin 990 junge Menschen, so informiert das Landesamt für Statistik, lebten Ende 2021 bei einer Hamburger Vollzeitpflegestelle. 44 Prozent von ihnen haben einen Migrationshintergrund, also Eltern mit fremdländischen Wurzeln.

Ralf Portugall spricht für die Hamburger Pflegekinderhilfe. Bei Pfiff, dem Hamburger Fachdienst für Familien, berät und qualifiziert er sowohl Herkunftsfamilien als auch Pflegefamilien und Paten.
Ralf Portugall spricht für die Hamburger Pflegekinderhilfe. Bei Pfiff, dem Hamburger Fachdienst für Familien, berät und qualifiziert er sowohl Herkunftsfamilien als auch Pflegefamilien und Paten. © BGZ | strickstrock

Nicht aber Belle, deren Mutter in Billstedt aufwuchs, bei ihrer Omi. Auch hier sind die familiären Wurzeln nicht allzu tief verankert, klingt die Geschichte eher traurig: Amys Mutter bekommt mit 18 Jahren das dritte Kind und ist schlichtweg überfordert. Nach zwei Söhnen soll die Tochter nun in Billstedt bleiben. „Ich war ein schwieriges Kind“, meint Amy. Ihren Vater habe sie zudem leider bis heute nicht kennengelernt.

Bunte Bauklötze, Kuschelkissen, eine Puppe auf dem Sofa. Verschmitzt und frech guckt die kleine Belle von links nach rechts, will Aufmerksamkeit erheischen, kuschelt sich an beide Frauen. Wie es eben normal ist für eine neugierige Zweijährige.

Amy: „Ich hatte halt noch nicht so das Muttergefühl“

Aber normal war eigentlich nie irgendetwas. Amy ist gerade mal 15 Jahre alt, als sie schwanger wird. Das Jugendamt hat einen geschulten Blick auf das Baby und warnt vor einer Kindeswohlgefährdung, wenn der kleine Mensch nicht ausreichend umsorgt wird. „Wir kamen dann in die Boberger Mutter-Kind-Einrichtung der Awo, wo man jeden Morgen ins Zimmer guckte, ob alles in Ordnung ist“, erzählt Amy – und weiß: „Ich habe das leider Gottes erst spät eingesehen.

Ich habe halt einen festen Schlaf und bin nicht bei jedem Mucks wach geworden, also wenn Belle geschrien hat. Ich hatte halt noch nicht so das Muttergefühl“, erzählt die heute 18-Jährige, die inzwischen eine Berufsvorbereitung besucht – und sieben Monate lang bei einem Friseur gearbeitet hat: „Da habe ich auch schon Haare gefärbt und Kopfmassagen gemacht. Aber dann haben sie mich nicht mehr genommen, weil ich zu oft verschlafen habe.“ Jetzt will sie es mit einem Praktikum in einem Drogeriemarkt erneut versuchen.

Erst mal in Bereitschaftspflege

Denn: „Ich will es allein schaffen können, nicht immer nur mit fremder Hilfe.“ Das sagt Amy damals auch im Boberger Mutter-Kind-Haus. Und dem Jugendamt, das ihr Baby jedoch zunächst lieber zur Bergedorfer Bereitschaftspflege-Familie vermittelt. In jener Zeit zieht Amy zu ihrer bis dato fast unbekannten Mutter (40) nach Niedersachsen: „Anfangs ging das auch ganz gut, aber später haben wir uns nur noch gestritten“, erinnert Amy. Folglich bleibt sie nicht lange.

Spielzeug für kleine Patschehändchen: Pflegekind
Spielzeug für kleine Patschehändchen: Pflegekind "Belle" hat alles, was eine Zweijährige braucht. © BGZ | strickstrock

Vier Monate später bietet ihr das Jugendamt eine neue Chance, nun soll es eine Mutter-Kind-Einrichtung in Eimsbüttel werden. Dort habe man sie genau beobachtet, ihr angeboten, für sie einzukaufen, mit dem Kind zu spielen. „Aber ich durfte nie allein mit Belle draußen sein, immer nur mit einer Betreuerin. Ich fühlte mich wie eingesperrt.“

Dabei kennt Amy die Gründe: Belle hat damals blaue Flecken. „Vielleicht von einem anderen Kind auf dem Spielplatz. Jedenfalls sagte die Rechtsmedizin, dass eine Fremdgefährdung nicht ausgeschlossen werden kann“, erfährt die junge Mutter – und sieht jetzt doch ein: „Ich konnte ihr nicht das geben, was sie eigentlich braucht.“

„Ich habe kein Recht auf Vorurteile“

Diesmal also will sie Belle freiwillig abgeben – zurück in die Bergedorfer Pflegefamilie, die das kleine Mädchen schon einmal aufgenommen hatte, als es erst elf Wochen alt war. Das Hickhack soll nun endlich ein Ende haben: „Ich könnte zwar alle zwei Jahre eine Rückführung prüfen lassen, aber das will ich nicht. Jetzt will ich Belle hier nicht mehr wegreißen“, sagt Amy mit festem Blick auf ihre Tochter, deren Patschehändchen gerade in einem Bilderbuch blättern.

Eigentlich könnte es mehr solche guten Pflege-Verhältnisse geben: „Schließlich haben ja nicht wir entschieden, dass das Kind von der Mutter weg soll“, meint Pflegemutter Isabell, der wichtig ist, die leiblichen Eltern nicht in ein schlechtes Licht zu stellen: „Ich habe kein Recht auf Vorurteile. Und letztlich müssen wir uns doch auf die Zukunft konzentrieren“, so die 36-Jährige, die ebenso liebevoll auf ihre eigenen Töchter schaut, die vier und sieben Jahre alt sind: „Die haben alle Flusen und Blödsinn im Kopf. Das wird mal ‘ne richtig coole Dreier-Gang.“

Amy unterdessen wohnt in einem Bergedorfer Jugendhaus und will unbedingt eine Ausbildung machen, dann eine Wohnung finden und selbstständig leben. Täglich freut sie sich über die Videos und Fotos, die Pflegemutter Isabell schickt, um sie teilhaben zu lassen an der Entwicklung des Kindes. Amy ist dankbar. Und sagt: „Auch ich werde reifer.“

Pflegeeltern: Das sind die Rahmenbedingungen

Pflegeeltern helfen Kindern in besonderen Krisensituationen oder Notlagen und geben ihnen Geborgenheit und Stabilität. Neben Geduld und Belastbarkeit sollten sie laut Sozialbehörde Humor und eine positive Lebenseinstellung haben, dazu mit dem Jugendamt und der Herkunftsfamilie zusammenarbeiten wollen. Und sie sollten nicht finanziell abhängig vom Pflegegeld sein. Dieses setzt sich aus dem Unterhalt für das Kind und einer Erstattung der Erziehungskosten zusammen. Je nach Alter sind das zwischen 877 und 1079 Euro im Monat.

Es ist nicht entscheidend, betont die Sozialbehörde, „ob sie allein leben, ein lesbisches/schwules Paar, Transgender oder eine klassische Familie sind“. Auch eine Migrationsgeschichte spiele für die Eignung als Pflegefamilie keine Rolle.

Der Bedarf an Pflegefamilien in Hamburg ist wirklich sehr groß – als Dauerbetreuung oder als Bereitschaftspflege auf Zeit, die auch sehr kurzfristig in Notsituationen einspringen kann. Die nächsten beiden zusammenhängenden Informationsabende zur Vollzeitpflege finden am 8. und 15. Dezember statt – und zwar als Online-Seminar zwischen 19 und 21.30 Uhr. Anmeldung auf https://kurse-hamburg-pfiff.de möglich. Dazu heißt es: „In der Regel vergehen zwischen dem ersten Informationsabend und der Aufnahme des Kindes sechs bis neun Monate.“