Hamburg. Warum der Bergedorfer Erfinder von Europas größtem Clubfestival auf dem Kiez viel Vorfreude, aber auch Bauchschmerzen verspürt.
Das waren Zeiten. Als mal eben aus dem Reinbeker Jugendzentrum „Juz“ die komplette Soundanlage nach Lohbrügge herübergefahren werden musste. „Wir waren damals zunächst nur im Altbau der ehemaligen Lohbrügger Polizeiwache. Die ganze Technik haben wir über Nacht in den Zellen eingeschlossen“, erinnert sich Alexander Schulz an seinen beruflichen Start 1992 als Konzert-Booker für das soeben erschaffene Lola Kulturzentrum an der Lohbrügger Landstraße. Vom ersten Tag des Kulturzentrums bis Anfang der 2000er-Jahre war Schulz dabei. „Diese Zeit hatte einen guten Einfluss auf das, was ich jetzt tue“, meint Schulz rückblickend auf die Lola, die nun 30. Geburtstag feiert.
So reif an Jahren ist das Reeperbahn Festival, für das der Bergedorfer Schulz als Geschäftsführer der RBX GmbH verantwortlich ist, noch nicht. Ein Jahr fehlt noch zur Volljährigkeit. Bei der diesjährigen 17. Ausgabe (21. bis 24. September) von Europas größtem Clubfestival ist für den neutralen Betrachter zunächst mal alles so, wie es vor der Pandemie war: „Wir blicken auf ein Festival ohne Eindämmungsverordnung oder Hygienekonzepte voraus und freuen uns total drauf, nachdem wir uns 2020 und 2021 gequält haben“, sagt der 55-Jährige Schulz.
Reeperbahnfestival ist längst Europas größtes Clubfestival
Trotz Corona-Krise konnte das für die gesamte Musikbranche maßgebliche Event, das von der Förderung des Bundesministeriums für Kultur und Medien und der Stadt Hamburg profitiert, sowohl 2020 als auch 2021 stattfinden – allerdings sehr zurückgefahren: Vor zwei Jahren wurden sogar bei Open-Air-Shows sogenannte Tanzvierecke auf dem Boden eingezeichnet, aus denen sich die Besucher während des Konzerts nicht entfernen durften. Zudem waren nur zwei Konzerthäuser bespielbar mit 20 bis 30 Prozent Auslastung. Aufgrund der Reisebeschränkungen traten fast nur deutsche Künstler auf. Im Vorjahr gab es dann sechs Indoor-Spielstätten (bis zu 25 Prozent Auslastung), in bestuhlten Häusern waren 50 Prozent erlaubt. Ansonsten setzten die Veranstalter auf Open Air und auch Konzert-Streams im Internet.
Dass das Reeperbahn Festival 2022 zwar Spaß machen werde, jedoch noch nicht zur alten Stärke zurückfinden kann, liegt an mittelbaren Effekten nicht nur allein der Pandemie, sondern nun noch des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Es sei lange nicht wie 2019, sagt Alex Schulz, eher „wirtschaftlich und organisatorisch hart an der Grenze der Umsetzung“. 40 bis 50 Prozent an Solo-Selbstständigen oder Kleinstbetrieben, auf die das Reeperbahnfestival beispielsweise bei Bühnen-, Licht- und Tontechnik einst setzte, habe die Pandemie „weggewischt“. Wie sieht die Lösung aus? Laut Schulz sehr teuer: „Jetzt holen wir Fachkräfte aus dem ganzen Land zu Preisen, die doppelt so hoch liegen wie vor den Krisen und Lockdowns.“
Reeperbahn Festival: Viele überlegen, das Geld lieber zu sparen
Hinzu komme die Zurückhaltung beim zahlenden Kunden. Beim Ticketvorverkauf für 2022 sei es ab Mai dieses Jahres von der Quantität zwar vergleichbar wie vor Corona gelaufen, „doch vorher hatten wir aufgrund der Ungewissheit, was beispielsweise Frühbucherangebote oder Weihnachten angeht, keine Sockel“, beschreibt Musikfan Schulz das Dilemma. Und: „Das individuelle Budget ist im Sommer für Konzerte strapaziert worden. Jetzt überlegen viele, ob sie nicht lieber Geld beiseitelegen sollen.“
2019 kamen 54.000 Besucher, in den beiden Vorjahren waren es mit den diversen Restriktionen 10.000 (2020) und 22.000 (2021) Fans. Jetzt prognostiziert der Macher eine Besucherzahl von 35.000 bis 40.000 Musikliebhabern. „Man springt leider zurück auf Los“, kommentiert Alexander Schulz den Vorverkauf.
Partnerland des Reeperbahn Festivals sind in diesem Jahr die USA
Dennoch: Schön, dass das Reeperbahn Festival wieder durchstartet, viele Newcomer und auch einige etablierte Namen wie Alice Merton, Hundreds oder Anna Calvi auf die Bühnen des Kiez bringt. Partnerland bei dem am Mittwoch beginnenden Festival (Tickets zwischen 49 und 129 Euro) sind die USA. 80 Spielstätten, darunter 36 Clubs für Live-Musik, sind offen mit 900 Programmpunkten.
Schulz, der mit Lebensgefährtin und zwei Söhnen in Bergedorf lebt, hat zwei Programmtipps: zum einen Eccstacy für Freunde von Indie und Punk am morgigen Mittwoch im Knust (23.10 Uhr), zum anderen die Produzentenlegende Daniel Lanois mit eigener Musik (Freitag, St.Pauli-Kirche, 23.30 Uhr). Alle Infos auf reeperbahnfestival.com.